Russland

„Moskau kann den Terror nicht stoppen“ / Interview mit Alexander Golz

„MOSKAU KANN DEN TERROR NICHT STOPPEN“
Nach dem Anschlag in Moskau spricht der Sicherheitsexperte Alexander Golz über eine verfehlte Kaukasus-Politik, degradierende Sicherheitsstrukturen und mangelnde Selbstkritik des Kremls.

Erst im März 2010 ging eine Bombe in der Moskauer U-Bahn hoch. Wie konnte es passieren, dass es nach so kurzer Zeit wieder zu einem Terroranschlag kommt? Haben die Sicherheitsbehörden nichts gelernt?

Golz: Anschläge gibt es in Russland bereits seit elf Jahren. Das bedeutet, dass die russischen Machthaber nicht in der Lage sind, den Terror zu stoppen. Polizei und Sicherheitsdienst sind Behörden, die nicht kritisiert werden dürfen. Deshalb kann keiner Verbesserungen durchsetzen.

Wo liegen die Versäumnisse und was müsste sich ändern?

Golz: Die Sicherheitsorgane beschäftigen sich zu wenig mit der operativen Arbeit, das hieße, eigene Agenten in die Terrororganisationen einzuschleusen. Die Extremisten werden nur von außen bekämpft. Die Sicherheitsstrukturen verfallen und das mit dem Wohlwollen der Regierung.
Das zweite Problem ist die russische Politik im Kaukasus. Moskau passt sich den Verhältnissen in Tschetschenien an. Die örtlichen Machthaber brechen die Gesetze, erhalten aber trotzdem Geld. Dafür sollen sie garantieren, dass es keine Terroranschläge gibt. Aber diese Politik funktioniert nicht. Die Regierung hat die Ausgaben, die Terrorakte gehen trotzdem weiter.

Warum gehen Polizei und Sicherheitsdienst nicht effektiver gegen die Terrororganisationen vor?

Golz: Dies wäre schwer zu realisieren, eine gefährliche Arbeit. In den Sicherheitsstrukturen gibt es viele warme Plätze, sie wollen nichts riskieren.

Was hat sich nach dem Terroranschlag in der Moskauer U-Bahn verändert? Was wurde unternommen?

Golz: Nichts. Die kleinen Jungs in Polizeiuniform stehen einfach herum, sie haben keinen Nutzen. Sie wissen nicht, wie sie Terroristen erkennen sollen. Wenn das Sicherheitssystem verschärft wird, werden Truppen des Innenministeriums eingesetzt. Diese Soldaten sind 18-jährige Jungs, sie können nichts ausrichten. Jetzt wird die Reaktion der Sicherheitsorgane rein administrativ sein. Papiere werden verfasst, aber in der Praxis wird nichts unternommen.

Warum sind sich die Behörden so schnell sicher, dass der Attentäter aus dem Nordkaukasus kommt?

Golz: Seit elf Jahren gibt es Terroranschläge in Russland, jedes Mal kamen die Täter aus dem Nordkaukasus. Wir haben keine anderen Quellen des Terrors.

Der Kampf gegen den Terror wird schon lange geführt. Warum zeigt er bislang wenig Erfolge?

Golz: Das Problem ist der Verfall der Sicherheitsstrukturen und die Ineffektivität der Kaukasuspolitik. Reformen durchzuführen hieße, diese Strukturen zu demokratisieren. Dies würde aber die Machtvertikale zerstören, die Ministerpräsident Wladimir Putin seit zehn Jahren aufbaut.

Wer nimmt die Verantwortung dafür, dass es überhaupt zu dem Unglück kommen konnte, auf sich?

Golz: Präsident Medwedew trifft sich heute mit den Sicherheitsorganen. Aber die russischen Machtstrukturen sind von der Kritik ausgenommen. Die Schuld wird der Flughafenverwaltung von Domodedowo zugeschoben.


ZUR PERSON
Alexander Golz (Jahrgang 1955) schrieb als Redakteur des Zentralorgans des russischen Verteidigungsministeriums "Krasnaja Swesda" über russische Sicherheitspolitik, später war er militärischer Beobachter der Zeitschrift "Itogi". Als Anlalyst verfasste er an der Universität Stanford (USA) Studien zur Militärreform in Russland, die in "Jane´s Defence Weekly" erschienen. Seit 2003 ist er stellvertretender Chefredakteur der "Wochenzeitschrift".


Weitere Artikel