Griechenland

„Der Krieg geht weiter“ / Interview mit Alexis Tsipras

Bis jetzt haben Sie als Oppositionspartei eine vorteilhafte Position gehabt, weil Sie keine Verantwortung übernehmen mussten. Seit den Wahlen hat sich die politische Landschaft völlig verändert. Ihr Versuch, eine linke Regierung zu bilden, ist gescheitert. Ist es überhaupt möglich, unter den gegenwärtigen Bedingungen in Griechenland eine linke Regierung zu bilden?

Tsipras: Am 6. Mai hat das griechische Volk den ersten Schritt gemacht. An diesem Abend hatte ich erklärt, dass wir eine Schlacht gewonnen haben, aber noch nicht den Krieg. Der Wirtschaftskrieg, der seit drei Jahren gegen die Arbeitswelt stattfindet, geht weiter. Das korrupte System, das an der Macht ist, kämpft weiter, um noch lange an der Macht zu bleiben. Eine linke Regierung ist für dieses korrupte System ein Albtraum. Dieses System konnte durch absurde Wahlgesetze, Erpressung durch die EU-Troika und Terrorisierung der Bevölkerung verhindern, dass sich eine linke Regierung bildet. Irgendwann wird dies aber nicht mehr gelingen. Nicht nur in Griechenland, sondern in ganz Europa. Seit Jahren haben die Politiker dieses Systems vermieden, die Stimme des Volkes zu hören und haben das Volk unterschätzt. Sie schufen Gesetze so, als ob es keine Gesellschaft gäbe, so als ob sie außerhalb dieser Gesellschaft lebten. Deshalb haben sich die Wähler so vehement gegen ihre Politik entschieden. Da das Volk den ersten Schritt gemacht hat, beginnt jetzt die schönste Reise auf dem Weg der Hoffnung und der Visionen. Eine linke Regierung, oder eine Regierung, die die linken Parteien als Kern haben wird, ist nun nicht mehr zu verhindern

 Viele sagen, dass wenn die mit der EU-Troika vereinbarten Sparmaßnahmen nicht eingehalten werden, Griechenland Pleite gehen wird und dem Land der Austritt aus der Eurozone droht. Für wie möglich halten Sie diese Entwicklung demnächst?

Tsipras: Die Krise ist durch Absicht entstanden. Alle Arbeits- und Sozialrechte, die nach dem Zweiten Weltkrieg von der Gesellschaft errungen wurden, sollten wieder rückgängig gemacht werden. Wir können die Krise bewältigen, wenn wir eine andere Wirtschaftspolitik anwenden. In der gegenwärtigen Phase versucht man, die Griechen zu terrorisieren, damit sie keinen Widerstand leisten können. Griechenland wird Pleite gehen und aus der Eurozone austreten, wenn die Politiker mit diesem radikalen, neoliberalen Rezept weitermachen. Am Anfang hieß es, es war die Schuld der Griechen, weil sie das Sparprogramm nicht richtig umsetzten. Portugal und Irland haben gute Noten bekommen, weil sie „gute Schüler“ waren und ihre Hausaufgaben machten. Heute aber bewegen sich diese beiden Länder in dieselbe katastrophale Richtung, in der sich auch heute unser Land befindet.

Für wie weit möglich halten Sie eine Νeuverhandlung des Sparpakets unter den gegenwärtigen Bedingungen?

Tsipras: Zwei dieser Sparprogramme sind schon gescheitert, und wir sind jetzt auf dem Weg zu einem dritten Sparprogramm. Auch nach dem Schuldenschnitt sind die Verpflichtungen Griechenlands nicht mehr zu tragen. Und die Politik der innergriechischen Abwertung bringt nur Unglück ohne irgendein Ergebnis. Griechenland muss das vereinbarte Sparprogramm anfechten und mit der Troika neu verhandeln. Es gibt immer noch Raum für neue Verhandlungen, denn keiner will sein Geld verlieren. Warum ist es z.B. für Rumänien möglich geworden, mit der Troika neu zu verhandeln und dadurch viele Vorteile zu gewinnen, und warum ist es dann nicht auch für Griechenland möglich? Dass es nichts zu verhandeln gibt- das ist ein Argument der Troika und der griechischen Politiker, die an der Macht waren und zum politischen Personal der Troika geworden sind, und die sowieso nie und um nichts mit der Troika verhandelt haben. Eine frische linke Regierung könnte nicht nur noch einmal mit der Troika über die belastenden Schulden des Landes verhandeln, sondern diesem Kreditvertrag der Unterwerfung und diesen harten Sparmaßnahmen ein Ende setzen.

Die Griechen haben gegen die Sparmaßnahmen abgestimmt. Ebenfalls die Franzosen. Es sieht so aus, als ob die Bürger Europas diesem Weg nicht mehr zustimmen. Welcher muss Ihrer Meinung nach der nächste Schritt sein?

Tsipras: Griechenland muss mit den Ländern, die sich in derselben Lage befinden, eine gemeinsame Front schaffen. Alle diese Länder müssen eine neue Politik verlangen und einen Schutz dieser Länder gegen die Spekulanten der Finanzmärkte. Ein Ausweg aus der Krise kann nur durch Wachstumsmaßnahmen geschaffen werden. Er kann nicht stattfinden, indem man die Ökonomien Europas in die Hoffnungslosigkeit treibt. Es wird bald ein Protest aus allen europäischen Gesellschaften zu hören sein, gegen das Vorgehen der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds. Es wird zur großen Ablehnung des europäischen Spar- und Kürzungspakts kommen. Und dies, weil die Arbeiterwelt, die Völker, dynamisch in den Vordergrund treten werden. Es reicht nun mit dem Europa der Banken.


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