Kritischer Dokumentarfilmer vor der Berlinale unter Druck
KEIN ANSCHLUSS UNTER DIESER NUMMER
„Khodorkovsky“-Regisseur Cyril Tuschi scheint selbst zum Protagonist eines realen Thrillers zu werden
(n-ost) – Wer in diesen Tagen Cyril Tuschi sprechen will, hat kein Glück. Sein Handy ist ausgeschaltet, am anderen Ende bleibt es stumm. Noch am Wochenende hatte das Telefon ständig geklingelt: Irgendjemand hatte der Presse Tuschis Nummer zugespielt.
Alle wollten sie wissen, wie es ihm gehe, was er jetzt denke und ob man sich nicht wenigstens kurz auf einen Kaffee treffen könne. Nein, will er nicht und kann er nicht. Die Zeit rennt ihm davon. Schon am kommenden Montag feiert Cyril Tuschis Dokumentarfilm „Khodorkovsky“ über Russlands prominentesten Gefangenen Michail Chodorkowski auf der Berlinale Weltpremiere. Und bis dahin gibt es für ihn noch einiges zu tun.
Eigentlich lag der 42-Jährige gut im Rennen. Zuletzt hat er noch an Farbkorrekturen und am Ton gearbeitet. Doch seit fünf Tagen liegt Tuschis Zeitplan in Trümmern. Unbekannte verwüsteten seine Produktionsräume in Berlin-Mitte. Türen waren aus den Angeln gehoben, es fehlten PCs und Laptops, auf denen der Regisseur Material und die Endfassung seines Films gespeichert hatte.
Und die Täter? KGB-Agenten! Glühende Kommunisten! Treue Putinisten! Niemand kennt die Antwort, wild spekuliert wird trotzdem. Denn offenbar haben es die Diebe tatsächlich auf den Klau dieser Daten angelegt, andere Wertsachen ließen sie im Büro zurück.
Es war auch nicht das erste Erlebnis dieser Art: Bereits Anfang des Jahres, kurz nachdem der Film ins Berlinale-Panorama eingeladen worden war, hat Cyril Tuschi Daten eingebüßt. Auf Bali wollte er sein Werk veredeln. Eines nachts verschwand aus dem Hotelzimmer ein Rucksack mit Laptop und zwei Festplatten. Die Häufung der Diebstähle könne Zufall sein, so Cyril Tuschi, der die Ereignisse „nicht instrumentalisieren“ will. Er selbst glaube nicht, dass der russische Geheimdienst hinter den Diebstählen stehe, sagte Tuschi der „Süddeutschen Zeitung“: „Das wäre zu stillos.“ Und er fügte hinzu: „Wenn jemand vorhatte, mir Angst einzujagen, ist das gelungen.“
Ein Motiv gibt es offenbar: Cyril Tuschi deckt in seinem Werk die Hintergründe eines unglaublichen Komplotts auf. Seit über fünf Jahren fasziniert vom Schicksal des russischen Oligarchen Chodorkowski, begibt sich der Regisseur weltweit auf Spurensuche. Er sucht nach der Wahrheit unter der Oberfläche, knüpft Verbindungen und stellt unbequeme Fragen.
In Moskau, Sibirien, Tel Aviv, New York und Berlin hat Tuschi 180 Stunden Gespräche aufgezeichnet – auch mit Chodorkowskis Familie, dem ehemaligen deutschen Außenminister Joschka Fischer und einem früheren Großaktionär von Yukos, dem Ölkonzern des Oligarchen. Das Brisanteste: Der Regisseur hat vor laufender Kamera ein Interview mit Michail Chodorkowski geführt. Und das, obwohl der Gefangene sich eigentlich nur schriftlich äußern darf.
Tuschi hatte ein Ziel: Er hat versucht, mit seinem Film „hinter die Maske des charismatischen Phantoms zu blicken und sich dabei weder von seiner Dämonisierung durch Putins Propaganda noch von Chodorkowskis Selbststilisierung als Opfer irritieren zu lassen“. Jetzt ist der Wahrheitssucher selbst zum Opfer geworden. Doch wie in fast jedem guten Thriller gibt es auch im echten Leben eine glückliche Wendung: Tuschi hatte kurz vor dem Einbruch am vergangenen Freitag eine frühere Version des Films ans Berlinale-Büro geschickt. Es gibt also einen vorführfähigen Film. Cyril Tuschi will, dass „Khodorkovsky“ auf der Berlinale seine Weltpremiere feiert – notfalls auch als Videovorführung.
Barbara Breuer
ENDE
Nachdruck und Weiterverwertung dieses Interviews sind kostenpflichtig. Informationen im n-ost Büro unter 030 2595 32 83-0.