Goldrausch in Baia Mare
Ein bitterer Geruch liegt über einer Abraumhalde am Rande der nordrumänischen Stadt Baia Mare. Den weichen Boden durchziehen braungefärbte, schwefelhaltige Pfützen – Erbe der jahrzehntelangen Goldförderung in den Bergwerken rund um die Stadt. „Wir haben hier goldene Zeiten erlebt, doch schlussendlich einen hohen Preis dafür gezahlt“, sagt Rentner Aurelian Brancus über die schwermetallhaltigen giftigen Rückstände. Der 77-Jährige kennt den Abfall bestens: Er hat ihn mit produziert, weil er vor der Wende Werkleiter einer staatlichen Goldaufbereitungsanlage in Baia Mare war.
Nach der Wende wurden die Bergwerke in der Gegend dicht gemacht. Für Aurelian Brancus jedoch ging es vorerst in der Branche weiter. Weil die Abraumhalden rund um Baia Mare noch Restgold enthalten, blieben sie für ausländische Investoren interessant. So wie für die australisch-rumänische Goldaufbereitungsfirma „Aurul“, die das Edelmetall mit Zyanid herauslaugte. Brancus war ihr einheimischer Berater. Bis zum Jahr 2000, als bei der Goldproduktion der Damm des Abwasserbeckens brach und sich massenhaft zyanid- und schwermetallhaltiger Schlamm in Flüsse ergoss. Die Giftlauge verteilte sich damals bis nach Ungarn und Serbien. Aus dem Ex-Berater Aurelian Brancus hat der Unfall einen selbsternannten Umweltaktivisten gemacht: „Früher habe ich sorglos mein Gehalt bezogen, jetzt komme ich aus dem Grübeln nicht mehr raus.“
Trotz der schweren Umweltkatastrophe durfte die australisch-rumänische Firma weiterarbeiten, selbst um Entschädigungszahlungen kam sie herum. Doch die Auflagen für die hochgiftige Zyanidlaugerei wurden mit den Jahren verschärft – auf Druck von EU-Behörden. Der australische Anteilseigner zog sich zurück und die Goldproduktion wurde eingestellt. Das könnte sich wieder ändern. Denn nun hat sich die russische Firma Romaltyn Mining nahe der Stadt eine Halde ausgesucht. Zwar kommt dort auf eine Tonne Abraum weniger als ein Gramm Gold, doch weil es Millionen Tonnen von Abraum gibt, wittert das Unternehmen ein Millionengeschäft. Schließlich stieg der Preis pro Feinunze im vergangenen Jahrzehnt ums Fünffache und die Finanzkrise beschleunigt den Trend. Wer nicht mehr an den US-Dollar oder den Euro glaubt, greift nun zum Gold. Das Edelmetall verzeichnet derzeit immer wieder Rekordstände.
Für den ehemaligen Werksleiter Aurelian Brancus wäre die neue Goldproduktion ein Alptraum. Er hat vor Jahren die Bürgerinitiative „Pro Erinnerung“ gegründet, damit der Zyanid-Unfall und die Gefahren vom „giftigen Gold“ nicht einfach vergessen werden. „Wir dürfen solch ein hochgefährliches Risiko nicht noch einmal auf uns nehmen“, warnt Brancus. Mit Eingaben bei den Aufsichtsbehörden will er nun verhindern, dass die Goldfirma in Baia Mare eine Betriebsgenehmigung bekommt. Ein einfacher Weg wird das nicht. Denn was mit den Abraumhalden geschieht, darüber entscheidet in Rumänien nicht das Umwelt- sondern das Wirtschaftsministerium. Und das sieht in den Halden wahre Goldgruben, erst recht in Krisenzeiten, wo das Land händeringend nach neuen Investoren sucht – selbst solche, die hochriskante Verfahren wie die Zyanid-Laugerei einsetzen. Das Nachbarland Ungarn hat nach dem Unfall von Baia Mara diese Form der Goldgewinnung verboten. Ein ähnliches Verbot wurde auch im rumänischen Parlament diskutiert, doch verschwand der Gesetzentwurf letztlich in einer Schublade.
Dass Rumänien die Zyanid-Laugerei verbieten wird, glaubt man im Unternehmen von Romaltyn Mining nicht. Das krisengeschüttelte Land besitzt eine der größten Goldreserven Europas. „Die nicht auszubeuten, wäre äußerst dumm“, meint Firmensprecher Ioan Hudrea. In der Tat könnte Rumänien seine Staatseinnahmen mit der Goldförderung deutlich aufbessern. Hinzu kommt, dass sich der Staat um die Abraumhalden kümmern müsste – fünf gibt es rund um Baia Mare, Hunderte sind es im ganzen Land. Die staatliche Umweltagentur hat sie erst voriges Jahr als „kritische Zonen“ bezeichnet. Um sie regelmäßig zu überwachen, fehle das Personal. Neue Dammbrüche wie einst in Baia Mare sind damit nicht ausgeschlossen. Außerdem müssten die Halden dringend isoliert werden, weil sie seit langem das Grundwasser mit Schwermetallen verseuchen und die Luft verpesten. Doch fehlt im Staatssäckel das entsprechende Geld. Eine vertrackte Lage. Für den Generaldirektor von Romaltyn, Sean Gray, ein Argument mehr: „Wenn man uns hier Gold fördern lässt, werden wir dafür die Halde sanieren“, wirbt er.
Die Giftkatastrophe in Baia Mare
Am 30. Januar 2000 brach nach einem Tauwetter der Damm eines erst frisch gebauten Abwasserbeckens der Goldaufbereitungsanlage von Baia Mare. Rund 100.000 Kubikmeter einer zyanidhaltigen Giftlauge – ein Abfallprodukt bei der Goldproduktion – versickerten auf Feldern umliegender Dörfer, ergossen sich in die nahegelegenen Flüsse Sasar und Lupus und gelangten von dort aus nach Ungarn, Serbien und wieder zurück nach Rumänien.
Im ungarischen Teil starben nach Behördenangaben schätzungsweise rund tausend Tonnen Fisch. Hunderttausende Menschen waren zeitweise ohne Trinkwasser. Das Zyanid hatte sich nach dem Unfall schnell verflüchtigt, doch enthielt die Lauge auch resistente Schwermetalle – Langzeitfolgen sind damit nicht ausgeschlossen. Die australisch-rumänische Goldfirma „Aurul“ hatte das Auffangbecken für die Zyanidabfälle nicht für ein Katastrophenszenario ausgelegt – um Kosten zu sparen.
Nach dem Unfall wurde der Damm verstärkt und ein Reservebecken angelegt. Derzeit baut die Nachfolgefirma Romaltyn Mining eine Kläranlage. Droht das Rückhaltebecken überzulaufen, soll dort überschüssiger Giftschlamm neutralisiert werden, um ihn notfalls in Gewässer abzuleiten. Im kommenden Frühjahr will Romaltyn die Gold-Produktion in Baia Mare wieder aufnehmen – vorausgesetzt die rumänische Bundesumweltbehörde und die Stadt stimmen den Plänen zu.
Mit solchen Versprechen buhlt Romaltyn nicht nur um die Gunst des
Staates. Der Stadt Baia Mare verspricht die Firma über 150 neue Jobs.
Insgesamt will sie in die mehrjährige Goldproduktion rund 65 Millionen
Euro investieren – für Sicherheitsmaßnahmen und Steuergelder. Der Profit
wird für Romaltyn vermutlich knapp viermal so hoch ausfallen. Das hat
den Stadtrat von Baia Mare misstrauisch gemacht. Im vorigen Jahr rief er
ein Referendum über die Zyanidlaugerei aus – in einer Stadt, in der
sich der Unfall ins kollektive Gedächtnis eingebrannt hat. Fragt man in
Baia Mare nach dem Dammbruch, will keiner solch eine schmerzhafte
Erfahrung noch einmal machen. Und dennoch: Nur zwölf Prozent der
stimmberechtigten Einwohner kamen überhaupt zum Referendum. Zu wenig, um
den Einsatz des hochgiftigen Zyanids in der Stadt verbieten zu können.
Gesiegt hat bei der Abstimmung vielmehr die Trostlosigkeit.
Der
will Rodica Babut keineswegs erliegen. Die 52-Jährige arbeitet als
Bibliothekarin im Dorf Sasar, das in unmittelbarer Nähe des einstigen
Unglücksbeckens liegt. „Seit dem Unfall hassen die Leute das Gold, doch
sie zeigen es nicht“, sagt Babut. Kein Wunder, in einer Region, die
jahrzehntelang vom Tagebau und der Goldproduktion lebte. Über 25.000
Menschen sollen in der Branche einst gearbeitet haben, nach der Wende
blieb für die meisten nur die Arbeitslosigkeit. „Viele hoffen, einen Job
bei Romaltyn zu finden, deshalb schweigen sie“, meint Babut. Sie kann
sich nur zu gut an die verregnete Winternacht vom 30. Januar 2000
erinnern. Fast das gesamte Dorf sei zum Damm gelaufen, um mit Sandsäcken
die Giftlauge zu stoppen. „Erst da haben wir gespürt, welche Gefahr in
unserer Nachbarschaft lauert. Vorher haben wir das immer verdrängt.“
Damit das nicht wieder passiert, hat Babut nach dem Unfall einen
Öko-Club für Kinder gegründet. Sie pflanzt mit ihnen Akazien vor dem
Dorf. Sie sollen sie schützen, vor dem giftigen Staub, der vom
Unglücksdamm und den anderen Halden herüber weht. Eine kleine Geste, um
der Umweltverschmutzung nicht länger tatenlos zuzusehen.
Auf die
kleinen Schritte setzt auch der Rentner und Umweltaktivist Aurelian
Brancus. Damit er die nicht umsonst macht, hat er eine
Umweltorganisation gegründet: „Als einzelner Bürger würde ich von den
Behörden gar nicht ernst genommen werden. Seitdem ich einen Stempel auf
meinen Beschwerdebriefen habe, läuft es besser.“ Kopfschüttelnd sitzt
Brancus vor einem Notizblock und notiert „2.000 Tonnen Zyanid“. Diese
Mindestmenge wird Romaltyn in seinem Werk in Baia Mare für die
Goldproduktion lagern müssen. Ein unvorstellbarer Bruchteil davon – 140
Milligramm Zyanid – sind für ein Menschenleben bereits tödlich. Was,
wenn das Abwasserbecken hält, aber die Zyanidbehälter im Werk
zerbrechen, fragt sich Brancus. „Die Reaktorkatastrophe von Fukushima
hat uns gelehrt, dass wir gar nicht genügend Phantasie haben, um an
alles zu denken.“
Tatsächlich könnte es wegen der
hochgefährlichen Ladung für Romaltyn noch eng werden. Neben der
Bundesumweltbehörde muss im kommenden Frühjahr auch das Bürgermeisteramt
von Baia Mare der Betriebserlaubnis zustimmen. Bislang heißt es von
dort, man wolle die Einwilligung verweigern, weil das Risiko einer
solchen Anlage zu groß sei. Hält die Stadtverwaltung an dieser Aussage
fest, wäre dass das Aus für Romaltyn. Aufatmen könnte Aurelian Brancus
aber immer noch nicht. Ohne die Goldproduktion bliebe auch die giftige
Halde vorerst unsaniert und würde weiter für schlechte Luft sorgen.