Russland

Russland entdeckt den fernen Osten

Die Devise ist alt, sie taucht immer wieder auf in Russland: „Auf zum Pazifik!“. Auf zur Größe, zur Macht, zu Geld ließe sich hinzufügen. Der Ferne Osten des Landes, Sibirien, Tschukotka, Kamtschatka, Sachalin sind den Machthabern im Kreml von jeher ein kostbares Gut im Kampf um die Vorherrschaft in Asien. Vor allem jetzt, wo der Westen strauchelt und der Osten boomt, will Russland vom Aufschwung in asiatischen Staaten profitieren und hofft auf zweistellige Wachstumszahlen.

Lange hat Russland seinen Osten vernachlässigt

Noch aber ist das riesige Land ein großer Beobachter in diesem Spiel um Asiens Ressourcen. Noch hat es lediglich Gigantomanie anzubieten und viel Protz: Auf einer spektakulär ausgebauten Insel vor Wladiwostok, Europas Außenposten namens „Beherrsche den Osten“, diskutieren ab heute, 7. September, Wirtschafts- und Politikvertreter beim Gipfel der Asian-Pacific Economic Cooperation (APEC) über freien Handel, Energiepolitik und geostrategische Fragen. Russland ist seit der Gründung des Bündnisses im Jahr 1989 zum ersten Mal Gastgeber der 21 Anrainerstaaten – und spart nicht mit Geld. Umgerechnet etwa 16,5 Milliarden Euro hat sich Moskau den Gipfel kosten lassen, es ist das bislang teuerste APEC-Treffen überhaupt. Die lange Vernachlässigung der fernen Regionen will Russland wieder gutmachen und entdeckt seinen Osten neu.

Fernando Magellan hatte ihn den Stillen Ozean genannt. Still aber waren der Pazifik und das Leben an ihm noch nie. Japan hatte sich praktisch aus den Ruinen heraus in die zweitmächtigste Weltwirtschaftsmacht der 50er bis 70er Jahre verwandelt, das Dorf Singapur wurde zu einem Stadtstaat, Südkorea vermeldete erst ökonomische, dann demokratische Erfolge, Kalifornien lockt mit Hightech, und China hat sich mit seinem wirtschaftlichen Selbstbewusstsein längst wieder in die Mitte gedrängt. Klar, dass Russland in dieser aufsteigenden Weltregion mitmischen will. Doch wo steckt das Land? Abgeschlagen hinterher.

Vor allem die Bodenschätze sind interessant für Russland

Traditionell setzen die Russen auf ihre Bodenschätze. Im pazifischen Raum aber ist der Gipfel-Gastgeber nicht der wichtigste, und vor allem nicht der einzige Rohstofflieferant: Indonesien und Malaysia drängen mit ihrem Flüssiggashandel auf den Weltmarkt, Chile und Peru haben zehn Mal mehr Kupfer anzubieten, Australien zwei Mal mehr Uran und acht Mal mehr Zink.

Das größte Problem in der riesigen Region, in der jeder Einwohner durchschnittlich einen Quadratkilometer für sich allein hat, ist die Logistik. Das macht Russland zu einem Außenseiter. Die Infrastruktur in Russlands Osten, wo das Land gegen den Widerstand der Natur besiedelt wurde, war schon immer teuer und unrentabel. Projekte, die sich lohnen, sind Pipelines und Wasserkraftwerke für die Versorgung Chinas. Die Straßennetze aber sind miserabel, russische Städte sind dadurch mehr voneinander getrennt als miteinander verbunden. Der monopolisierte Flugverkehr macht es für die Passagiere aus dem fernen Osten billiger, über China nach Moskau zu fliegen als direkt. Die Einkommen sind meist niedriger als in der Hauptstadt, die Lebensmittel teurer. Die Jungen und die gut Ausgebildeten verlassen in Scharen die Region. Das will der Staat stoppen.

Fachkräfte sollen in den Osten gelockt werden

Bis 2025 soll die Bevölkerung im Osten zunehmen, 80 Prozent davon sollen hochqualifizierte Fachkräfte sein. So will es das neugeschaffene „Ministerium für die Entwicklung des Fernen Ostens“. Präsident Wladimir Putin will es zu einem mächtigen Organ ausbauen. Die Ressourcen sollen durch ein ihm direkt unterstelltes und mit Sonderprivilegien ausgestattetes Staatsunternehmen erschlossen werden. Die Kreml-Firma soll nach eigenem Ermessen über die Bodenschätze verfügen, ist nicht an bestehende Verträge anderer Wirtschaftssubjekte gebunden und nicht einmal der Regierung rechenschaftspflichtig.

Die Menschen fühlen sich – wieder einmal – übergangen und sehen die Zentralmacht als Okkupanten, die die Industrie in ihren Regionen in den Bankrott treibt. Einige organisieren sich bereits in den ersten sektiererischen Autonomiebewegungen.


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