Kasachstan

Der verunsicherte Diktator / Vorbericht zu den Wahlen am 3. April

Es ist fünf Jahre her, dass der falsche Kasache Borat mit frauenfeindlichen Sprüchen und String-Tanga in den Kinos sein Unwesen trieb – und damit 16 Millionen echte Kasachen gegen sich aufbrachte. Das Borat-Trauma hat Kasachstan bis heute nicht verwunden. Das zentralasiatische Land versucht die Welt seit langem von seinen wahren Qualitäten zu überzeugen: mit einer gigantomanischen Hauptstadt in der Steppe, dem OSZE-Vorsitz im vergangenen Jahr und ersten Fußball-Gehversuchen bei der EM-Qualifikation. Doch niemand scheint Kasachstan richtig ernst zu nehmen.

Dass das Absurdistan-Image an Kasachstan klebt wie der Schnauzer an Borat, mag auch daran liegen, dass der amtierende Präsident Nursultan Nasarbajew, 70 Jahre alt und seit 20 Jahren im Amt, dem Klischee des despotischen Alleinherrschers unter demokratischem Deckmäntelchen nur zu gut entspricht. Am 3. April wählen die Kasachen einen neuen Präsidenten. Vordergründig scheint es, als würde die Wahl nicht viel ändern. Nasarbajew wird die Wahlen gewinnen, das gilt als sicher. Doch es rumort in Kasachstan: Nasarbajew ist sich seiner Macht nicht mehr sicher.



Die Oppositionspartei Alga! hat zum Boykott der Präsidentschaftswahlen
aufgerufen. Demonstration in Almaty. / Edda Schlager, n-ost

Ursprünglich waren die Präsidentschaftswahlen erst für Dezember 2012 angesetzt. Dann kam der Vorschlag, Nasarbajew per Referendum bis 2020 im Amt zu halten. Der greise Despot zierte sich zunächst, stimmte zu, machte dann doch einen Rückzieher – und setzte vorzeitige Neuwahlen an. Einen Grund hat die Regierung nie genannt. Für Dosym Satpajew, Politikanalyst bei der Risk Assessment Group in Almaty, einer NGO, war dies ein geschickter Schachzug, mit dem Nasarbajew sein Image als Demokrat und „Verteidiger der Verfassung“ neu aufpolieren kann. „Zum anderen aber muss der Präsident die vorgezogenen Wahlen nutzen, um seine Macht zu festigen“, so Satpajew.

Im Volk macht sich Unruhe breit. Die Angst vor wachsenden sozialen Spannungen sei es, die Nasarbajew dazu bewogen habe, die Präsidentschaftswahlen vorzeitig abzuhalten, ist Bulat Abilow, von der Oppositionspartei Azat/OSDP überzeugt: „Die Aufstände in Tunesien und Ägypten waren ihm eine Warnung.“ Denn die Unzufriedenheit in Kasachstan wächst. Obwohl das rohstoffreiche Land innerhalb der GUS-Staaten mit die größten Wachstumsraten aufweist – 2010 waren es offiziellen Angaben zufolge 8,3 Prozent – kommt von dem Reichtum nur wenig bei den kleinen Leuten an. In der Hauptstadt Astana gingen Hunderte auf die Straße, um gegen überhöhte Kreditzinsen und Zwangsversteigerungen von Wohnungen zu demonstrieren, etwa 100 Demonstranten wurden vorübergehend verhaftet. In Almaty protestierten Rentner gegen steigende Preise. Rund sieben Prozent beträgt die Inflation in diesem Jahr, Lebensmittel wurden um bis zu 20 Prozent teurer.

Doch auch intern gerät Nasarbajews Thron ins Wanken. Weil seine Nachfolge bisher nicht geregelt ist, ist der Machtkampf in den eigenen Reihen entbrannt. Gerade weil die Politik in Kasachstan nur auf Nasarbajew ausgerichtet ist, berge sein Ausscheiden ernste Gefahren für das politische System, so Satpajew. Auch der der regimekritische Journalist Sergej Duwanow sieht diese Bedrohung: „Alle potentiellen Nachfolger hat Nasarbajew beseitigt. Geblieben sind seine Anhänger. Die allerdings werden sich, wenn Nasarbajew verschwindet, um die Nachfolge schlagen“, meint er.


Deutsche Minderheit in Kasachstan
Seit den 90er Jahren haben mehr als eine Million Deutsche Kasachstan verlassen, rund 200.000 sind geblieben. Von denen spricht nur noch ein Bruchteil die deutsche Sprache, meist sind es die Alten, die Deutsch noch als Muttersprache gelernt haben. Die meisten Deutschen wurden aus dem westlichen Teil der Sowjetunion unter Stalin nach Kasachstan zwangsdeportiert. Die Minderheit ist in Kasachstan hoch angesehen, vor allem gelten die Deutschen als Tüftler und Techniker. Fast jeder Kasache hat deutsche Bekannte, die heute in Deutschland leben. Doch es gibt eine Gegenbewegung. Mehrere Dutzend Kasachstandeutsche pro Jahr kehren Deutschland wieder den Rücken und gehen zurück nach Kasachstan. Die häufigsten Gründe dafür sind, dass sie sich an das Leben in Deutschland nie gewöhnen konnten, oder dass sie, mit Kapital und Know-how ausgestattet, in Kasachstan zu Unternehmern werden.


Wladimir Kozlow, Chef der Oppositionspartei Alga!, hat mit anderen Oppositionellen zum Wahlboykott aufgerufen. „Wenn sich ein Großteil der Wähler verweigert“, so Kozlow, „wird die uns suggerierte landesweite Zustimmung für Nasarbajew ad absurdum geführt.“ Dennoch ist er sicher, „trotz des Boykott-Aufrufs werden auch in diesem Jahr mehr als 90 Prozent aller Wähler für Nasarbajew stimmen – nach offiziellen Angaben“. Die OSZE hat Wahlen in Kasachstan noch nie als frei und fair beurteilt. Auch jetzt haben Lehrer, Studenten oder Krankenhausmitarbeiter bereits Order erhalten, am 3. April auch wirklich wählen zu gehen – um den Plan für die Wahlbeteiligung zu erfüllen.

Ein System aus Vetternwirtschaft, Korruption, Willkür und Angst ist die Basis für Nasarbajews Machterhalt. So könne sich Nasarbajew auch ohne Wahlmanipulationen seiner Wiederwahl sicher sein, meint der Journalist Duwanow: „Die Menschen unterliegen der staatlichen Propaganda, die ihnen tagtäglich einimpft, der Einzelne könne sowieso nichts ändern.“



Bachyt Bekowa im Dorf Kyzylagasch schimpft über
Behörden-Willkür und Korruption. Dennoch wird sie wieder
Nasarbajew wählen. / Edda Schlager, n-ost

Die 53-jährige Bachyt Bekowa, etwa, lebt in dem Dorf Kyzylagasch, 300 km östlich von Almaty. Sie schimpft offen über die Behörden. Nach einem Staudammbruch im vergangenen Jahr, bei dem ihr gesamtes Dorf fortgespült wurde, wurden ihr und den Nachbarn zwar neue Häuser gebaut. Doch die sind schon jetzt von Rissen durchzogen, der Putz löst sich in großen Platten. Offensichtlich ist von den 300 Millionen Euro Wiederaufbauhilfe nur ein Bruchteil im Dorf angekommen. Doch dass ihre eigene Lage mit dem politischen System eng verbunden ist, ist Bachyt Bekowa nicht bewusst. Wen sie wählen wird? „Natürlich Nasarbajew. Er hat viel für unser Land getan, er ist ein guter Präsident.“


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