Frauenpower im Macholand
Pünktlich zur Leipziger Buchmesse warten einige deutschsprachige Verlage mit Neuerscheinungen von Autoren aus dem Gastland Serbien auf. Den eigenen Titel einer Autorin sucht man allerdings vergeblich. Seit Jahrzehnten bestimmen die Männer die serbische Literaturszene und die Listen der Neuerscheinungen. Doch wer dieser Tage durch Serbiens Buchhandlungen streift, dem fällt auf, dass die Zahl der von Frauen geschriebenen Titel in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Neben bekannten Namen wie Radmila Lazic oder Dubravka Djuric finden sich auch viele Bücher jüngerer Autorinnen, wie etwa Alexandra Miramarov oder Dragana Mladenovic. Letztere ist zurzeit die vielleicht innovativste, politischste und provokativste Dichterin Serbiens.
Dragana Mladenovic wohnt in der Industriestadt Pancevo, 70 Kilometer von Belgrad entfernt: Ölindustrie, Schlote, an manchen Tagen wird die Wäsche schwarz auf der Leine. 1977 wurde Mladenovic als Tochter serbischer Gastarbeiter im deutschen Frankenberg geboren. Als sie fünf Jahre alt ist, gehen die Eltern zurück in die Heimat. Drei Lyrikbände hat sie bisher veröffentlicht. Der jüngste „Rodbina“ – „Verwandtschaft“ – erregte Aufmerksamkeit, weil sie als erste serbische Lyrikerin den Umgang mit Kriegsverbrechern zum Thema ihrer Poesie machte. „Ich halte es für deplatziert, heute über zwischenmenschliche Beziehungen zu schreiben“, sagt Dragana in ihrer kleinen Plattenbauwohnung. „Ich habe selbst erlebt, wie ein Kriegsverbrecher in einer Familie untergebracht wurde, die ich kannte. Da wurde mir klar, dass diese Leute sich überall verstecken. Der Kriegsverbrecher in meinem Gedicht steht stellvertretend für sie alle.“
Dragana Mladenovic ist die zurzeit vielleicht innovativste, politischste und provokativste Dichterin Serbiens / Mirko Schwanitz, n-ost
Was wissen sie über Theodor? / Er ist auf der Flucht. / Und? / Er ist ein Mörder./ Schön haben sie sich das ausgedacht! / Habe ich nicht… / Es ist also die Wahrheit? / Ja… / Sie sind krank… / Ich habe Zucker….
Aus einem fiktiven Verhörprotokoll formt Mladenovic das Psychogramm einer gespaltenen Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die Menschen noch immer für verrückt erklärt, wenn sie nicht mehr schweigen wollen. „Lyrik wird auch in Serbien natürlich nicht in dem Maße wahrgenommen wie Romane. Und doch haben viele Menschen, die sich sonst überhaupt nicht für Lyrik interessieren, dieses Poem gelesen. Das zeigt mir, dass es offenbar doch ein Bedürfnis in unserer Gesellschaft gibt, sich endlich mit diesen Themen auseinanderzusetzen;“ sagt Mladenovic.
Angela Richter „Der Engel und der rote Hund“ –
Kurzprosa aus Serbien, Noack und Block, Berlin 2011, 18 Euro,
Dragoslav Dedovic (Hg.), „Eintrittskarte – Panorama serbischer Lyrik des 21. Jahrhunderts“, Drava, 2011, 19,80 Euro.
„Jeder Schriftsteller, der heute in Serbien schreibt, steht vor der Frage, wie sich seine Literatur zur Wirklichkeit verhält“, meint auch Radmila Lazic. Die Grande Dame der serbische Literatur nippt in einem Café im alten Belgrader Boheme-Viertel Dorcol an ihrem Tee und beobachtet die vorüberziehenden Touristen. „Ich stelle fest, dass Schriftstellerinnen oft einen sehr viel genaueren Blick auf die Alltagswirklichkeit in Serbien haben. Zu dieser Wirklichkeit gehört auch, dass uns die Kriege des letzten Jahrzehnts wieder in eine zutiefst patriarchale Gesellschaft geführt haben, die die Frauen lieber hinter dem Herd sieht statt im Berufsleben oder der Politik. Die Literaturszene ist da keine Ausnahme.“
Getunte Titten ja, aber um Himmels Willen kein getuntes Gehirn
Tatsächlich wird das literarische Leben in Serbien von einem männlich konservativen Establishment beherrscht, das es jungen Autorinnen nicht leicht macht, sich Gehör zu verschaffen. Auch deshalb ist die von Radmila Lazic veröffentlichte Anthologie „Nur Katzen ziehen in den Himmel“ bis heute ein wichtiger Bezugspunkt für Serbiens jüngere Schriftstellerinnen. Lazic versammelte darin bereits vor mehr als 20 Jahren erstmalig ausschließlich Autorinnen und machte so die bis dahin unsichtbaren feministischen Strömungen in der jugoslawischen Literatur sichtbar. Die von ihr 2004 mitbegründete Zeitschrift profemina und Schreibschulen, wie die der Dichterin Dubravka Djuric, trugen den Geist dieser Anthologie in die Gegenwart. „Für die jüngere Autorinnen-Generation existieren heute keine Tabus mehr“, resümiert Dubravka Djuric ein Jahrzehnt ihrer Arbeit. „Sexualität, eine offene Diskussion über das Verhältnis von Frauen und Männern, ein direkter, harter, provokativer, politischer aber doch durch und durch poetischer Ton prägt das Schreiben dieser Frauen. Die Power“, sagt Djuric, „die aus dieser weiblichen Literatur spricht, macht natürlich jenem Teil des Gesellschaft Angst, der noch immer auf dem Standpunkt steht: Getunte Titten ja, aber um Himmels Willen kein getuntes Gehirn.“
Für die heute 24-jährige Dichterin Alexandra Miramarov aus Novi Sad trifft dieser Spruch ziemlich genau die Lebensrealität vieler serbischer Frauen. „Diese Machohaltung bestimmt unseren Alltag. Ich spüre es, wenn die Männer nach mir pfeifen, als pfiffen sie nach ihrem Vieh. Ich spüre es auch in der Art, wie Professoren an der Universität sich mir gegenüber als Frau verhalten. Dieses Verhalten hat die gesamte Gesellschaft durchsetzt. Ich wehre mich dagegen mit meinem Schreiben.“
Die Dummheit macht mir Angst / Zeit und Raum eine pulsierende Vagina / in der wir versinken / wenn ich krank werde / sind auch meine Wörter krank / ich will mich wehren / gegen jede Erwartung / unter meinem Stift / wird mürbe das Papier.
Die harte Alltagsrealität mit ins Gedicht, mit ins Schreiben hineinnehmen, das ist es, was Alexandra Miramarov als Schülerin von Dubravka Djuric gelernt hat. Als Frau Position beziehen, eine eigene unverwechselbare Stimme entwickeln. Es scheint, als sei die Saat, die Autorinnen wie Radmila Lazic und Dubravka Djuric gelegt haben, aufgegangen. Dass dies nun auch in Serbiens Buchhandlungen immer sichtbarer wird, ist nicht verwunderlich: Denn in Serbien stellen die Frauen die Mehrheit der Leserschaft. Und die wollen sich in der Literatur mitnichten als Heimchen am Herd oder als Staffage männlicher Haupthelden wiederfinden. Dieser Meinung ist auch der Lyriker Dragoslav Dedovic. Er hat im Klagenfurter Drava-Verlag eine Anthologie serbischer Gegenwartslyrik des 21. Jahrhunderts herausgegeben. Und ist überzeugt: „Die neuen, kraftvollen und vielleicht kritischsten Stimmen in der aktuellen serbischen Literaturszene sind weiblich.“