Russland

„Das wird dem Kreml noch sauer aufstoßen“

ostpol: Frau Alexejewa, das russische Parlament berät heute in erster Lesung eine Gesetzesinitiative, die NGOs mit internationaler Finanzierung zu „ausländischen Agenten“ abstempelt. Es zwingt sie zur Neu-Registrierung und Offenlegung ihrer Finanzen. Andernfalls drohen hohe Geldbußen, Arbeitsverbot oder sogar Gefängnisstrafen. Wie wird die von Ihnen mitgegründete Moskauer Helsinki-Gruppe auf die Gesetzesinitiative reagieren?

Ljudmila Alexejewa: Der Kreml wartet umsonst darauf, dass wir uns als „ausländischer Agent“ registrieren. So ein Schandmal lassen wir uns nicht verpassen. Wenn das Gesetz beschlossen wird, werden wir auf westliche Finanzierung verzichten. Einschränkungen unserer Arbeit nehmen wir in Kauf. Wie andere Vertreter der Zivilgesellschaft handeln werden, weiß ich nicht.

Wie wird sich Ihre Organisation finanzieren, falls Sie auf westliche Gelder verzichten?

Die Moskauer Helsinki-Gruppe hat keine alternativen Finanzierungsmöglichkeiten. Ich bin Rentnerin, ich kann umsonst arbeiten. Für Monitoring und Bildungsarbeit, den größten Teil unserer Arbeit, gibt es dann keine Ressourcen mehr. Wir werden umso mehr Zeit haben, um auf die Öffentlichkeit einzuwirken, von morgens bis abends. Das Gesetz wird dem Kreml noch sauer aufstoßen.

Russische Parlamentarier beziehen sich auf das US-amerikanische Foreign Agent Registration Act (FARA), um ihren eigenen Gesetzesvorstoß zu legitimieren.

Das ist doch völliger Quatsch, ich habe das amerikanische Gesetz gelesen: Es wurde 1938 beschlossen, als in Deutschland der Faschismus und bei uns der Stalin-Terror wütete – ein völlig anderer Kontext. Man wollte sich vor dem Einfluss ausländischer Agenten schützen. Niemand bedroht Russland – und in den USA erklärt niemand ausländisch finanzierte NGOs zu „Agenten“. Unter das Gesetz fallen dort zum Beispiel Handelsvertretungen und ausländische Lobbygruppen.

Das Gesetz unterscheidet zwischen politischen und sozial-humanitären NGOs. Kann eine NGO sozial engagiert sein, ohne politische Forderungen zu stellen?

Ich denke, unsere Arbeit ist per se nicht politisch. Wir machen Bildungsarbeit, keine Politik. Aber natürlich versuchen wir die öffentliche Meinung zu beeinflussen, insofern sind wir nach dem neuen Gesetz politisch. Und das, obwohl wir lediglich den Bürgern erklären: Ihr habt Rechte, setzt euch für sie ein! Das habe ich nie für Politik gehalten, sondern für den Schutz von Bürgerrechten.

Sie haben die mangelnde staatliche Finanzierung von NGOs kritisiert.

Wenn der Staat bereit ist, bestimmte Projekte zu finanzieren, die mit unserem Selbstverständnis und mit unseren Zielen vereinbar sind, sehe ich darin kein Problem. Sollte der Staat aber sagen „Macht das nicht, macht stattdessen jenes“, dann können wir das Geld nicht annehmen.

Welche Perspektiven sehen Sie für das Fundraising innerhalb Russlands?

Von der Wirtschaft ist nicht viel zu erwarten, denn in Russland ist sie vom Staat abhängig. Wenn ein Wirtschaftsführer an Menschenrechtsorganisationen spendet, riskiert er, sein Unternehmen zu verlieren – oder sogar hinter Gittern zu kommen.

Gibt es auch Unterstützung von Privatpersonen?

Für Protestmärsche wird schon Geld gesammelt, oder für unabhängige Wahlbeobachter. Für laufende Kosten einer NGO wird kaum gespendet. Da ist ein Bewusstseinswandel notwendig.

Sollte das Gesetz beschlossen werden: Welche Reaktionen erwarten Sie von westlichen Politikern?

Ich werde mich an den US-Senat und das europäische Parlament mit der Bitte wenden, die sechs Parlamentarier, die als Autoren der Gesetzesänderung gelten, zu personae non grata zu erklären. Im Grunde ist es kein Geheimnis, wer wirklich dahinter steckt – das Gesetz wurde natürlich im Kreml geschrieben. Aber der Kreml muss den Schein wahren. Die Initiatoren verstoßen mit ihrem Vorschlag offensichtlich sowohl gegen das russische Grundgesetz als auch gegen die von uns unterzeichneten internationalen Menschenrechtsabkommen.

ZUR PERSON
Ljudmila Alexejewa, geb. 1927, war seit 1960er Jahren in der sowjetischen Menschenrechtsbewegung aktiv. 1976 hat sie die Moskauer Helsinki-Gruppe mitbegründet, welche von der Sowjetunion die Einhaltung von Menschenrechten einforderte. 1977 zur Ausreise in die USA gezwungen, setzte Alexejewa ihre Arbeit in der Emigration fort. 1993 kehrte sie nach Russland zurück. Sie gilt als eine der schärfsten Kritikerinnen der russischen Menschenrechtspolitik.


Weitere Artikel