Hungrig nach Europa
Omar streckt seine Hände in einen Mülleimer und fischt eine kleine Papiertüte heraus. Verschämt schaut er zu Boden. „Was kann ich machen ohne Geld? Ich möchte nicht stehlen oder betteln“, sagt er. Omar hat in seiner Heimat, dem Sudan, als Koch gearbeitet. Dann musste er fliehen. Doch sein Traum, in Europa Schutz zu finden, hat sich nicht erfüllt.
Seit mehr als fünf Monaten lebt Omar in einer provisorischen Barackensiedlung in Igoumenitsa, einer kleinen Hafenstadt im Norden Griechenlands mit etwa 10.000 Einwohnern. Jeden Sommer kommen hier tausende Touristen von Italien an, der Fährhafen ist der lokale Wirtschaftsmotor. Die Reisenden bekommen nur selten etwas von der Parallelwelt auf dem Berg in Nähe des Hafens mit. Dort harren einige hundert papierlose Flüchtlinge und Migranten aus Afrika und Asien in ihren Zelten aus. Ihre Hoffnung: Die Küste Italiens zu erreichen und somit der Ausweglosigkeit in Griechenland zu entkommen.
Abends in der Barackensiedlung auf dem Berg. Über 300 Lkw fahren täglich von Igoumentitsa Richtung Italien. Die ‚illegale’ Fahrt unter Lebenseinsatz ist für viele Flüchtlinge die einzige Möglichkeit aus der Ausweglosigkeit Griechenlands zu entfliehen. / Salinia Stroux, n-ost
Omar hat Glück im Unglück. Denn anders als seine Weggefährten kann der 35- Jährige die Stadt betreten und sich mit Essen versorgen. Er hat Asyl beantragt und verfügt über die sogenannte „rosa Κarte“, einer temporären Aufenthaltsgenehmigung für Asylbewerber. Manchmal sammeln die Flüchtlinge, die wie er in auf dem Berg leben, ein paar Münzen und schicken ihn zum Bäcker. Doch die Polizei versucht diese kleine Versorgungslinie zu brechen. „Ich habe sieben Stück Brot für mich und die anderen gekauft. Die Polizei hat mich gestoppt und gefragt, ob ich alles selber essen würde. Ich sagte: Ja. Sie sagten: Du bist ein Lügner! Sie rissen mir die Tüten aus der Hand und warfen das ganze Brot auf den Boden“, sagt er, während seine Augen unruhig dem Verkehr auf der Straße folgen.
Omar hat Angst, dass er wieder festgenommen wird. Laut Polizeistatistik wurden in den letzten zwei Monaten mehr als 800 papierlose Migranten und Flüchtlinge in der Region festgenommen. Im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Zahl damit mehr als verdoppelt – die Folge einer immer schärferen Migrationspolitik.
Seit die EU den Seeweg über das Mittelmeer schärfer kontrolliert, ist Griechenland zum wichtigsten Einfallstor für Flüchtlinge aus Afrika und Asien geworden. Früher gelangten sie von Libyen über das Mittelmeer in die EU. Jetzt kommen sie über die Türkei nach Griechenland und versuchen, weiter nach Italien zu kommen. Doch der Weg bleibt vielen versperrt. Zwar gibt es zwischen Italien und Griechenland keine Passkontrollen mehr. Dafür kontrollieren jetzt Polizeibeamte bis zu 30 Kilometer mit einer Art Schleierfahndung hinter der Grenze ohne Anlass die Papiere.
Die provisorische Barackensiedlung auf dem Berg in Nähe des Hafens von Igoumenitsa. Mehr als 500 Flüchtlinge und papierlose Migranten leben hier mit der Hoffnung, heimlich nach Nordeuropa zu gelangen. Auf der Wand haben Anarchisten geschrieben: “Die Leidenschaft für die Freiheit ist stärker als jede Zelle”. / Salinia Stroux, n-ost
Für die Mehrzahl der Migranten gibt es deshalb keinen legalen Weg nach Nordeuropa. Das griechische Asylsystem ist zudem mit mehr als 50.000 Asylanträgen in der Warteschleife längst zusammengebrochen. Die EU investiert Millionen Euro in die Sicherung der Grenzen und in Abschiebelager. Die Plätze für Asylbewerber in Aufnahmeinnrichtungen bleiben dagegen begrenzt – momentan finden nur 850 Migranten dort Schutz.
Die Regierung will nun mit drastischen Maßnahmen den Flüchtlingsströmen Herr werden. Die Kontrollen werden verschärft, mehr Polizeikräfte sind im Einsatz, sogenannte Screeningzentren werden gebaut, in denen überprüft wird, wer asylberechtigt ist. Die anderen werden abgeschoben.
Der Polizeichef von Igoumenitsa, Vasilios Miaris, sitzt vor seinem Büro auf der Straße und blickt zum Meer. „Wir erlauben den illegalen Immigranten nicht mehr, in die Stadt zu gehen. Wer diese Anweisungen nicht befolgt, wird verhaftet“, sagt er. Die Festgenommenen werden in Gefängnisse in den Nordosten Griechenlands gebracht. Auch Bürgermeister Georgios Katsinos sagt: „Wir müssen leider den Immigranten ihre letzte Hoffnung nehmen, eines der Schiffe betreten und in anderes Land fahren zu können.” Maria, eine 40 jährige griechische Hausfrau, die in der Nähe des Berges wohnt, sieht das anders. Sie versorgt zusammen mit ihrer Mutter täglich einzelne obdachlose Migranten. „Wir können sie nicht verhungern lassen. Die beste Lösung wäre, ihnen zu helfen nach Italien zu gehen”, sagt sie.
Der Regen ist für viele der mittellosen Einwohner der Barackensiedlung eine der wichtigsten Wasserquellen. Damit wird gewaschen und gekocht. Foto: Salinia Stroux, n-ost
Es ist spät am Abend vor dem Hafen von Igoumenitsa. Auf der hoch bewachten Egnatiastraße, die zu den Zollkontrollen am Eingang des Hafens führt, stehen Dutzende LKWs. Dort befindet sich die unsichtbare Grenze zwischen Stadt und Berg. Eine Gruppe von Migranten aus dem Maghreb, die sich hinter den Büschen versteckt, ruft den patrouillierenden Polizisten verzweifelt zu: „Warum lasst ihr uns nicht in die Stadt, um Essen zu kaufen? Wir haben seit drei Tagen nichts gegessen!“ Die Polizisten reagieren nicht.
Omar beobachtet die Szene aus der Ferne. Eigentlich hat er die Hoffnung längst aufgegeben, in ein anderes Land zu gehen. Er will nun doch erst in Griechenland bleiben und Arbeit finden, obwohl die Situation angesichts der frappierenden Wirtschaftskrise und drohenden Staatspleite hoffnungslos erscheint. Omars Blick verliert sich in Richtung LKWs und ablegende Fähren: „Ich habe die rosa Karte, um damit zum Mülleimer gehen zu dürfen. Die anderen, die keine haben? Was sollen die machen? Vielleicht sterben sie, wenn sie kein Essen oder Trinken finden“ sagt er und fügt hinzu: „Unsere Zukunft ist nicht hier, sondern in einem anderen Europa.“