Russland

Modernisierung ist nur ein Zauberwort

Den Auftritt beim Weltwirtschaftsforum in Davos ließ Russlands Präsident Dmitri Medwedew sich nicht nehmen. Kurz nach dem Terroranschlag auf dem Moskauer Flughafen Domodedowo hielt er seine geplante Rede – lediglich einen Tag später als ursprünglich vorgesehen.

Trotz der Anschläge sei Russland ein Land, in dem sich Investitionen lohnen, betonte der Präsident. Die Modernisierung des Landes schreite voran. Beobachter fühlen sich erinnert an seinen Auftritt vor vier Jahren, als Medwedew 2007 als erster stellvertretender Ministerpräsident die russische Delegation in Davos geleitet hatte. Als Präsidentschaftskandidat versprach er die Erneuerung Russlands. Die vier „I“s, so seine griffige Formel, „Institutionen, Infrastruktur, Innovationen und Investitionen“, sollten die rückständige russische Wirtschaft in die Moderne katapultieren.

Innovationen und Modernisierung sind die Zauberworte, die das Tandem von Präsident Dmitri Medwedew und Ministerpräsident Wladimir Putin seither auf den Lippen führt. Doch bisher hat sich das Land nicht zu einem Paradies unternehmerischer Freiheit und technischen Fortschritts entwickelt. Im Gegenteil: Russland spielt in punkto Unternehmerfreiheit in einer Liga mit Äthiopien. Im gemeinsamen Ranking des Forschungszentrum Heritage und des Wall Street Journals belegt Russland Platz 143 von 183 Staaten.

Die Bilanz an technischen Neuerungen ist dünn. Neun Atomreaktoren, die derzeit in Russland gebaut werden, elf russische „Super-Computer“, sowie das Satellitennavigationssystem Glonass waren die technischen Errungenschaften des vergangenen Jahres. Etwa zwei Drittel aller Forschungseinrichtungen sind im Staatsbesitz, vielen von ihnen darben. Zum Beispiel das Prestigeobjekt Skolkowo nahe Moskau, ein Technologiepark nach dem Vorbild des Silicon Valley in Kalifornien. Es wird nicht von einem Jungunternehmer, sondern vom Erdölmagnaten Wiktor Wekselberg geführt, der stets in enger Abstimmung mit der Regierung handelt.
Talentierte Forscher wie der Physik-Nobelpreisträger Andre Geim arbeiten lieber im Ausland. In Russland herrsche ein inakzeptables „Niveau an Bürokratie, Korruption und Ideokratie“, sagte er der Moscow Times.

Die schärfste Kritik kommt indes von der Regierung selbst, vom Ministerium für wirtschaftliche Entwicklung. Ein „innovativer Ruck“ sei nur bei einer Verdoppelung der Ausgaben möglich, heißt es im Entwurf der Strategie des Ministeriums „Innovatives Russland 2020“.

Geschätzte 0,9 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts gibt Russland jährlich für Forschung und Entwicklung aus und hinkt damit im internationalen Vergleich hinterher. 2009 führten gerade 9,4 Prozent der russischen Unternehmen neue Technologien ein – in Deutschland waren es fast 70 Prozent. Neue Ideen werden meist im Ausland gekauft. Die Technologie-Bilanz – das Verhältnis von der Einführung eigener Erfindungen zum Import ausländischer Ausrüstung – zeigte 2009 ein Minus von mehr als einer Milliarde US-Dollar auf. Vorzeigeobjekte wie der neue Schnellzug Sapsan kommen aus dem Ausland, in dem Fall von Siemens.

„Die Russen sind extrem fixiert auf die modernste technische Lösung“, sagt Torsten Frühauf, Geschäftsführer des Berliner Unternehmens Prokonzept. Der IT-Dienstleister liefert die Wartungstechnologie für den Schnellzug Sapsan. Die Firma hat weitere Aufträge für Regionalzüge erhalten und denkt über eine Produktion in Russland nach. Aber: „Das Qualitätsmanagement entspricht nicht unserem Standard“, so Frühauf.

Für Investoren ist ein Engagement in Russland nach wie vor mit Risiken behaftet. Unternehmer kritisieren vor allem die ausufernde Bürokratie und Korruption, wie eine Umfrage der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer ergibt. Probleme mit der Korruption räumte auch Medwedew in Davos ein, verbat sich aber Kritik vom Ausland: „Wir brauchen keine Lehrmeister.“


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