Pogrome gegen Migranten
Shigofa R. kauert zusammengerollt im Bett einer Notunterkunft. Hier am Omonia-Platz im Zentrum der griechischen Hauptstadt sind afghanische Flüchtlinge untergebracht. In Shigofas schwarzen Augen spiegelt sich die Angst. Die Afghanin redet leise und vorsichtig: „Wir fürchten uns. Wir gehen nicht mehr aus dem Zimmer. Keiner kann uns beschützen“, sagt sie.
Kürzlich hat eine Gruppe Rechtsextremer versucht, Shigofa und ihre beiden Kinder auf offener Straße anzugreifen. Die Flüchtlingsfamilie war auf dem Weg zur Suppenküche, um das Mittagessen zu holen. Seitdem stellen sie abends ihre Möbel hinter die Zimmertür. Sie haben Angst, Rechtsextreme könnten sie überfallen. „Vergangene Nacht haben wir aus dem Fenster geschaut und sahen sie am Bürgersteig stehen, schwarz gekleidet, mit großen Holzstöcken. Wir haben die ganze Nacht nicht geschlafen“, sagt Shigofas 9-jähriger Sohn Ηasan.
Afrikanische Migranten demonstrieren gegen Rassismus vor dem Athener Rathaus. / Salinia Stroux, n-ost
Seit dem 10. Mai herrscht in Athen bürgerkriegsähnliche Stimmung. An diesem Tag wurde ein 44-jähriger Grieche, der seine schwangere Frau zur Entbindungsstation fahren wollte, von drei Unbekannten zuerst ausgeraubt und dann erstochen. Die griechischen Medien berichteten, die Täter seien Nordafrikaner gewesen. Beweise gibt es bislang nicht.
Den dramatischen Tod des werdenden Vaters nutzte die rechtsradikale Gruppe Chrisi Avgi (Goldene Dämmerung), um gegen Migranten zu hetzen. In den vergangenen zwei Jahren wurde die rechtsextreme Gruppierung immer aktiver. Häufig patrouillieren junge Rechtsradikale mit Fahnen und Stöcken bewaffnet durch Athens Straßen und schlagen dunkelhäutige und asiatische Migranten zusammen. Menschenrechtsorganisationen berichten, dass es mittlerweile täglich zu rassistischen Angriffe kommt – meist am späten Nachmittag und abends. Eine Statistik über diese Angriffe gibt es allerdings nicht. Denn viele Fälle werden nicht registriert, da die etwa 500.000 papierlosen Migranten in Griechenland Angst haben, sich an die Sicherheitsbehörden zu wenden.
Offiziell wurden in der vergangenen Woche mindestens 20 Migranten mit Schlag- und Stichverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert. Mehrere Opfer klagen, dass die Polizei die Ereignisse zwar beobachtet habe, aber nicht eingeschritten sei. „Weder die Medien noch die Sicherheitsbehörden schenken den Aktionen der rechtsextremen Gruppe Chrisi Avgi genügend Aufmerksamkeit“, bedauert Kostas Papaioannou, Präsident der Nationalen Kommission für Menschenrechte.
Migranten, die keinen Ausweis besitzen, trauen sich oft nicht, städtische Krankenhäuser aufzusuchen. Sie wenden sich eher an die Poliklinik, in der die Mediziner der Organisation „Ärzte der Welt“ sie behandeln. „Die Migranten werden meistens offen auf der Straße angegriffen. Sie werden von hinten attackiert. Meistens am Kopf oder Rücken“, so Evgenia Thanou, Generaldirektorin der Organisation.
Demonstranten im Athener Zentrum: Fast täglich kommt es zu Übergriffen auf Migranten. / Salinia Stroux, n-ost
Auch das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) warnt vor der zunehmenden rassistischen Gewalt in Griechenland. Die rechtsextremen Gruppierungen versuchten das allgemeine Gefühl der Unsicherheit und der Angst in dem krisengeschüttelte Land auszunutzen und Fremdfeindlichkeit zu verbreiten.
Die angespannte Situation alarmiert nun auch die sozialistische Regierung, die derzeit um den fünften Teil des EU-Rettungspakets bangt. Sie will Polizeipatrouillen und papierlose Migranten strenger kontrollieren. „Es geht nicht nur um die Sicherheit“, so Ministerpräsident Giorgos Papandreou, „die Stadt muss wieder ihre Seele erhalten.“ Bürgermeister Giorgos Kaminis beschuldigte die Polizei, den rassistischen Angriffen untätig gegenüberzustehen und warnte vor Racheaktionen der Rechtsextremen an Autonomen und Anarchisten. Nach Ansicht von Kaminis müsse aufgrund der Wirtschaftskrise, der oft schlecht ausgeführten Polizeiarbeit und der hohen Kriminalität umgehend gehandelt werden. Der Bürgermeister warnte davor, dass Athen in kurzer Zeit wie Beirut während des Bürgerkriegs in den 1970er Jahren aussehe könnte, falls nicht umgehend gehandelt werde.
Doch schon in der Vergangenheit hatte die Regierung Maßnahmen angekündigt, die dann nie umgesetzt wurden. Bei den meisten Migranten sind die Ankündigungen der Regierung noch nicht angekommen. Die Afghanin Shigofa wird weiter in ihrem Zimmer bleiben – etwas anderes bleibt ihr nicht übrig.