„Duell zwischen Erzrivalen”
Ostpol: Sie haben wie rund 54 Prozent der Rumänen das Referendum boykottiert. Warum?
Cristi Puiu: Mein Boykott richtete sich gegen das links-liberale Regierungsbündnis USL, das die Amtsenthebung auf eine undemokratische Art und Weise eingeleitet hatte. Ich wollte diese Rechtsverletzung nicht mit meiner Stimme legitimieren. Die USL hat uns das Referendum diktiert, das hat für meine Begriffe wenig mit Demokratie zu tun. Traian Basescu war bei meinem Stimmboykott - und ich vermute für viele andere auch - zweitrangig. Er ist gewiss kein Engel, hat eine Menge unverzeihliche Fehler gemacht, doch er hat die Justizreform mit angeschoben. Das schätze ich sehr an ihm.
Zur Person
Cristi Puiu, geboren 1967 in Bukarest studierte zunächst Malerei in Genf und wandte sich Anfang der 90er-Jahre dem Kino zu. Sein Regiedebüt „Ware und Geld“ (2001) fand internationale Beachtung. Mit seinem Kurzfilm „Eine Stange Kent und ein Päckchen Kaffee“ (2003) gewann er 2004 auf der Berlinale den Goldenen Bären in der Kategorie „Kurzfilm“ ausgezeichnet. Im Jahr 2006 bekam er für seinen Spielfilm „Der Tod von Herrn Lazarescu“ in Cannes den renommierten „Prix Un Certain Regard“. Puiu gilt als einer der renommierten Filmemacher, die das rumänische Kino in den vergangenen Jahren europaweit berühmt gemacht haben.
Jetzt kann Traian Basescu dank Ihres Boykotts Präsident Rumäniens bleiben. Wollten Sie das dennoch erreichen?
Puiu: Traian Basescu hat in seiner bisherigen achtjährigen Amtszeit einen unglaublichen Hass auf seine Person angestaut. Auch weil er 2010 die Verantwortung für die drastischen Sparmaßnahmen übernommen hat. Er war der Sündenbock und als Politiker liegt er bei den Sympathiewerten weit hinten. Doch zeigen Sie mir den Politiker, der nicht für einen solchen Sparzwang abgestraft würde. Die Frage aber bleibt, warum wollte die neue Regierung ihn jetzt opfern? Sie könnte ihn weiter gut in der Krise als Sündenbock gebrauchen.
Hinter dem gescheiterten Amtsenthebungsversuch steckt ein verbittert geführter politischer Machtkampf. Die Akteure sind nach dem Referendum dieselben geblieben. Kann das die Lösung des Machtkampfs sein?
Puiu: Wir haben nach jeder Wahl und jedem Referendum festgestellt, dass der politische Machtkampf immer unerträglicher wird. Er wird nun auch zwischen dem Regierungsbündnis USL und Basescu weitergehen. Solche Konflikte haben bei uns eine lange Tradition. Es gibt eine alte Volkslegende bei uns: Ein Schaf namens Miorita warnt seinen Schäfer, dass er ausgeraubt und getötet wird. In der Geschichte geht es um Brudermord. Diese alte Volksweise können Sie metaphorisch auf die aktuellen Ereignisse übertragen. Statt dass sich die neue Regierung ein Aktionsprogramm bis zu den Parlamentswahlen im Herbst aufstellt, arbeitet sie sich an der Amtsenthebung ab.
Sie lassen in Ihrem Autorenkino Ihre Protagonisten auch schwere Konflikte miteinander austragen. Gibt es Parallelen zum aktuellen Machtkonflikt?
Puiu: Hinter dem Machtkampf steckt kein Duell zwischen den Ideologien. Das Leben ist viel einfacher gestrickt: Hier geht es um ein Duell zwischen Erzrivalen. Es könnten auch zwei rivalisierende Straßengangs sein, doch jetzt sind es eben ranghohe Politiker. Es geht darum, wer der Hahn im Korb ist. Basescu hat lange Zeit diese Rolle für sich beanspruchen können, weil er anders ist als. Er durchbricht alle Codes: Er verletzt den Dress-Code, er spricht als Staatspräsident viel zu direkt und er ist eine Vaterfigur - einer, der für alle der Retter sein will. In einem Land, das erst seit 22 Jahren demokratische Erfahrung sammelt, gewinnt man Wahlen nur, wenn man eine solche Vaterfigur ausfüllt. Nicolae Ceausescu war so, der erste Staatspräsident Ion Iliescu und nun ist eben Basescu so. Auf diesem Feld sollte man ihn nicht herausfordern.
Das links-liberale Bündnis hat sich nicht daran gehalten, kann jetzt aber nach der Abstimmung sagen, dass Traian Basescu rund acht Millionen Rumänen gegen sich hat, die beim Volksentscheid für seinen Rücktritt gestimmt haben. Schwächt ihn das?
Puiu: Es ist sicherlich nicht leicht für ihn, doch Rumänien ist ein Land, in dem von TV-Talkshows aus regiert wird. Ein cleverer Politiker braucht bei uns, kein Wahlprogramm vorzulegen. Er muss es ins Fernsehen schaffen. Das vermittelt den Leuten den Eindruck, er würde ständig Politik machen - dabei redet er nur darüber. Wen man lange genug im Fernsehen gesehen hat, den wählt man schließlich. Doch kann der Effekt auch umgekehrt sein: Basescu ist in der Vergangenheit von fast allen TV-Kanälen dämonisiert worden, man hat aus ihm den Teufel in Person gemacht, bis die Leute schließlich daran geglaubt haben. Hätte er abtreten müssen, müsste ein anderer Politiker die Rolle des Teufels einnehmen. Das ist für viele Rumänen auch das einzige Unterhaltungsprogramm, das sie haben. Denn nach der Wende sind eine Menge Theater und Kinos in den Kleinstädten dicht gemacht worden.
Eine der ersten Regierungsaktionen war ein umstrittenes Eildekret, mit dem das Rumänische Kulturinstitut ICR dem Parlament statt wie bislang dem Staatschef unterstellt wurde. Sie haben dagegen mit anderen Künstlern protestiert, weil sie einen Verlust der kulturellen Autonomie vermuten. Warum haben Sie so wenig Vertrauen ins Parlament?
Puiu: Das ICR ist einer der wenigen Institutionen, die den Ruf Rumäniens im Ausland verbessert hat, jenseits von Dracula, Ceauscescu und Straßenkindern. Ist es dem Senat unterstellt, wird die Institutsleitung nach politischen Kriterien bestimmt. Das heißt im Umkehrschluss, es kommen treue Parteigänger ans Ruder, die oft inkompetent sind und die lieber ihre Freunde und Verwandten, statt die Kultur. Außerdem wird von der Mehrheit der politische Klasse unter rumänische Kultur hübsche Bäuerinnen verstanden, die Volkstänze aufführen. Dahin sollten wir nicht wieder zurückkehren.