Serbien

Rückblende: „Die Jagd auf Mladic“

Vierzehn Tage nach dem Massaker von Srebrenica und genau vier Monate vor dem Friedensschluss von Dayton war die erste Haager Anklageschrift gegen Ratko Mladic fertig. Drei Monate später, im Oktober 1995, wurde der Generaloberst von der neuen bosnisch-serbischen Präsidentin Biljana Plavsic in Pension geschickt. Eine Weile lang lebte er abwechselnd in Belgrad und in seinem Armee-Bunker in Han Pijesak, einem kalten Hochplateau in den Bergen nördlich von Sarajewo.

Von „Jagd“ konnte keine Rede sein

Im Juli 1996 unternahm die internationale Friedenstruppe in Bosnien einen ersten Versuch, Mladic zu verhaften. Das nächste Mal probierten es erst fünf Jahre später wieder serbische Polizisten, die loyal zum Reform-Premier Zoran Djindjic standen. Von „Jagd“ konnte jahrelang keine Rede sein. In der Zwischenzeit wurde Mladic immer wieder gesehen: mal in Restaurants oder auf einem offenen Markt, meistens aber bei Fußballspielen seines Lieblingsvereins Partisan Belgrad. In sein Haus an der Blagoje-Parovic-Straße in Belgrad kehrte er nicht zurück; dort wohnt heute sein Sohn Darko mit der Familie. Stattdessen zog er in eine Armee-Wohnung, die er erst im Frühsommer 2002 wieder verlassen musste. Anschließend versteckte der Gesuchte sich bis zum Dezember 2005 in wechselnden Armee-Unterkünften in Serbien.

Seine Armeepension nahm bis 2005 ein Leutnant in Empfang, der das Geld an Sohn Darko und dessen Familie weiter reichte. Viel ist von der Familie des Generals nicht geblieben. Mladics Mutter Stana starb 2003 mit 83 Jahren. Nach dem Selbstmord der Tochter Ana teilte nur seine Ehefrau Bosa die Jahre auf der Flucht mit ihm.

Gerüchte sollten Umfeld aufscheuchen

In den letzten Jahren häuften sich immer wieder einmal die Meldungen über Verhandlungen zwischen Mladic und den serbischen Behörden über irgendwelche Garantien. Eine Zeitlang hatte die Haager Anklagebehörde selber Gerüchte über die bevorstehende Verhaftung des Generals ausgestreut. Der Zweckoptimismus diente dazu, das Umfeld aufzuscheuchen. Dann nahmen serbische Medien die Stafette auf, gebrieft offenbar von Politikern, die den Westen beruhigen und Druck von Serbien abwenden wollten. Als Ende Februar 2006 sogar gemeldet wurde, Mladic sei schon gefasst, trat die Chefanklägerin Carla Del Ponte dem Gerücht scharf entgegen, verriet aber nichts über den Stand der Ermittlungen.

Zuletzt war es um den Gejagten zunehmend still geworden. Die serbischen Behörden ließen inzwischen mehr Willen erkennen, Mladic zu fangen, erklärte der Nachfolger Del Pontes als Ankläger, Serge Brammertz, vor einem Jahr. Leider hätten sie aber wohl weniger Anhaltspunkte für seinen Aufenthaltsort als in den Jahren zuvor. Vor vierzehn Tagen dann qualifizierte Brammertz die Bemühungen Serbiens, den Kriegsverbrecher zu fangen, als „nicht ausreichend“.

Dass der Gesuchte jetzt gefangen werden konnte, ist vor allem der Erfolg des Innenministers Ivica Dacic. Besser als seinen Vorgängern gelang es dem einstigen Sprecher von Slobodan Milosevic, die eigenmächtig handelnden Polizeieinheiten im Lande unter seine Kontrolle zu bringen. Radovan Karadzic, der Kriegspräsident der Republik Srpska, war 2008 nach Informationen in Belgrad von denselben Geheimpolizisten festgenommen worden, die ihn zuvor vor der Festnahme beschützt hatten. Das gleiche Szenario wird jetzt bei der Gefangennahme von Mladic vermutet. Politisch kommt die Gefangennahme für Belgrad genau zur richtigen Zeit: Um im nächsten Jahr wiedergewählt zu werden, muss die Reformregierung von Präsident Boris Tadic einen Erfolg auf dem Weg in die EU vorweisen. Nun hat Serbien gute Chancen, im Herbst den Kandidatenstatus zuerkannt zu bekommen.


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