Griechenland

Selbst vor der Polizei nicht mehr sicher

Im Erdgeschoss des syrischen Bildungsvereins in Athen treffen sich Nikodimos, sein Bruder Froumentios und Chala zu einem Krisengespräch. Im Hintergrund laufen Nachrichten aus Syrien über einen arabischen Sender. Chala ist eine junge Frau mit hellblauem Kopftuch und Präsidentin des Vereins. Nikodimos und Froumentios sind Mitglieder der Organisation „Asante“ und vertreten unter anderem die afrikanische Jugend in Griechenland.

Schockiert über die Polizei

Die drei jungen Leute sitzen im trüben Neonlicht, ihre Gesichter sind sorgenvoll. Sie arbeiten an einem Plan, mit dem sie sich zusammen mit anderen Migrantenvereinen gegen die zunehmende rassistische Gewalt wehren wollen. Es gehe dabei auch um die Gewalt, mit der die Polizei gegen Einwanderer vorgeht, sagt Nikodimos.

Chala stimmt zu. Sie sei schockiert über die Art und Weise, wie neuangekommene syrische Flüchtlinge von den griechischen Behörden behandelt werden. „Viele rufen mich an und sagen: Die Polizei jagt gezielt uns Syrier. Im Athener Stadtteil Neos Kosmos befinden sich viele Deserteure der syrischen Armee. Sie sind geflüchtet, weil sie nicht auf ihre Landsleute schießen wollten. Die griechische Polizei behandelt sie sehr schlecht. Oft höre ich, dass die Situation hier sie an Syrien erinnert, als sie vom Regime verfolgt wurden“, sagt Chala.

Faschisten wären bei Neuwahlen drittstärkste Kraft

Bei der Polizeioperation mit den Namen „Xenios Zeus“, die Anfang August begann, wurden mehr als 18.000 Einwanderer vorläufig festgenommen. Mehr als 2.000 von ihnen wurden wegen illegalen Aufenthalts in Auffanglager gebracht. Die Polizeioperation habe die fremdenfeindliche Stimmung weiter angeheizt, meint Nikodimos. „Sie war Wasser auf die Mühlen der Sympathisanten der neofaschistischen Partei Chrysi Avgi.“ Es sei kein Zufall, dass die Partei der „goldenen Morgenröte“, wie der Name übersetzt heißt, stark zugelegt hat. Laut Umfragen ist der Zuspruch für die faschistische Partei seit ihrem Einzug ins Parlament im Juni auf 12 Prozent gestiegen. Bei Neuwahlen wäre sie heute bereits drittstärkste Kraft.

Die Umfragen beflügeln die Faschisten. Mitglieder und Abgeordnete der Partei gingen erst am Wochenende massiv gegen Einwanderer aus Asien und Afrika vor. Sie zerstörten dabei Stände von ausländischen Straßenhändlern in Athen. Der Minister für öffentliche Ordnung, Nikos Dendias, kündigte inzwischen an, die Fälle zu untersuchen. Der Pressesprecher von Chrysi Avgi, Ilias Kasiadiaris, antwortete ihm lakonisch: „Jedes Mal, wenn der Minister seinen Mund aufmacht, legt Chrysi Avgi um ein Prozent zu.“ Je härter der Sparkurs, desto mehr radikalisiere sich die Gesellschaft, so die Befürchtung vieler Beobachter.

Keine juristische Hilfe

Beim Verein der afghanischen Migranten und Flüchtlinge im Zentrum von Athen spricht Vereinspräsident Mohammadi Yunus aufgeregt in sein Handy. Er wurde gerade benachrichtigt, dass die Polizei seinen Bruder verhaftet hat, obwohl er eine Aufenthaltserlaubnis dabei hatte. Täglich ist Yunus mit ähnlichen Problemen von afghanischen Familien konfrontiert.

Im Nebenzimmer warten mehrere seiner Landsleute, um von ihm beraten zu werden. „Zurzeit werden nur Männer verhaftet”, sagt Yunus, während er auf die Straße eilt, um seinen Bruder zu finden. „Die Frauen und die Kinder bleiben alleine zurück, wenn ihre Männer in die Lager gebracht werden. Dort können sie weder einen Asylantrag stellen noch sich juristische Hilfe holen.“

Der Staat sei mitschuld am Fremdenhass

Ein paar Straßen weiter im Stadtviertel Exarchia sitzt Loreta Makolei erschöpft auf einer Bank. Ihre kleine Mietwohnung liegt ein paar Meter weiter. Exarchia, bekannt als Hochburg der Autonomen, ist eine der wenigen Stadteile, wo sich Einwanderer in Athen sicher gegen rassistische Angriffe fühlen. So auch die zarte Frau mit dem energischen Blick. Sie ist Präsidentin des Vereins der afrikanischen Frauen.

Der Staat sei wegen seiner mangelhaften Flüchtlings- und Migrationspolitik mit Schuld an der Fremdenfeindlichkeit, meint Loreta Makolei. Obwohl sie selbst bereits seit 30 Jahren in Griechenland wohnt, hat sie bislang nur eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis. „Der Staat produziert Papierlose, indem er die Einwanderer ohne Status lässt. Die Politiker hier in Griechenland stellen uns als schwarze Schafe dar. Sie haben es geschafft, dass die Griechen Angst vor uns haben, und wir Angst vor den Griechen.“


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