Russland

Die Dreckschleuder vom Baikalsee

Der Gedanke an Loch Ness drängt sich auf: Nessie, das Seeungeheuer. Ein Blick in die tiefdunkle Brühe, die blubbert, gegen die Betonwände klatscht, dichten Schaum schlägt – das Wasser, Quell allen Lebens. Hier verströmt es Gefahr. Ort des Geschehens ist die Zellstofffabrik an der Südspitze des Baikalsees. Genauer gesagt die Kläranlage. Die Geschäftsführung der BCBK Baikalsk hat den Schutzschild etwas gesenkt – und gewährt Einblick in eine Produktion, um die sich die Unesco sorgt, die Wladimir Putin aber für unbedenklich erklärt hat.

Wladimir Filippow fällt es nicht schwer, einen unbedarften Eindruck zu machen. Er ist erst seit wenigen Wochen Generaldirektor der Fabrik. Ein älterer Herr mit tiefliegenden kleinen Augen, bei dem das Lächeln nie ganz aus dem Gesicht verschwindet. Seine rechte Hand zieren ein breiter goldener Ring und ein fingernagelgroßes Tattoo. In den vergangenen acht Jahren hat das Werk mehr als zehn Leiter gehabt, Wladimir Filippow aber redet davon, die nächsten fünf Jahre bleiben zu wollen – „bis zur Rente“.

Er präsentiert schwungvoll seinen Plan. In einer Produktionslinie soll künftig ungebleichte Zellulose hergestellt werden. In einem geschlossenen Wasserkreislauf, das heißt ohne Abwasser. Für die zweite Produktionslinie sei man in Verhandlung mit einer finnischen Firma, die eine Technik zum Bleichen mit Sauerstoff und Lauge entwickelt. Das Verfahren produziere weniger Abwasser als die jetzige Chlorbleiche. Kein Wort davon, dass die Unesco sich gerade mit der Fabrik und der Verschmutzung des Baikalsees beschäftigt.

Als die Sprache auf die Eigentumsverhältnisse des Unternehmens kommt, wird der Direktor wortkarg. Mehr als 25 Prozent der Aktien halte die Firma Continental-Invest, mehr will er nicht verraten. Dabei weiß rund um den Baikal fast jeder, dass auch der Staat selbst mindestens 40 Prozent an der BCBK hält.

Wie ein Zauberkünstler hebt Wladimir Filippow ein Glas in die Höhe und gießt Mineralwasser hinein. Genauso klar sähe das Wasser aus, das am Ende des Klärprozesses herauskomme. Man könne es sogar trinken. Als zwei Stunden später Mitarbeiter an der Kläranlage Wasser abschöpfen und von Gästen gefragt werden, ob sie es denn trinken könnten, wehren sie erschrocken ab. Wladimir Filippow hat sich schon vorher eilig verabschiedet. Er sei für den Rest des Tages nicht mehr zu sprechen, heißt es.

Die Wiedereröffnung der Zellulosefabrik Ende April dieses Jahres wurde begleitet von einem weltweiten Medienrummel. Am Pranger der Umweltschützer: Ministerpräsident Wladimir Putin. Er hatte die neue Betriebserlaubnis gegeben. Weil Arbeitslosigkeit, Unzufriedenheit und Geldnot den Bewohnern von Baikalsk ansonsten über den Kopf wachsen würden. 2008 hatte das Zellulosewerk den Betrieb wegen strengerer Umweltauflagen schließen müssen. Die Produktion war einfach zu unrentabel geworden.

Nun überbieten sich in Baikalsk Gegner und Befürworter mit Horrorszenarien und hoffnungsvollen Meldungen. Insider der Papierproduktion berichten, der Zellstoff, der mit 40 Jahre alter Technik hergestellt werde, genüge auf dem Weltmarkt nicht mal geringsten Ansprüchen. Die Konzernleitung beteuert, chinesische Abnehmer seien ganz wild auf die russische Zellulose, aus der sie billigen Viskosestoff herstellen. In Irkutsk geht das Gerücht um, die Fabrik arbeite nur einen Tag in der Woche. Ein Mitarbeiter versichert, zwar werde momentan nur 50 Prozent der Kapazität genutzt, doch das Werk produziere ohne Verluste. 1.560 Mitarbeiter sollen in der Fabrik arbeiten. In der Trockenhalle sind höchstens 20 zu sehen.


Die umstrittene Kläranlage der BCBK Baikals. 40 Jahre ohne Modernisierung / Roman Schell, n-ost

In der gut 500 Meter langen Halle liegt der Wasserdampf in der Luft. Er kondensiert und tropft von der Decke. Auf einer Theke liegen Helme und Gasmasken aus alten Sowjetbeständen. Dem stellvertretenden Personaldirektor Alexander Winogradow treten schon nach wenigen Minuten Schweißtropfen auf die Stirn. Er ist ein vierschrötiger Mann, Hakennase, tellergroße Hände, die Haare an den Schläfen schwarz nachgefärbt. Über den ohrenbetäubenden Lärm hinweg gibt er bereitwillig Auskunft. Das Unternehmen habe Probleme mit der Belieferung. Während die BCBK geschlossen war, haben sich viele Holzlieferanten nach China umorientiert, die müsse man nun wieder zurückgewinnen. Das Holz wird bis zu 1.000 Kilometer weit aus der Baikalregion und Burjatien nach Baikalsk geschafft. Außer der Trockenhalle seien alle anderen Gebäude für die Besucher tabu. Das Heizwerk, die Hallen, in denen das Holz geschreddert und die Chemikalie angerührt wird, die das Holz schließlich zersetzt und den wertvollen Zellstoff abtrennt, sind Sperrgebiet.

In der Trockenhalle wird die Zellulose im letzten Arbeitsschritt getrocknet, geschnitten und zu Ballen von je 180 Kilogramm verpackt. Der Zellstoff ist zwischen ein und zwei Millimeter dick, so als habe man mehrere Lagen Papiertaschentücher übereinander gelegt und gepresst. Die Arbeiter an den Maschinen reißen kleine Stücke aus den Ballen und verschenken sie. Sie seien froh, dass die Fabrik wieder geöffnet ist, erzählen sie. Sobald die Nachricht von Putins Engagement raus war, schickten die Menschen in Baikalsk ihre Bewerbungen ab.

Wenn es um die Unterstützung der Bevölkerung geht, kommt selbst eine erfahrene Aktivistin wie Marina Richwanowa ins Schleudern. Schon Ende der 70er Jahre schrieb Richwanowa als Studentin eine Arbeit über die Auswirkungen der Fabrik auf die Tierwelt am Baikalsee, die Arbeit wurde nie veröffentlicht. Heute ist die kleine Frau mit unmoderner Brille Kopf der Umweltschutzorganisation „Baikalwelle“, die Büros werden regelmäßig von der Miliz auf den Kopf gestellt.

Die „Baikalwelle“ wirkt wie eine Ansammlung aufrechter Umweltschützer, nur der Besten aller Sachen verpflichtet, der Erhaltung des größten Süßwassersees der Erde. Wer sich aber in Baikalsk umschaut, hört vor allem von einer Organisation, die Arbeitsplätze zerstört und die Wirtschaft zugrunde richtet. Es wirkt ein wenig hilflos, wenn Marina Richwanowa berichtet, man habe die Menschen in Baikalsk bei der Suche nach alternativen Erwerbsmöglichkeiten unterstützt, dabei hält sie einen schallplattengroßen geflochtenen Untersetzer in die Luft. Die Baikalwelle hätte so gern, dass die ehemaligen Fabrikarbeiter ihr Herz für den Tourismus entdecken. Deshalb hat sie das jährliche Erdbeerfestival initiiert und freut sich, dass ein Unternehmer in ein Skigebiet oberhalb von Baikalsk investiert. Und trotzdem: Wieviele Menschen würden wohl kommen, wenn Sie für nächste Woche eine Protestaktion gegen die Fabrik ankündigen würden, Marina Richwanowa? Sie zuckt mit den Schultern: „Nicht viele.“


Blick auf die Zellulosefabrik vom Baikalsee aus / Roman Schell, n-ost

Ein bittersüßer Geruch liegt in der Luft, vergleichbar mit vergorenem Grünkohl. Letzte Station Kläranlage. Etwa 150 Meter entfernt von den Fabrikhallen wird das Waser als fast schwarze Brühe in die Becken zur chemischen und organischen Reinigung geleitet. An jedem zerborstenen Rohr, an jeder Wand, an der sich der Schaum als armdicke Kruste abgesetzt hat, wird deutlich, wieviele Jahrzehnte die Anlage schon ohne Modernisierung läuft. Der Kontrast zu den mit Raureif überzogenen Birkenwäldern am Horizont könnte nicht deutlicher sein. An die 90.000 Kubikmeter Wasser schafft die Kläranlage in 24 Stunden. So klar, wie Direktor Wladimir Filippow versprochen hatte, ist das geklärte Wasser nicht. Ein leichter gelber Schimmer bleibt zurück. Das Wasser wird weitere 50 Mal verdünnt und dann in den Baikalsee geleitet. „Die Perle Russlands“, nennt Wladimir Filippow den See. Ein paar Tage später bezeichnet ein Lokaljournalist die Fabrik in einem Artikel als „die Schande Russlands“.


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