Griechenland

Weihnacht im Schatten der Krise

Der Weihnachtsbaum der Familie Feodorou, ein dürres Plastikgestell mit kleinen glitzernden Anhängern, steht in einer Ecke neben der Wohnungstür. Die vier Kinder von Dionysis (38) und Katerina (33) beachten ihn kaum und spielen in dem kleinen Wohnzimmer nebenan. Denn unter dem Baum liegen auch in diesem Jahr keine Geschenke.

Familie Feodorou spürt die schlechte wirtschaftliche Situation Griechenlands seit Jahren. Doch in diesem Winter ist es besonders schwer. „Wir haben noch nicht mal einen Euro in der Tasche für die Feiertage“, sagt Dionysis Feodorou und spielt nervös mit den Fingern. Feierliche Stimmung kommt da kaum auf. Die Miete für das kleine Haus mit den schmalen Fenstern, in dem die Familie seit ein paar Monaten untergebracht ist, zahlt die Kirche. Sie versorgt die Familie auch mit Lebensmitteln. Immer mehr griechische Familien suchen Unterstützung in kirchlichen Gemeinden „Wir sind ein besetztes Land und führen Befehle aus, die uns unsere Herrscher-Gläubiger (IWF-EU) diktieren“, zürnt die orthodoxe Kirche Griechenlands in einem Schreiben vom Sonntag.

Dionysis Feodorou, der Familienvater mit den blauen Augen und den tiefen Sorgenfalten, wiederholt immer wieder den gleichen Satz: „Ich brauche Arbeit”. Seit mehr als vier Monaten ist er arbeitslos. Er versucht, die Familie mit Gelegenheitsjobs zu ernähren. Das letzte Mal hat ihm das Arbeitsamt 2004 einen Job vermittelt.

Dionysis Feodorou war Bauer in seiner Heimatstadt Larissa, bevor er nach Athen zog und dort seine Frau kennen lernte. In der griechischen Hauptstadt nahm er alle möglichen Aushilfsjobs an, arbeitete im Sommer als Kellner in einem Vorort. Doch das war nur eine Teilzeitstelle, ohne legale Papiere. Deshalb hat Feodorou keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, das ohnehin für nur ein Jahr vorgesehen ist.

„Unser einziges festes Einkommen sind die 350 Euro Kindergeld, die wir alle zwei Monate bekommen. Die andere Beihilfe wurde im Rahmen der Einsparungen der Regierung gestoppt“, sagt er. Feodorous Familie gehört zu den hunderttausenden griechischen Familien, die unter der Armutsgrenze leben.

Laut offizieller Statik sind fast 20 Prozent der griechischen Bevölkerung von Armut bedroht, das heißt 845.000 Haushalte mit mehr als zwei Millionen Menschen – Tendenz steigend. Die Arbeitslosigkeit liegt offiziell bei 12,4 Prozent, dem höchsten Wert seit zehn Jahren. 621.938 Menschen haben keine Arbeit, das sind 150.000 mehr als vor einem Jahr. Die Prognosen für das nächste Jahr sind düster. Die Arbeitslosigkeit könnte auf mehr als 15 Prozent steigen, schätzt die EU-Kommission in einen aktuellen Bericht.

Katerina Feodorou wäscht wortlos Geschirr, die Kinder toben um sie herum. „Heute habe ich nichts gekocht“, sagt sie leise. „Ich muss immer das kochen, was die Leute uns bringen. Heute haben wir vier Zucchini, die ich mit Kartoffeln zum Abendessen zubereiten werde.“ Sie klingt erschöpft. Früher habe sie mit der Solidarität ihrer Verwandten rechnen können – heute geht das nicht mehr. „Jeder hat seine eigenen Probleme. Wie soll man sich noch Gedanken über eine Familie mit vier Kindern machen?“ Sie lächelt bitter.

Trotz der allgemein schwierigen Lage bilden sich in Athener Stadteilen kleine Bürger- und Gemeindeinitiativen, die die Solidarität in der Gesellschaft stärken wollen. „Kein Bürger allein in der Krise“, steht auf einem Plakat ein paar hundert Meter vom Haus der Familie Feodorou entfernt.


Massive Kredite und ein sinkendes Bruttoinlandsprodukt

Als erstes Land der Eurozone hat Griechenland im Mai mit der EU und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) ein Rettungspaket über insgesamt 110 Milliarden Euro vereinbart, um einen Staatsbankrott zu verhindern. Im Gegenzug beschloss die Regierung harte Sparmaßnahmen, die besonders Arbeitnehmer und Hilfeempfänger trafen. In der vergangen Woche verabschiedete das griechische Parlament ein neues Sparpaket, um die Bedingungen für einen weiteren Kredit zu erfüllen. Dies führte wegen massiver Einschnitte in Arbeitnehmerrechte zu gewalttätigen Protesten und Streiks. Der IWF lobte Griechenland für seine „eindrucksvollen“ Korrekturen bei den öffentlichen Finanzen und genehmigte einen weiteren Sofortkredit von 2,5 Milliarden Euro. Die vom IWF ausgezahlte Summe erreicht mit dem neuen Kredit 10,6 Milliarden Euro. Wirtschaftanalysten warnen vor den Folgen der Sparmaßnahmen und Einkommenseinschnitte – sowohl wegen der hohen Arbeitslosigkeit als auch wegen der steigenden Armutsrate. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist 2009 bereits um 2,3 Prozent geschrumpft, für dieses Jahr rechnet man mit einem Rückgang von 4,2 Prozent.


Auf dem Marktplatz des Stadtviertels Agioi Anargiroi hat eine Gemeindeinitiative einen Flohmarkt organisiert. Dick eingepackte Menschen verteilen Weihnachtsgebäck, verschenken gebrauchte Kleider und verkaufen Kleinkram zu günstigen Preisen. Die meisten Geschäfte am Platz stehen leer.

Die Kaufkraft der Griechen hat sich im Vergleich zum Vorjahr wesentlich reduziert. Schuld sind die hohe Mehrwertsteuer, Einkommenseinschnitte und die Inflation. Laut einer aktuellen Studie des Instituts Deloitte & Touche wird die Kaufkraft der Griechen in diesem Jahr zu Weihnachten um mehr als 20 Prozent zurückgehen, während der europäische Durchschnitt bei minus 2,5 Prozent liegt. Der griechische Handelsverband rechnet mit Umsatzverlusten von mehr als drei Milliarden Euro im Vergleich zum Vorjahr.

Dionysis Feodorou starrt melancholisch auf die Menschen, die auf dem Flohmarkt einkaufen. Seine Kinder haben ihm ihre Briefe an den Weihnachtsmann mitgegeben, als er vor der Tür stand, um sich auf Arbeitssuche zu begeben. Geld, um Geschenke für sie zu kaufen, hat er nicht. Auch die Hoffnung auf eine bessere Perspektive hat er verloren. EU-Währungskommissar Olli Rehn erklärte bei seinem Besuch vor ein paar Tagen, mit einem Aufschwung von drei Prozent könne Griechenland erst in zehn Jahren rechnen.


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