Zu schwer für Gewichtigkeit – Bilanz goEast-Festival in Wiesbaden
Nicht jeder kann von sich behaupten, dass er Geschichten auf Lager hat, „die andernorts blinde Flecken bleiben“. Das goEast-Festival in Wiesbaden werde diesen Anspruch einlösen, versprach Leiterin Gaby Babic gleich zu Beginn der diesjährigen Festivals für den mittel- und osteuropäischen Film, und das wirkte keineswegs wie die Schaumschlägerei einer Festivalleiterin, sondern angesichts des üppigen Programms von 141 Filmen aus 26 Ländern wie gesundes Selbstbewusstsein.
Die Wiesbadener Festivalmacher können durchaus stolz sein, denn bei der 12. Auflage war das goEast-Programm größer als je zuvor. Und auch die Besucherzahl wächst: Kamen beim Start des Festivals im Jahr 2001 noch circa 3000 zahlende Zuschauer, um wenig bekannte Filme aus den östlichen Nachbarländern zu sehen, so hat sich diese Zahl inzwischen verdreifacht.
Das ist ein schöner Erfolg, doch im Vergleich zu größeren Festivals wie der Berlinale oder auch dem Filmfest München ist die Zuschauerzahl bei goEast noch immer überschaubar. Für Kinofans, die den Weg nach Wiesbaden finden ist diese Beschaulichkeit aber durchaus von Vorteil. Denn sie haben in der Kurstadt regelmäßig die Chance, osteuropäische Autorenfilmer von Weltformat einmal aus der Nähe kennenzulernen.
Unter den 220 Gästen dieses goEast-Jahrganges verlieh beispielsweise Sergej Loznitsa dem Festival Glanz – just zu Beginn des Festivals war bekannt geworden, dass der gebürtige Weißrusse mit seinem neuen Film „V tumane“ („Im Nebel“) in diesem Jahr in Cannes um die Goldene Palme konkurrieren wird. „Das war eine wunderbare Bestätigung für unsere Entscheidung, freute sich Babic.
Im Wettbewerb gab es zwar auch Lustiges wie de serbische Komödie „Reiseführer durch Belgrad mit Singen und Weinen“ und die rumänische Black Comedy „Adalberts Traum“, doch es dominierten die schweren Stoffe – vor allem bei den Wettbewerbsfilmen aus Russland und den anderen vertretenen Ex-Sowjetrepubliken. Die Beiträge „Beduine“, „Leben“ und „Für Mutter der Himmel“ vermochten kaum mehr zu vermitteln als grenzenlose Hoffnungslosigkeit. In ihrem Nihilismus präsentierten sich diese Beiträge sogar so konform, dass sie nahelegten, es bestehe ein Trend zur absoluten Schwermut im russischen Kino.
Dass dies eine Reaktion auf die tatsächlichen Realitäten in den post-sowjetischen Gesellschaften darstellt, darf allerdings bezweifelt werden. Vielmehr drängte sich der Verdacht auf, dass mit dieser unendlichen Schwere bewusst Gewichtigkeit erzeugt werden soll. Immerhin lassen sich Festivaljurys immer wieder von großer Verzweiflung beeindrucken.
Auch in Wiesbaden schien das in diesem Jahr der Fall zu sein, denn der besonders deprimierende Wettbewerbsfilm „Zhit“ („Leben“) wurde mit Preisen nur so überhäuft. Neben dem Preis der internationalen Filmkritiker (Fipresci) erhielt der Episoden-Film den Hauptpreis des Festivals, die mit 10.000 Euro dotierte „Goldende Lilie“. Der Film sei ein großer Wurf, spreche vom Unsprechbaren und sei von großer Ernsthaftigkeit, hieß in den gravitätischen Begründungen der zwei preisgebenden Jurys.
In dem Drama verwebt Regisseur Vasilij Sigarev drei Geschichten miteinander, die alle von existenziellem Verlust und Trauer handeln. Er habe dem oberflächlichen Umgang mit dem Thema Tod, der in vielen Filmen zu beobachten sei, etwas entgegensetzen wollen, sagte Sigarev in Wiesbaden zu seinen Motiven für „Zhit“. Diesem ehrenwerten Anliegen ist kaum etwas entgegen zu halten. Sigarevs Film hätte allerdings an Gewicht gewonnen, wenn er der dem Wert des Lebens nicht nur im Titel, sondern auch im Film klarer Ausdruck verliehen hätte.