"Pussy Riot" drohen sieben Jahre Straflager
Sie tanzten wild in einer Kirche, schrien „Heilige Mutter Gottes, verjage Putin“. Sieben Jahre Strafkolonie könnten sie für die Aktion bekommen. Erst einmal aber bleiben die drei Frauen der russischen Punk-Protestgruppe „Pussy Riot“ für sechs weitere Monate in Untersuchungshaft. Das hat der Richter bei der Verhandlung gestern (Freitag) entschieden. Es ist ein absurder Prozess, der an sowjetische Zeiten erinnert. Wieder einmal.
„Die Mädchen haben eine Riesendummheit gemacht“, sagt ein 40-jähriger Mann, der vor dem Chamowniki-Gericht in Moskau steht. „Jetzt macht die Regierung eine Riesendummheit und bekämpft ihr ganzes Volk.“ Der russische Staat wappnet sich wieder gegen „innere Feinde“, er lässt Busse von Spezialeinheiten auffahren, sperrt Straßen ab, lässt die Anwohner nur vorbei, wenn sie mit einem Eintrag im Pass nachweisen können, dass sie tatsächlich im besagten Haus leben.
Vor dem Gericht patrouillieren bewaffnete Sonderpolizisten, hinter der Absperrung stehen Demonstranten mit Plakaten, „Für die Moral“ prangt auf dem einem, „Wir brauchen eine unabhängige Justiz“ auf einem anderen. Es regnet in Strömen. Vieles erinnert an den Prozess von Michail Chodorkowski, des einstigen Ölmagnaten, der bis 2017 in Haft bleiben muss. Dasselbe Gericht, dieselbe Verhandlungsetage, derselbe Richter. Nun aber geht es nicht mehr um Öldiebstahl, es geht ums Beten und das Verständnis davon, hinter verschlossenen Türen. Es geht um Rowdytum von „Pussy Riot“. Die Mädchen.
Am 21. Februar schleichen sich fünf junge Frauen in die Christi-Erlöser-Kathedrale mitten in Moskau, es ist das Heiligtum der Russisch-Orthodoxen Kirche. Sie haben kurze Kleider und grelle Neonstrümpfe an, schnell streifen sie sich ihre bunten Häkelmützen übers Gesicht und hüpfen wild vor den Ikonen im Altarraum. Sie bekreuzigen sich, sinken auf die Knie, springen wieder auf, schreien „Heilige Mutter Gottes, verjage Putin“. 41 Sekunden dauert die Aktion, schon tragen Wachmänner sie weg. Die Kirche steht Kopf.
Kurze Zeit später taucht bei YouTube ein Video auf, nun 1 Minute 53 Sekunden lang, mit harten Gitarren-Riffs unterlegt und schrillen Frauenstimmen: „Der KGB-Chef lässt Protestierende einsperren. Der Geist der Freiheit ist im Himmel. Die Kirche huldigt dem verfaulten Führer. Der Patriarch glaubt an Putin. Heilige Mutter Gottes, verjage Putin.“ Gesungen im Stil eines orthodoxen Kirchenchores. Nun steht auch der Staat Kopf. Die Jagd auf „Pussy Riot“, den „Mösenaufstand“, beginnt. 2.800 Seiten in sieben Aktenordnern, mehrere Stunden Videoaufnahmen und neun Opfer, Kirchendienerinnen, Wachmänner, Umstehende, ein Priester. Sie seien hochbeleidigt und traumatisiert, heißt es in den Aussagen.
Nadeschda Tolokonnikowa, 22, rehbraune Augen, Mutter einer Vierjährigen, Maria Aljochina, 24, ebenfalls Mutter, und Jekaterina Samuzewitsch, 29, mit den blonden langen Locken haben in den Augen der Staatsanwaltschaft eine „große Verletzung der öffentlichen Ordnung unter Einsatz von Waffen oder aus Hass politischen, ideologischen, rassistischen oder religiösen Ursprungs“ begangen. So steht es im Artikel 213, Absatz 2 des russischen Strafgesetzbuches. Doch „Pussy Riot“ trugen weder Waffen bei sich, noch seien sie von Hass motiviert. Sie hätten gegen die Verschmelzung zwischen Staat und Kirche protestiert, sagen sie. Nicht ohne Grund. Im Präsidentschaftswahlkampf hatte Patriarch Kirill sich offen für Wladimir Putin ausgesprochen.
Es war nicht die erste Skandalaktion der Punk-Feministinnen. Seit vergangenem November gehen sie mit provokanten Auftritten gegen den Staat vor. Sie kletterten auf einen Moskauer Trolleybus und rockten auf dem Dach, auf dem Roten Platz zündeten sie Leuchtraketen an, fluchten und riefen: „Putin pisst sich in die Hose“. Das Vorgehen ist nicht neu. „Pussy Riot“ ist ein feministischer Ableger der Künstlergruppe „Wojna“ (Krieg), die mit ihren provokativen Straßenaktionen seit 2007 ein Katz- und Maus-Spiel mit russischen Behörden treibt.
Mal simulierten die Mitglieder im Biologischen Museum in Moskau Gruppensex vor ausgestopften Tieren – auch die nun angeklagte Nadeschda Tolokonnikowa war damals dabei –, mal malten sie einen riesigen Penis auf einer St. Petersburger Brücke und nannten die Aktion „Sch…z gefangen beim FSB“. Als die Brücke aufging, zeigte die Zeichnung auf den Inlandsgeheimdienst FSB. Dafür bekam „Wojna“ im vergangenen Jahr einen Innovationspreis für Kunst vom Kulturministerium verliehen. Nur angenommen haben die Aktionskünstler ihn nicht. Sie paktieren nicht mit dem Staat, sie kämpfen gegen ihn. Im Gerichtssaal und im Untergrund.