Moldawien

Das unbekannteste Land Europas

Gelegen zwischen Rumänien und der Ukraine ist die Republik etwas größer als Belgien und verfügt zum gegenwärtigen Zeitpunkt über rund drei Millionen Einwohner, Tendenz weiterhin sinkend. Als Teil des historischen Moldawiens, einer der drei territorialen Einheiten, aus denen sich der Vorläufer des heutigen Rumäniens zusammensetzte, wurde es zum Besitz der Ottomanen, bevor es 1812 dem russischen Imperium zugeschlagen wurde.

Nicht frei von Druck wurde dieses Gebiet 1918 mit Rumänien vereinigt, dann aber 1940 zunächst besetzt und endgültig 1944 von der Sowjetunion gewaltsam annektiert. Die Grundlage dafür war wie bei den baltischen Staaten das Geheimabkommen zwischen Hitler-Deutschland und der UdSSR, mit den gleichen Konsequenzen - Deportation nicht nur der rumänischsprachigen Elite nach Sibirien; künstlich hervorgerufene Hungersnöte, um den Bauern die Kollektivwirtschaft aufzuzwingen; Russifizierung und verstärkte Ansiedlung russischer Bevölkerung; etc. - wobei das Schicksal Moldovas bis heute wesentlich weniger bekannt ist und dem bis jetzt international kaum Beachtung geschenkt wird.

1991 wurde das Land unabhängig und führte die rumänische Fahne mit einem zusätzlichen Wappen als Nationalflagge ein; die historische Bezeichnung Moldawien wird seit dem aus Gründen der (auch) politischen Korrektheit grundsätzlich bewusst nicht mehr gebraucht. Auch wenn "Republik Moldau" die offizielle Bezeichnung des Landes im deutschen Sprachraum ist, so setzt sich aufgrund der Verwechslungsgefahr immer mehr der rumänischsprachige und gleichzeitig englische Name "Moldova" (und "Moldavia" für die angrenzende Region in Rumänien) auch in Deutschland durch, so zum Beispiel als offizielle Benennung der universitären Forschungseinrichtung "Moldova Institut Leipzig". Die Bevölkerung wird vorläufig auf Deutsch "Moldauer" genannt; ganz überwiegend ist sie christlich-orthodoxer Konfession. Ein weiterer historischer Name, "Bessarabien", wird jetzt nur noch gelegentlich in Rumänien als Bezeichnung für die heutige Republik Moldova verwand.


Der Fluss Dnjestr / Jan Peter Abraham, n-ost

Seine zu Zeiten der Sowjetunion von Stalin an die Ukraine verschenkten Regionen und damit auch seinen direkten Zugang zum Meer hat Moldova - von einem ZEIT-Redakteur in diesem Zusammenhang netterweise einmal ein "Abfallprodukt der Geschichte" genannt - mit den Veränderungen Anfang der 90er Jahre nicht zurück erhalten. Das Land, in dem zu 70 Prozent Rumänisch als Muttersprache gesprochen wird, ist heute ein souveräner Staat (Hauptstadt: Chişinău - sprich Kischinäu), der, im Verbund mit anderen ehemaligen Sowjetrepubliken, der seit ihrer Gründung überwiegend nutzlosen Gemeinschaft unabhängiger Staaten angehört und militärisch neutral ist.

Dazu kommt noch die Mitgliedschaft in der bisher ebenso tatenlosen GUAM genannten Organisation, in der sich Georgien, die Ukraine, Aserbaidschan und Moldova zusammengeschlossen haben. Obwohl der moldauische Präsident vom Parlament gewählt wird und daher von einer parlamentarischen Demokratie ausgegangen werden sollte, wird die Politik doch von einem sehr dominierenden Staatsoberhaupt bestimmt, so dass der Unterschied zu einer Präsidentialrepublik nach französischem Vorbild kaum zu erkennen ist. 

Während die Visumspflicht für die Republik Moldova seit Beginn 2007 für Europäer praktisch vollständig aufgehoben wurde - ausgenommen der Bürger der Balkanstaaten außerhalb der EU - müssen die Moldauer aufgrund der Ungerechtigkeit der Geschichte nunmehr für jedes Land westlich von ihnen ein Visum beantragen.

Die Gagausen, ein kleines Turkvolk (100.000 Menschen), das seit einigen hundert Jahren auf dem Gebiet der heutigen Republik Moldova wohnt, genießen in dem Land Autonomiestatus. Als Ergebnis der russischen Dominanz zu Sowjetzeiten spricht die Mehrheit von ihnen allerdings nicht mehr ihre eigene Sprache - mehr als 80 Prozent des Wortschatzes entspricht dem Türkischen - sondern nur mehr Russisch, und kennt kaum mehr die eigene Kultur.

Ausschließlich auf Russisch kommuniziert ebenso die Regierung östlich des Flusses Dnjestr, die 1991 die "Moldauische Republik Transnistrien" ausrief und deren Gründung 1992 zu einem fast fünfmonatigen Krieg zwischen dem moldauischen Zentralstaat und Russland führte, bei dem bis zu 1000 Menschen getötet wurden. Konkret geht es dabei um einen Landstrich, der von der Fläche her etwas kleiner als Luxemburg ist, und wo zu diesem Zeitpunkt bestenfalls noch vierhunderttausend Menschen leben. Bis heute wird das Regime in der Stadt Tiraspol offiziell international von niemandem anerkannt, aber gleichzeitig von Moskau bei einer Vielzahl illegaler Machenschaften gedeckt und unterstützt.

Der von Russland 1999 offiziell angekündigte Abzug seiner Soldaten innerhalb von zwei Jahren aus der separatistischen Region ist bis heute nicht erfolgt; eine demokratische Entwicklung wurde dort nie zugelassen, freie Wahlen hat es nie gegeben. Die Russische Föderation besetzt damit völkerrechtlich illegal einen Teil eines souveränen Staates, was so formuliert auch wiederholt von moldauischer Regierungsseite offiziell erklärt wurde.

In Moldova existieren außer ethnischen Russen noch größere Minderheiten von Ukrainern, Bulgaren, Polen und Roma; die Bessarabiendeutschen sind so gut wie fast ganz verschwunden, die Verbliebenen (rund 800) sprechen mehrheitlich kein Deutsch mehr, sondern in der Regel ausschließlich Russisch (d.h. also noch nicht einmal Rumänisch).

Anders als beim westlichen Nachbarn Rumänien, der zum Januar 2007 Mitglied der Europäischen Union wurde, ist die Situation in Moldova sicherlich deswegen so faszinierend, als dass hier der Umbauprozess von einer ehemaligen Sowjetrepublik hin zu einem unabhängigen, europäischen Staat noch relativ ziellos, aber lebendig verläuft. In den 90er Jahren gelang es den verschiedenen moldauischen Regierungen unter zwei verschiedenen Präsidenten - Snegur und Lucinschi - nicht, Bedingungen herzustellen, die der Bevölkerung ein Überleben ermöglichten.

Auch die Einführung einer eigenen nationalen Währung (des Leu) anstelle des russischen Rubels, zu einem früheren Zeitpunkt als in allen anderen ehemaligen Sowjetrepubliken, zahlte sich nicht aus. Die etlichen Parteiengründungen führten anstatt zu mehr Meinungsvielfalt zu einem bis heute herrschenden Überangebot, mit der Konsequenz, dass die Opposition es nicht vermocht hat, auf nationale Ebene auch nur einen einzigen intelligenten, Vertrauen erweckenden und beliebten Politiker hervorzubringen, der vom Volk gewählt werden würde.

Die Rückkehr der Kommunisten an die Macht im Jahre 2001 überraschte zwar insbesondere auch diese selber, erscheint im Rückblick aber die logische Schlussfolgerung aus den Erfahrungen der Vorjahre gewesen zu sein. Das eindeutig an Russland oriertierte Wahlprogramm von Anfang des 21. Jahrhunderts musste vier Jahre später zwar ebenso eindeutig als an Europa orientiert präsentiert werden, doch dank der Wiedereinführung der Zensur und Behinderung der Arbeit der Opposition wurde die Wiederwahl der kommunistischen Regierung im Frühjahr 2005, mit Unterstützung der christdemokratischen Partei, ermöglicht.

Während die georgische Regierung etwas zu eifrig den USA huldigt, die Ukraine aus ihren innenpolitischen Querelen nicht herauskommt und sich Belarus trotz einiger Konflikte politisch-kulturell vorerst noch ganz klar gen Russland positioniert, befinden sich die Moldauer so zu diesem Zeitpunkt wirklich zwischen allen Fronten: Einerseits auf nationaler Ebene zwischen einer mehrheitlich europafreundlichen Bevölkerung und einem betont pro-russischen (und zugleich neu-russisch-orthodoxen, im Gegensatz zu rumänisch-orthodoxen, was näher liegen würde) und gleichzeitig kommunistischen Präsidenten, Vladimir Voronin, der diesen Widerspruch dadurch zu lösen sucht, dass er auf internationalem Parkett ständig abwechselnd positive und negative Zeichen in jede der beide Richtungen auszusenden scheint.

Andererseits befindet sich Moldova international eingekeilt zwischen zwei wenig hilfreichen und zum Teil prätentiösen Nachbarn und dazu noch unter massivem Druck von Seiten Moskaus, das im "Verzicht" auf dieses Land (und das betrifft nicht nur Transnistrien) noch so viele Zugeständnisse wie möglich von den Europäern erpressen will und nur an zweiter Stelle seinen Einfluss in der Region nicht verlieren möchte. Dass der deutlich europäische Charakter das Land immer weiter in Richtung EU treibt und man da langfristig nicht mehr viel machen kann, weiß auch Russland.

Vorläufig hat man mit dem ersten Vorsitzenden der kommunistischen Partei Moldovas - zu Sowjetzeiten Polizeidirektor mit Ausbildung in Moskau - im Präsidentenamt jedoch noch einen Statthalter in Chişinău, mit dem für die nächsten eineinhalb Jahre bis Frühjahr 2009 keinerlei für die RF beunruhigenden politischen Veränderungen zu erwarten sind. Und selbst dann könnte die moldauischen Altkommunisten wohl noch ein letztes Mal die Parlamentswahlen gewinnen, denn die Manipulation eines bedeutenden Segmentes der Wähler - eben jener alten, sowjetnostalgischen Menschen, die geblieben sind, weil sie nicht auswandern können - ist einfach. Während man diesen vormacht, dass man eine pro-europäische Politik verfolge, aber in Wirklichkeit versucht, die Interessen Moskaus zu befriedigen, wandert der Teil der moldauischen Bevölkerung, der verstanden hat was abläuft, weiterhin in Scharen aus und lässt den Kommunisten damit freie Hand.

Die unterentwickelte Kultur des Streikens und des Demonstrierens ist neben der fehlenden Demokratietradition mit Schuld an dieser überaus paradoxen Situation.    Obwohl so beispielsweise von Seiten der aktuellen moldauischen Regierung demonstrativ von großen Anstrengungen in Richtung europäischer Integration des Landes die Rede ist, sind doch die konkreten Ergebnisse des seit gut zweieinhalb Jahren laufenden Partnerschaftsabkommens zwischen EU und der Republik Moldova bisher äußerst mager und die europäischen Institutionen vor Ort - gut ein Dutzend Botschaften, die OSZE, der Europarat und die Europäische Delegation - enttäuscht.

Plakativ heißt die betreffende Behörde zwar offiziell sogar "Ministerium für auswärtige Angelegenheiten und europäische Integration", in Wirklichkeit aber betreibt der von den Kommunisten verwaltete staatliche Apparat in Moldova seit 2001 eine Politik des Hinhaltens gegenüber der demokratischen Staatengemeinschaft, die Vorgabe von Seiten der Regierung lautet dabei, alle integrierenden Maßnahmen so lang wie möglich hinauszuzögern.

Die Botschaften und EU-Organe in Chişinău vermeiden es unglücklicherweise ihre Kritik an der moldauischen Regierung öffentlich zu machen und akzeptieren, dass häufig genug allein die kommunistische Regierung festlegt, wie finanzielle Unterstützung aus dem Ausland verteilt wird (so zum Beispiel aktuell die EU-Hilfe nach der verheerenden Sommerdürre in diesem Jahr, die den Großteil der moldauischen Ernte zerstört hat).

Gleichzeitig blockiert die EU wiederum die Entwicklung der moldauischen Zivilgesellschaft dadurch, dass sie seltsamerweise nur vereinzelt Moldova als Teil Südosteuropas anerkennt und es damit im Vergleich mit ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken - die ebenso wenig EU-Mitglieder wie die Republik Moldova sind - deutlich bei der Vergabe von Förderung und insbesondere auch bei kulturell integrierenden Maßnahmen benachteiligt. Es gibt Programme für den Balkan und es gibt Programme für die slawischen, kaukasischen und zentralasiatischen GUS-Republiken, aber Moldova fällt immer wieder aus allen Kategorien hinaus, anders als die baltischen Republiken hat es nie eine Lobby besessen und zwar weder im wirtschaftlichen noch im akademischen Bereich.

Slawisten sind ebenso wenig wie Romanisten an dem Land interessiert, anders als im Baltikum gibt es auch keine herausragenden Persönlichkeiten, die nach jahrzehntelangem Exil oder als erste im westlichen Ausland geborene Generation moldauischer Familien in die alte Heimat zurückgekehrt sind, dort investieren und positive politische Zeichen setzen würde.

Die heutige moldauische Regierung hat praktisch alle Prozesse (bereits mehr als 60) der eigenen Bevölkerung gegen sie vor dem europäischen Menschengerichtshof in Den Haag verloren und weigert sich trotzdem beharrlich, selbst verkündete, eigene Verpflichtungen umzusetzen. Dies ist ein Indikator dessen, wie es um das Justizsystem bestellt ist, das unter den Kommunisten wiederum seine aufkeimende Unabhängigkeit verloren hat und sich zum Vollstrecker ihrer Interessen macht. Der Präsident leistet es sich regelmäßig, die Opposition im Staatsfernsehen in drastischer Weise verbal zu verunglimpfen und ihr Straftaten zu unterstellen - seine Immunität schütz ihn ebenso vor Strafverfolgung wie eine gefügige Justiz, die auf Anordnung von oben Oppositionspolitiker festnehmen lässt und versucht, diesen Verfahren anzuhängen.

Transparenz ist für die kommunistisch verwalteten Regierungsinstitutionen ein Fremdwort, statt Demokratie zu fördern geht es ihr darum, Demokratie zu verhindern. In den staatlichen audiovisuellen Medien wird indirekt, aber deutlich Zensur ausgeübt, das Recht auf freie Meinungsäußerung wird nicht respektiert. Die Presse ist zwar frei, allerdings bedient sich hier auch die Opposition der Zensur, so dass bei pro-europäischen und pro-rumänischen Publikationen Kritik an dem westlichen Nachbarland selten zugelassen wird.

Obwohl die empfehlenswert schöne Nationalhymne des Landes, "Limba noastră" (Unsere Sprache), von der Bedeutung der rumänischen Sprache für das moldauische Volk schwärmt - die Unabhängigkeitsbewegung Ende der 80er Jahre machte die Anerkennung dieser zu einer ihrer Hauptforderungen - so darf in keinem offiziellen Dokument davon als "Rumänisch" die Rede sein. Nach der Annektierung durch die UdSSR wurde die Bevölkerung mehr als 40 Jahre gezwungen, Rumänisch mit kyrillischen Buchstaben zu schreiben; das wurde "Moldawisch" genannt.

Die kommunistische Regierung der Republik Moldau, die bis heute nahezu alle sowjetisch-kommunistischen Feiertage begeht, hat nach ihrer Wahl erneut diese Bezeichnung eingeführt, wenn auch nur noch in Transnistrien das Rumänische nach wie vor auf Grundlage des kyrillischen Alphabets (sic !) geschrieben wird. In den 16 Jahren seiner Unabhängigkeit ist Moldau vor allem durch seine wirtschaftlichen Probleme bekannt geworden, - in den Statistiken wird es seit Jahren als das ärmste Land Europas ausgewiesen -, und belegte vor rund einem Jahr in einem UN-Bericht den zweiten Platz unter den Ländern, die von den Überweisungen der ins Ausland emigrierten Bevölkerung abhängig sind.

Die Bevölkerung in der Republik Moldova existiert in der Tat heute ebenso essentiell wie der ganze Staat nur aufgrund von dem Geld, das aus dem Ausland geschickt wird, privat von Verwandten oder staatlich über internationale Institutionen. Bedingt durch den wirtschaftlichen Einbruch im Agrarbereich, dem wichtigsten Wirtschaftzweig des Landes, haben seit der Unabhängigkeit deutlich über eine dreiviertel Millionen Menschen, - andere Schätzungen sprechen von über einer Million -, das Land verlassen und arbeiten zum großen Teil illegal bevorzugt in Italien (vor allem junge Menschen und dabei überwiegend Frauen) oder Russlands beiden Hauptstädten (meist Menschen, die noch zu Sowjetzeiten ausgebildet wurden, eher Männer).

Während ihre Altersgenossen im Westen als Frührentner durch die Welt reisen und ein vergleichsweise sorgloses Leben führen, sind es auch besonders viele Ende 50-Anfang 60-jährige Moldauer, die am Ende ihres Arbeitslebens noch einmal gezwungen sind, im Ausland getrennt von ihren Familien niedrigen Beschäftigungen in häufig prekären Umständen nachzugehen. Bekannt ist das Problem des ausgedehnten Menschenhandels mit jungen Frauen, die überwiegend in der Türkei, im Balkan und arabischen Staaten sexuell ausgebeutet werden. Heute sind ganze Dörfer in der ehemals dicht besiedelsten Sowjetrepublik fast ausgestorben oder werden nur noch von Alten und Kindern bewohnt, deren Eltern sie häufig seit vielen Jahren nicht mehr gesehen haben.

Neben dem privat organisierten brain drain überraschenderweise auch vieler, an sich privilegierter erwachsener Kinder von nationalen Größen wie Politikern, Wirtschaftsbossen und Künstlern sorgen offizielle staatliche Institutionen wie die kanadische Regionalregierung von Québec mit richtiggehenden Werbekampagnen dafür, dass Moldova, was Facharbeiter angeht, weiter ausblutet. Die miese wirtschaftliche Lage ist dabei nicht nur die Folge von Entwicklungen vieler Jahre, die man bisher nicht bekämpfen konnte, sondern ebenso von konkreten, aktuellen Entscheidungen.

Als direktes politisches Druckmittel hat Russland seit dem Frühjahr 2006 ein Importverbot für moldauische Agrarprodukte (vor allem Wein) verhängt und damit den Ruin Dutzender Betriebe provoziert, die bis zu 90 Prozent vom russischen Markt abhängig sind bzw. waren. Gleichzeitig hat die aktuelle kommunistische Regierung in Moldova bisher nur halbherzig oder gar nicht die Öffnung der Märkte der EU für ihre Produkte verfolgt.

Wohl das beste Symbol für die gegenwärtige wirtschaftliche Lage in dem Land ist so nach wie vor das völlig alltägliche Bild von mit Stroh beladenen Pferdekarren auf den Dörfern, deren Besitzer gleichzeitig lenken und am Mobiltelefon reden. Wie fast überall auf der Welt springt einem dabei auch in Moldova die Armut selten ins Auge, zumal nicht in der Hauptstadt, wo ausländisches Kapital eine eigene, überwiegend primitive Elite von rücksichtslosen Neureichen herangezüchtet hat, doch wo traditionell insbesondere Frauen im gesellschaftlichen Leben allgemein bedeutend eleganter gekleidet als der europäische Durchschnitt auftreten.

Die Entwicklungshilfe von Seiten der EU-Staaten fällt überraschend gering aus; seit Jahren am aktivsten ist die schwedische Entwicklungsagentur. Die deutsche Unterstützung, vertreten insbesondere durch die GtZ, brennt in Europas ärmstem Land auf absoluter Sparflamme, die Arbeit wird absurderweise von Deutschland aus koordiniert und innerhalb von 16 Jahren wurde in Moldova nicht einmal die Struktur aufgebaut, wie sie in anderen, vom BMZ geförderten Entwicklungsländern mit einer insgesamt besseren Wirtschaftslage existiert.

Außerhalb Chişinăus existieren auch in größeren Orten Probleme mit der ständigen Trinkwasserversorgung; selbst in Städten um die zehntausend Einwohnern haben die Menschen seit vielen Jahren häufig nur ein paar Stunden pro Tag fließend Wasser oder müssen es grundsätzlich aus mittelalterlich anmutenden Brunnen heraufholen. Zentralheizung gibt es ebenso so gut wie nirgendwo flächendeckend außerhalb der Hauptstadt. Überall existiert inzwischen das neue Problem, wie man mit den Mengen von Plastikmüll fertig wird. Alles in allem existiert ein großer Bedarf im Bereich Verbesserung der Infrastruktur.

Doch die GTZ vertraut in ihrer Arbeit in Moldova nur auf ein paar einheimische Angestellte, die keinerlei Deutsch beherrschen und sich mit anderen Fragen beschäftigen sollen. Der deutsche Botschafter gibt vollmundige und optimistische Interviews, in der er von deutscher Seite aus Hilfen für das Land verspricht, die aber nicht realisiert werden. Während früher immer wieder Moldauer als Berater im Auftrag der Sowjetunion einige Jahre in den Ministerien afrikanischer Staaten tätig waren - galt man doch bis Ende der 80er Jahre als Genossen aus einem "hoch entwickelten Land" - so finden sich die ehemaligen Entwicklungsarbeiter heute in einer Situation wieder, wo ihr Land selber ein Entwicklungsland auf südamerikanischem Niveau geworden ist.

Diejenigen moldauischen Immigranten, die (fast immer nur für einen Besuch) zurückkommen, haben die Chancen der einheimischen Bevölkerung noch dadurch sehr verschlechtert, dass sie mit ihren ersparten Devisen massiv insbesondere Immobilien aufkaufen oder bauen lassen - ein Bauboom neuer, moderner Gebäude sowie von mehr und mehr Spielsalons und Kasinos ist in Chişinău auf Schritt und Tritt sichtbar - und als Konsequenz die Lebenshaltungskosten für die Normalbürger in ungeahnte Höhen haben steigen lassen. In Verbindung mit der permanenten Wirtschaftskrise hat das Geld aus dem Ausland die Korruption stark ausgebreitet, welche vor allem auch im Bildungsbereich allgegenwärtig ist.

Da die Gehälter für Dozenten lächerlich gering sind, findet man kaum junge Wissenschaftler - zumal männliche - unter dem Personal der Hochschulen, welches zum bedeutenden Teil aus Professoren besteht, die das Pensionsalter bereits überschritten haben.  Ob die Nähe zur EU, an die Moldova jetzt direkt angrenzt, positive wirtschaftliche Auswirkungen haben wird, bleibt abzuwarten. Ein erstes Ergebnis davon sind auf jeden Fall einige Hunderttausende von Anträgen der Bevölkerung auf Erlangung der rumänischen Staatsbürgerschaft, was den kolonialistisch-nationalistischen Bestrebungen der Bukarester Regierung gelegen kommt, die gleichzeitig aber bei sich im Land die Moldauer gerne auch weiterhin auf anderer Ebene diskriminiert.

In Moldova selbst müssen wahrscheinlich noch weitere 15 Jahre vergehen, bis eine erste positive Entwicklung die gesamte Bevölkerung erreicht, die Zahl der Opfer des Überganges von Sowjetrepublik zu unabhängigem, lebensfähigen Staat dürfte dabei der Bevölkerungszahl einer komplett verlorenen Generation entsprechen, der es zu Sowjetzeiten vermutlich wirtschaftlich nicht nur besser, sondern vergleichsweise gut ergangen wäre. Die politischen Freiheiten und das Recht auf freie Meinungsäußerung bringen den Menschen nichts, wenn ihnen ihre auch für nationale Maßstäbe extrem niedrigen Löhne nicht die Möglichkeit geben, diese Rechte auszuüben.

Patriotismus ist schön und gut, das Geld, um annährend ein normales Leben zu führen aber letztlich entscheidender. Der Zustand, in dem sich das Land heute befindet, ist vor allem das Ergebnis einer Mannschaft von Bürokraten, die inzwischen im Alter zwischen 50 und 70 Jahren sind und sich nicht mehr auf die neuen Bedingungen nach 1990 eingestellt haben. Es gibt in Moldova durchaus schon jetzt eine ganze Reihe von wachen Geistern, die kompetent sind und sehr genau wissen, was man machen muß, damit es dem Land besser geht. Doch leider finden sie vorerst keine Anstellung beim Staat und müssen froh sein, wenn sie bei engagierten Nichtregierungsorganisationen unterkommen können.

Als Teil des ehemaligen Moldawiens sehen die Intellektuellen und Künstler in der Republik Moldau ihre Identität sowohl in der rumänischen Tradition bis hin zum entfernten Balkan, als auch der slawischen Kultur, die der Region trotz allem, gewollt oder ungewollt, über lange Zeit ihren Stempel aufgedrückt hat - um das Land zu verstehen, muss man zweisprachig sein, selbst wenn dabei das Rumänische sicherlich absoluten Vorrang vor dem Russischen hat.

Insbesondere moldauer Schriftsteller hoffen darauf, dass sich mit der Mitgliedschaft von Rumänien in der EU auch für sie mehr Möglichkeiten ergeben. Obwohl Moldova nicht über international bekannte Sehenswürdigkeiten verfügt, so kann auf eine beachtliche Zahl von angenehmen alten Klöstern, einige in der Tat sehenswerte Naturschönheiten und Dutzende von Weinkellereien hingewiesen werden - moldauischer Wein ist für viele Osteuropäer das Erste, womit sie das Land assoziieren. Geprägt ist Moldova dementsprechend von Hügeln, Tälern und flachen Ebenen.

Die Hauptstadt Chişinău (erstmals 1436 erwähnt, 700.000 Einwohner), kulturelles und politisches Zentrum des Landes, ist ein überraschend grüner und netter Ort, der vor allem unter dem Aspekt des Kennenlernens der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen interessante Begegnungen ermöglicht. Im Juni dieses Jahres entschieden sich die Einwohner mit ihrer Stimme für die Wahl des nur 28 Jahre alten Dorin Chirtoacă von der Liberalen Partei zum jüngsten Bürgermeister einer europäischen Hauptstadt - einem Ort, wo abweichend vom nationalen Trend die Kommunisten kein einziges Mal ein demokratisch gewähltes Stadtoberhaupt stellten.

Chişinău zeichnet im Bereich der darstellenden Künste ein Kulturleben aus, das neben den zehn Theatern und einer Oper besonders durch eine Reihe guter jährlicher internationaler Festivals (Ethno Jazz Festival, Dokumentarfilme, Moderner Tanz) trotz der erschwerten Finanzierung ein teils bemerkenswertes Niveau erreicht. Die Museen hingegen sind fast ausschließlich in einem traurigen Zustand.International bekannt ist Moldau als Geburtsort einer der wichtigsten Opernsängerinnen des 20. Jahrhunderts, Maria Cebotari, und in den vergangenen Jahren durch die Eurovisions-Teilnehmer Zdob şi Zdub (etwa: Knall auf Fall) und Natalia Barbu, sowie die Boy-Group O-Zone, die mit "Dragostea din tei" einen tatsächlich weltweiten Top-Hit hatte.

Doch während in der Hauptstadt eine Vielzahl von Möglichkeiten herrscht, geht das Leben in den Dörfern und kleinen Städten vorerst kulturell weiter den Bach hinunter. So wurden zum Beispiel die Musik- und Malschulen für Kinder auf den Dörfern und in den kleinen Orten reihenweise geschlossen, ohne irgendwie Alternative aufzubauen. Das spürbare Ergebnis ist schon jetzt das allmähliche Verschwinden des Nachwuchses kultivierter Bildungsbürger, beispielsweise das Heranwachsen einer Generation von jungen Menschen, deren Bildungsstand deutlich niedriger ist als es der ihrer Eltern zu Sowjetzeiten war.

Die heute aktive moldauische Kulturelite ist fast gänzlich auf dem Land aufgewachsen und hatte die Chancen, die es damals gab, nutzen können; gleiches ist von der ländlichen Bevölkerung heute nicht mehr zu erwarten.Die Künste haben alle massiv durch die Auflösung der Sowjetunion verloren, die Produktion von (in Qualität und Menge teils bedeutenden) Filmen, wie sie Moldova-Film in den eigenen Studios produzierte und in der ganzen Sowjetunion gezeigt wurden, ist praktisch zum Erliegen gekommen.

Bildende Künstler können nur noch vereinzelt im Ausland ausstellen und sehr professionelle Volksmusikensembles haben kaum mehr Aussichten auf Tourneen, während gleichzeitig das Operntheater zweidrittel der Spielzeit im Ausland verbringt, um das Talent seiner Künstler auf Tourneen in Großbritannien weit unter den international üblichen Preisen zu verkaufen. Mit der Reisefreiheit haben die Künste nur theoretisch an Möglichkeiten gewonnen, in Wirklichkeit ist das alte Netz von Kontakten aus politisch-wirtschaftlichen Gründen verschwunden und damit auch der Mechanismus, der den Zugang und die Beteiligung der Kreativen auf internationaler Ebene sicherte, die Gelegenheiten für einen aktiven Austausch gibt es zu einem bedeutenden Teil nicht mehr.

Gegeneinander aufgerechnet existieren heute wohl kaum mehr als 30 % der ehemals für die Künstler konkret vorhandenen Gelegenheiten zum Studieren und Arbeiten im In- und Ausland. Obwohl in den letzten Jahren eine junge Generation von Kreativen nachwächst, die versucht, aus den gegebenen Umständen das beste zu machen und erste individuelle Erfolge feiert, wird es noch lange dauern, bis der Kulturbetrieb als ganzes wieder normal funktionieren kann; die Rahmenbedingungen sind praktisch komplett anders als zu Sowjetzeiten, so dass fast alles erst neu aufgebaut werden muss.

Das deutsche Kultur-Engagement vor Ort ist trotz spürbarer Nachfrage danach sehr schwach, selbst die deutsche Botschaft in Chişinău spricht davon, dass das zuständige Goethe-Institut in Bukarest das Land - Originalzitat - "stiefmütterlich" behandeln würde; konkret wird von der rumänischen Hauptstadt aus fast nur deutsches Desinteresse an Moldova signalisiert und werden nur äußerst selten Projekte gefördert.

Das im deutlichen Unterschied beispielsweise zum polnischen Kulturinstitut, das auch von Bukarest aus aktiv ein attraktives kulturelles Programm für und in Moldova koordiniert und durchführt, von dem Engagement der in vier Städten Moldovas präsenten französischen Kultureinrichtungen ganz zu schweigen. Was Bildung angeht, so stellt der DAAD ebenso wie die Österreich-Kooperation jeweils einen, die Bosch-Stiftung zwei Lektoren vor Ort in Chişinău, außerdem unterrichtet eine deutsche Lehrkraft im Auftrage der ZfA an einem Gymnasium mit verstärktem Deutschunterricht. Für moldauische Doktoranten und Dozenten der Agraruniversität führt der DAAD alle drei Jahre eine zehntägige Sommerschule durch; die DAAD-Sommerschule für deutsche Politologiestudenten findet inzwischen nicht mehr statt.

Es mag überraschend erscheinen, wenn dieser Text zum Schluss zu einer realistisch positiven Einschätzung der Situation in Moldova kommt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt handelt es sich dabei um eines, wenn nicht möglicherweise sogar das interessanteste Land Europas. Während die Geschichte von Bulgarien und Rumänien mit dem EU-Beitritt gewissermaßen zu einem Ende gekommen ist, bzw. die allgemeine weitere Entwicklung relativ absehbar ist, so ist es in Moldova präzise dieser Moment, in dem die Auseinandersetzung über viele grundlegende Dinge - kulturelle Identität, staatliche Definition, wirtschaftliche Ausrichtung - noch im vollen Gange ist und für den Betrachter mehr an Spannung bietet, als es vielleicht schon in ein paar Jahren noch der Falls sein wird.

Was die weitere Entwicklung angeht, so hat das Land gerade aufgrund seiner überschaubaren Größe und begrenzten Bevölkerungszahl wesentlich bessere Aussichten auf europäische Integration als die Ukraine, die Türkei oder einige der Balkanstaaten. Es sei an die äußerst problematische politische Situation in der Slowakei Mitte der 90er Jahre erinnert und daran, daß Irland über Jahrzehnte zum Armenhaus Europas gehörte und noch in den 80er Jahren Hunderttausende von Iren auf der Suche nach einer Zukunft ihr Land verließen. "Ausgerechnet" Irland und die Slowakei sind heute aber die beiden EU-Staaten mit dem größten Wirtschaftswachstum in der Gemeinschaft; es gibt keinen Grund, warum Moldova in Zukunft nicht auch eine ähnliche Veränderung zum Besseren erleben könnte.


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