Serbien

Pro-europäische Regierung in der Krise

„Runter mit der rosaroten Brille“, steht auf dem Transparent des 29-jährigen Lehrers Rade. Er ist dem Aufruf seiner Gewerkschaft nach Belgrad gefolgt, um wie zehntausend andere seinem Unmut gegen die Regierung und die sozialen Missstände Luft zu machen.

Viele Serben sind unzufrieden mit der wirtschaftlichen Lage. Sie protestieren seit Wochen gegen die Arbeitslosigkeit, die mit über 20 Prozent eine der höchsten in Osteuropa ist. Hinzu kommen sinkende Löhne, Inflation und die omnipräsente Korruption. Gründe dafür sind nicht nur die jüngste Wirtschafts- und Finanzkrise, sondern auch die Auswirkungen des Wirtschaftsembargos in den 1990er Jahren, das die internationale Gemeinschaft Serbien in Folge des Jugoslawienkrieges auferlegt hat.

Regierungskoalition ist angeschlagen

Während Lehrer, Polizisten, Pflegepersonal, Anhänger der Oppositionsparteien und bald auch Ärzte streiken, verhandeln derzeit Vertreter des Internationalen Währungsfonds (IWF) mit der angeschlagenen Regierung über Kredite. Bedingung der Geber ist jedoch, dass die öffentlichen Ausgaben nicht weiter steigen. Fast unmöglich, zumal aus den Gesprächen durchgesickert ist, dass der IWF die Anzahl der Menschen ohne Job viermal höher einschätzt als von Regierungsseite angegeben.

Die Regierungskoalition unter Präsident Boris Tadic von der Demokratischen Partei ist angeschlagen. Nach heftigen internen Querelen wurde vergangene Woche der Minister für Wirtschaft und regionale Entwicklung Mladjan Dinkic zusammen mit zwei seiner Ministerkollegen, ebenfalls von der neoliberalen Partei G17plus, aus der Regierung geworfen. Das ist Wasser auf die Mühlen der Opposition: Vor allem der Nationalpopulist Tomislav Nikolic mobilisiert derzeit die unzufriedene Massen. Sollte es zu vorzeitigen Wahlen kommen, wird sich zeigen, ob Nikolic seinem neuerdings pro-europäischen Kurs treu bleibt. Noch bis 2008 führte er die anti-europäische Radikale Partei Serbiens – stellvertretend für ihren in Den Haag inhaftierten Vorsitzenden Vojislav Seselj, der für Kriegsverbrechen in Bosnien, Kroatien und Kosovo angeklagt ist.

Zerstritten in der Europafrage

Rechte Oppositionsparteien könnten rein rechnerisch bei vorzeitigen Neuwahlen eine Mehrheit bilden. Allerdings sind sie in der Europafrage zerstritten. Unter der bisherigen Regierung strebt Serbien bis Ende des Jahres an, Beitrittskandidat der Europäischen Union zu werden. Eine mögliche Koalition zwischen Nikolics neuer Partei  und der vom ehemaligen Ministerpräsidenten Vojislav Kostunica geführten Demokratischen Partei Serbiens birgt dennoch Sprengstoff: Ein großer Teil von Nikolics Anhängern kommt aus dessen ehemaliger antieuropäischen Radikalen Partei. Und unter der Regierung des EU-Skeptikers Kostunica zündeten aufgebrachte Demonstranten 2008 nach der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo westliche Botschaften in Belgrad an.

Eine ernsthafte Gefährdung des serbischen Europakurses ist trotzdem unwahrscheinlich. Jenseits der Regierung gibt es im Parlament parteiübergreifend eine Mehrheit für die EU-Integration. Allerdings könnte es zu einer Verzögerung der Reformen kommen, die Serbien als potenzieller EU-Beitrittskandidat bis Jahresende in den Bereichen Korruption, Parteienfinanzierung oder Rechtswesen durchsetzen muss. Sollte die zerstrittene Koalition wider Erwarten die momentanen Streitigkeiten überleben, wird es auf jeden Fall zu einer Regierungsumbildung kommen. Die Spannung darüber, wie es in Serbien weitergeht, wird wohl mindestens noch bis zur nächsten Parlamentssitzung im März andauern.


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