Bulgarien

Umweltschützer kämpfen gegen Baumafia

Die Sonne scheint heiß vom Sofioter Sommerhimmel, trotzdem haben sie ihre Regenschirme aufgespannt. Ein bunt leuchtendes Schirmmeer wogt durch das Zentrum der bulgarischen Hauptstadt. Vera Petkantchin ist eine der Umweltaktivisten, die mit dieser ungewöhnlichen Aktion gegen die illegalen Baumaßnahmen in den bulgarischen Bergen protestieren. Die Schirme symbolisieren den politischen Schutz, den die bulgarische Regierung über bestimmte Firmen spannt. „Die Regierung schließt einfach ihre Augen vor den Gesetzesverstößen, die diese Firmen begehen“, erklärt die junge Frau mit den blonden Locken. „Es gibt keinen politischen Willen, daran etwas zu ändern.“

 „Weg mit der Konzession für Yulen“, steht auf Plakaten geschrieben. Yulen ist die Investorenfirma in Bulgariens größtem Skiort Bansko, der mittlerweile zum Inbegriff von Gesetzlosigkeit, Korruption und Naturzerstörung geworden ist.

Früher war Bansko ein kleines Dorf mit jahrhundertealter Steinhausarchitektur am Fuße des Pirin-Gebirges, heute ist es eine gigantische Baustelle mit Hotelkomplexen, Apartmenthäusern und den längsten Skipisten im Land. Was die meisten Urlauber nicht wissen: Der Konzessionär der Skianlage Yulen verstieß beim Bau gegen zahlreiche Gesetze. Die Pisten sind mehr als doppelt so breit wie vertraglich erlaubt. Ein Teil liegt außerdem im Unesco-geschützten Nationalpark Pirin. Unzählige uralte Bäume hat Yulen dafür gefällt – in einem Gebiet, das zu den artenreichsten Naturflächen in Bulgarien gehört.

Einen Erfolg haben die Umweltschützer bereits erzielt: Die Regierung hat eine Untersuchung in Auftrag gegeben. Sie zeigt, dass Yulen fast die doppelte Fläche nutzt wie im Vertrag vereinbart. Ivan Obreykov, Manager von Yulen, schenkt den kürzlich veröffentlichten Ergebnissen keinen Glauben. „Wir möchten, dass eine unabhängige Institution diese Untersuchungen wiederholt.“

Doch nicht nur die Reaktion der Firma, sondern auch neue Pläne der Regierung versetzen die Naturschützer gerade wieder in Alarmbereitschaft. Denn statt Yulen konsequenterweise wegen Vertragsbruchs zu kündigen, will die Regierung nun die illegal errichteten Skianlagen nachträglich legalisieren. Yulen soll dadurch weiterhin als Betreiber fungieren, andernfalls fürchtet Umweltministerin Nona Karadzhova eine Schließung des Skiorts und damit schwere Einbußen für den Tourismus. „Das ist absurd!“, ärgert sich Vera Petkantchin. „Mit den richtigen Verbindungen und viel Geld kann man in Bulgarien offenbar alles erreichen.“

Bereits 2007 hat Vera Petkantchin die Initiative „Graschdani sa Rila“ (Bürger für Rila) gegründet. Damals sollte ein Lift zu einem idyllischen Bergseegebiet im Rila-Gebirge gebaut werden – ohne die nötige Umweltverträglichkeitsprüfung. Außerdem sollten Teile des Lifts durch geschütztes Gebiet führen. Die Kampagne mobilisierte tausende vor allem junger Menschen, die mit Demonstrationen, Infoständen, Konzerten auf den Missstand aufmerksam machen wollten. „Dieser See bedeutete vielen etwas – und sie wollten ihn schützen“, sagt die junge Frau. „Ich bin von klein auf jeden Sommer dort gewesen, ich verbinde sehr viele Erinnerungen mit dem Ort.“ Mehrere Aktionsbündnisse entstanden aufgrund weiterer bedrohter Orte. Sie schlossen sich mit Nichtregierungsorganisationen zu einem Dachverband namens „Sa da ostane priroda v Bulgaria“ (Rettet die Natur in Bulgarien) zusammen, in dem mittlerweile mehr als 20 Gruppierungen Mitglied sind. „Das war der Beginn einer wirklichen zivilgesellschaftlichen Bewegung in Bulgarien“, sagt Aktivistin Petkantchin.

Naturschutz heißt in Bulgarien, sich mit den Mächtigen anzulegen und gegen Korruption und Vetternwirtschaft anzugehen. Dieser Meinung ist auch Petko Tzvetkov, Geschäftsführer der Nichtregierungsorganisation „Bulgarian Biodiversity Foundation“ in Sofia. Er sitzt an seinem Schreibtisch in einer zum Büro umfunktionierten Wohnetage in einem Plattenbaublock. „Diese Bauprojekte haben nichts mit Tourismus zu tun“, sagt er. „Es geht in erster Linie um Geldwäsche und um das Baubusiness.“ Die meisten Investoren hätten ihre Firmen an intransparenten Offshore-Finanzplätzen angemeldet, um unerkannt zu bleiben. Eine Beteiligung von Regierungsmitgliedern an den Geschäften schließt der Aktivist nicht aus. „Wir haben keine Beweise dafür. Aber wir sehen, dass es keinen politischen Willen gibt, die Firmen zu stoppen, die Gesetze verletzen. Einige Firmen werden immer wieder von Politikern geschützt“, so Petko Tzvetkov.

Schutzlos sind hingegen oft diejenigen, die für die Einhaltung des Rechts eintreten. Umweltorganisationen erhalten Drohungen, Demonstrationen werden oft von Bodyguards gestört, die versuchen die Menschen einzuschüchtern. Einige Aktivisten sind auch schon zusammengeschlagen worden. Die Polizei nimmt die Vorfälle auf, doch wird in den meisten Fällen gar nicht erst mit den Ermittlungen begonnen. Entmutigen lassen sich die Umweltschützer bislang jedoch nicht.

Nun setzen sie ihre Hoffnung auf die europäischen Institutionen. Sie haben bereits zahlreiche Petitionen bei der Europäischen Kommission eingereicht und die dänische Grünen-EU-Abgeordnete Margrete Auken eingeladen. Sie steht von Nebel umhüllt auf einer Wiese mitten in den Rhodopen, einem riesigen Gebirge im Süden des Landes. Alexander Dountchev, Umweltschützer und Mitarbeiter des Nationalpark Vitoscha, erklärt, was sie hier bei gutem Wetter zu Gesicht bekäme. Nämlich nicht nur die fantastische tannenbewaldete Hügellandschaft des flächenmäßig größten bulgarischen Gebirges, in dem Braunbären und Wölfe zu Hause sind. Zu sehen wäre auch der Restaurantkomplex „Metschata Kaschta“ auf dem höchsten Rhodopengipfel Perelik. Hier soll der neue Skiort „Super Perelik“ entstehen – wieder ohne die erforderliche Umweltverträglichkeitsprüfung und zu großen Teilen auf geschütztem Gebiet. Die örtlichen Behörden gaben grünes Licht für das Megaprojekt. Der Investor Kiril Asenov ist ein Verwandter der Vize-Umweltministerin.

Auf einer Landkarte zeigt Alexander Dountchev der EU-Abgeordneten die Pläne für den Skikomplex und übergibt Margrete Auken schließlich einen großen Karton mit Unterschriften – eine neue Petition für die Kommission in Brüssel. Doch viel Hoffnung kann Auken nicht machen: „Die europäischen Institutionen können nur aktiv werden, wenn europäisches Recht verletzt wird. Sie schreiten nicht bei inneren bulgarischen Angelegenheiten ein.“ Dass jedoch bulgarische Institutionen das Projekt stoppen könnten, daran glaubt Alexander Dountchev nicht: „Hier gibt es keine Strafe, für keinen dieser Kriminellen.“

Diese Erfahrung hat auch Vera Petkantchin gemacht. Der Lift zu ihren Lieblingsseen im Rila-Gebirge ist mittlerweile gebaut. Bisher gelang es den Umweltschützern zumindest, die existierenden Pläne für den Bau eines Skiressorts in Rila zu stoppen. Dennoch hat der Investor dort bereits einige Gebäude errichtet. „Wir haben das den zuständigen Institutionen gemeldet und sie haben sogar zugegeben, dass die Gebäude illegal sind“, sagt Vera. Geändert hat das aber nichts. „Angeblich haben sie die Schuldigen nicht gefunden.“ Vera zuckt mit den Schultern. Sie fordert nicht viel von ihrem Staat. Nur dass die Gesetze eingehalten werden. Von allen. „Ansonsten würde das doch bedeuten, dass Bulgarien kein Rechtsstaat ist“, sagt sie.


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