„Wir haben ein paar Türen geöffnet“ / Bilanz Petersburger Dialog
n-ost: Herr Melle, sie gehörten zu den Kritikern, die dem Petersburger Dialog öffentlich vorwarfen, heiße Eisen zu wenig anzufassen. Wie fällt Ihr Fazit nach dem letzten Plenum aus?
Stefan Melle: Ich habe gemischte Gefühle. Der Dialog hat in diesem Jahr viel Druck erfahren, bislang tabuisierte Themen zuzulassen. In allen Arbeitsgruppen wurde immer wieder betont, dass man jetzt offener sei, und gelernt habe, zu streiten. Insofern sind die Ansprüche nun formuliert. Ob wir damit einen neuen Standard erreicht haben, wird sich zeigen.
Von wem kam der Druck?
Von vielen Seiten. Die Überlastung mit Zeremonien und der Austausch von freundlichen Allgemeinplätzen hatten in den vergangenen Jahren so viel Platz eingenommen, dass sich manch einer gefragt hat: Wozu komme ich noch her? Auch aus Regierungskreisen und aus der Wirtschaft kamen Signale. Im deutschen Lenkungsausschuss herrschte dagegen bislang die Strategie vor, die russischen Kollegen mit bestimmten Themen gar nicht erst zu behelligen. Aber so kann man nicht arbeiten.
Hat auch die Debatte um den zurückgezogenen Quadriga-Preis für Wladimir Putin zur neuen Offenheit beim Dialog beigetragen?
Das Thema wurde im offiziellen Teil nur einmal kurz gestreift. Aber auf den Fluren wurde natürlich viel diskutiert. Das hat sicherlich dazu geführt, dass viele wunde Punkte in den deutsch-russischen Beziehungen sowieso schon auf dem Tisch lagen.
Über welche Punkte, die zuvor übergangen wurden, wurde dieses Mal gesprochen?
Unter anderem über das teilweise ausgesprochen feindselige Verhalten der russischen Regierung und der Behörden gegenüber Nichtregierungsorganisationen und Menschenrechtlern.
Und welche Themen fehlen noch?
Das staatlich gelenkte Fernsehen, unfreie Wahlen, das monopolistisch aufgebaute Parteien- und Regierungssystem und Korruption. Das Thema Korruption wird zwar angesprochen, aber dass das auch etwas mit der Regierung zu tun hat, nicht unbedingt. Das sind Sachen, die gehen dann schon an die Substanz der Leute, die hier in führenden Positionen teilnehmen.
Glauben Sie, dass sich nun auch im deutschen Lenkungsausschuss rund um den Vorsitzenden Lothar de Maizière etwas bewegt?
Wir haben ein paar Türen geöffnet, durch die etwas frischer Wind weht. Was daraus wird, werden wir erst in der Praxis der nächsten Jahre wissen. Mir geht es darum, dass sich die Mitglieder des Lenkungsausschusses nicht nur an ihren eigenen Vorstellungen messen. Sie repräsentieren den gesamten Petersburger Dialog, sie müssen auch selbst offen sein. Das waren die meisten Mitglieder in der Vergangenheit nur eingeschränkt. Jetzt gibt es eine Menge Beteuerungen. Wir müssen ein Auge darauf haben, ob auch Taten folgen. Wenn nicht, wird man das wieder einfordern müssen.