1.000 Rubel für eine Stimme
Wenn Igor Rudnikow zu Wahlkampfveranstaltungen einlädt, weiß er häufig gar nichts davon. Die Menschen kommen, um zu hören, was der unabhängige Kandidat in Kaliningrad verändern will. Doch dann erscheint nicht Rudnikow, sondern ein Politiker von Putins Regierungspartei Jedinaja Rossija, der erklärt, dass Herr Rudnikow in die USA auswandern wolle und nicht mehr kandidiere.
Am 13. März werden in zwölf russischen Gebieten neue Parlamente gewählt. Es ist der Auftakt zu den Duma-Wahlen im Dezember.
In Wirklichkeit allerdings will Rudnikow weder auswandern noch von seiner Kandidatur zurücktreten. Er beruft auch keine Versammlungen ein – denn er hat Angst davor, verhaftet zu werden. Deshalb trifft Rudnikow die 30.000 Stimmberechtigten in seinem Wahlkreis lieber in Wohnungen, in seinem Büro in der Gebietsduma oder in der Redaktion seiner Zeitung Novye Koljosa („Neue Räder“). 2007 saß er bereits im Gefängnis, „Extremismus“ war der Vorwurf. Dabei ist Rudnikows Wahlprogramm alles andere als extrem: Er will seinen Wählern mehr Bildung und bessere Gesundheitsversorgung verschaffen, die kommunalen Dienstleistungen, wie etwa die Straßenreinigung, sollen billiger werden. „An dem Budget bereichern sich die Beamten, die Exekutive muss kontrolliert werden“, fordert er.
Die Jagd nach Stimmen bei den Regionalwahlen ist ein Kampf mit ungleichen Mitteln. Unabhängige Kandidaten und Vertreter oppositioneller Parteien sind dabei den Schikanen der Behörden ausgesetzt. Die Regierungspartei Jedinaja Rossija („Einiges Russland“) zieht gegen sie mit so genannter „Schwarzer PR“, Falschinformationen und Lügenkampagnen ins Feld. Bereits bei der Registrierung der Kandidaten wird etwa die Hälfte der Oppositionellen ausgesiebt. So wurden nach einer Untersuchung der unabhängigen Wahlbeobachtungsorganisation Golos 98% der Kandidaten der im Parlament vertretenen Parteien zugelassen. Aber nur 41% der oppositionellen außerparlamentarischen Parteien und 60% der unabhängigen Kandidaten schafften die formellen Hürden. In einigen Regionen wurden die national orientierten Patrioten Russlands und die liberale Partei Jabloko gar nicht zugelassen.
Die oppositionellen und unabhängigen Kandidaten werden meist aus formalen Gründen abgelehnt, „zum Beispiel weil ihr Pass für ungültig erklärt wurde“, sagt Alexander Kynew, Leiter der Analyse-Abteilung von Golos. Oder die Listen mit den gesammelten Unterschriften würden wegen Formfehlern nicht anerkannt. Wegen solcher „Fehler“ war auch der Politiker Dimitri Stalin von der Wahl in seinem Kreis im sibirischen Chanty-Mansijsk ausgeschlossen worden. Der nicht mit dem Diktator Jossif Stalin verwandte Mann konnte aber nach Medieninformationen mit Erfolg Widerspruch gegen das Urteil einlegen. Er sei nur wegen seines Namens suspendiert worden, protestierte er. Auch Journalist Rudnikow musste sich im Februar zwei Mal vor Gericht verteidigen, weil seine Unterlagen den Anforderungen nicht genügen sollten.
Mit den Einkünften aus seiner Zeitung hat Rudnikow keine Chance gegen die finanzielle Übermacht der Putin-Partei. 1.000 Rubel, 25 Euro, biete sie den Wählern pro Stimme, berichtet der Journalist. „Sie versprechen nicht mehr das Blaue vom Himmel, sie kaufen ganz banal die Stimmen auf.“ 500 Rubel vor, 500 Rubel nach der Wahl. Der Erfolg wird wohl auch dieses Mal über das „Karussell-Prinzip“ garantiert, meint der Mann, der seit 1996 in der Kaliningrader Duma sitzt: Der Wähler wirft in der Kabine einen für die Regierungspartei angekreuzten Zettel ein, der ihm zuvor außerhalb des Wahllokals zugesteckt wurde. Sein eigener Wahlschein bleibt unbeschrieben und wird vor dem Wahllokal dem nächsten übergeben. Dort wird wieder ein Häkchen bei Jedinaja Rossija gesetzt.
Jedinaja Rossija beherrscht auch die elektronischen Medien, er lege keinen Wert darauf, im „Putiwisor“, dem Putin-TV, zu erscheinen, sagt Salomon Ginzburg, der ebenfalls in Kaliningrad als unabhängiger Kandidat zur Wahl steht. Auch er trifft die Menschen „informell“, in Wohnungen oder Hauseingängen. „Das Mieten von Sälen ist immer mit Unannehmlichkeiten verbunden.“ Die Kaliningrader Duma sei „für Putin, das große Geld und den Gouverneur“, sagt Ginzburg verächtlich, „einen Speichellecker der Exekutive“. Die Regionalregierung müsse endlich kontrolliert werden, fordert er. Aber auch für ihn ist das Rennen gegen den Opponenten von Jedinaja Rossija in seinem Wahlkreis nicht einfach. Denn der ist Chef des örtlichen Möbelkombinats und hat angeordnet, dass seine Mitarbeiter am Arbeitsplatz wählen – das sind 2.700 Stimmen weniger für Ginzburg.