Moderne Kunst gegen die Last der Vergangenheit
ine zugige Eisenbahnunterführung führt Fußgänger in den Krakauer Stadtteil Zabłocie. Immer wieder werden hier Graffitis übermalt. Anschlussgleise, auf denen längst keine Waggons mehr fahren, rosten vor sich hin. Hinter dem Tunnel fällt der Blick auf Fabrikhallen, Industriegebäude, ein Kühlhaus. Das Industriegebiet Zabłocie gehört nicht zu den einladenden Gegenden Krakaus. Doch es ist einer der meistbesuchten Orte der südpolnischen Kulturstadt. Anziehungspunkt ist ein graues, dreistöckiges Verwaltungsgebäude aus den 1930er Jahren. Hier rettete der deutsche Industrielle Oskar Schindler 1.200 Juden vor dem Tod in Auschwitz. Von jüdischen Vorbesitzern übernahm er eine Firma, die in Zabłocie Emaillegeschirr herstellte.
Weltberühmt wurde die frühere Fabrik 1994 durch Steven Spielberg, der hier seinen Film „Schindlers Liste“ drehte. Seither besuchen jährlich Hunderttausende Besucher den Ort in der Lipowa-Straße. Bisher blieben sie vor einem verschlossenen Tor stehen. Eine Firma produzierte in den Hallen Radioteile. Als sie vor wenigen Jahren auszog, wusste die Stadt lange nichts mit dem historischen Erbe anzufangen.
Neubau des Museums für moderne Kunst in Krakau auf dem Gelände der früheren Fabrik von Oskar Schindler / Hartmut Ziesing, n-ost
Nun soll moderne Kunst der Last der Vergangenheit begegnen: Am 16. November eröffnet in Schindlers ehemaliger Fabrik ein Museum für Gegenwartskunst. Dazu adaptierte die Stadt die Produktionshallen mit ihrem für Fabriken charakteristischen Sägezahndach und ließ den italienischen Architekten Claudio Nardi ein neues Gebäude im neo-modernistischen Stil errichten. Es ist das erste neu erbaute Museum für zeitgenössische Kunst in ganz Polen.
Doch erst einmal bleiben die Wände der Ausstellungshallen leer – eröffnet wird nur das Gebäude, die Dauerausstellung soll im Frühjahr folgen. 4.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche müssen gestaltet werden, die Sammlung befindet sich noch im Aufbau. Auch aus Krakaus Partnerstadt Nürnberg soll eine Kollektion als Dauerleihgabe nach Krakau kommen.
In den Plänen für die Dauerausstellung findet sich allerdings kein Bezug zur einstigen Schindler-Fabrik. Mit Unverständnis reagiert darauf die KZ-Überlebende Stella Müller-Madej: „Wenn ich von der Emaille-Fabrik höre, so denke ich an meinen Retter Oskar Schindler und nicht an moderne Kunst.“ Die 80-Jährige Krakauerin arbeitete zwar selber nicht in der Lipowa-Straße, sondern gelangte als Kind aus dem KZ Plaszow nach Auschwitz und von dort auf die berühmte „Schindler-Liste“ in den Transport nach Brünnlitz. Dorthin hatte Schindler in den letzten Kriegswochen seine Fabrik verlagert. „So einen wie Oskar Schindler gab es in ganz Europa nur einmal“, sagt die Jüdin, die dem Industriellen ihr Leben verdankt, „moderne Kunst kann man doch überall zeigen.“ Tatsächlich hatte die Stadt ursprünglich geplant, die zeitgenössischen Werke im historischen Bahnhofsgebäude im Krakauer Zentrum auszustellen.
Umgebaute Halle der einstigen Schindler-Fabrik für das Museum für moderne Kunst in Krakau / Hartmut Ziesing, n-ost
Stella Müller Madej ärgert sich auch über eine Multimedia-Ausstellung, die das Historische Museum der Stadt Krakau seit einigen Monaten auf dem Gelände der Schindler-Fabrik zeigt. Für die Schau über die Zeit der deutschen Besatzung von 1939 bis 1945 wurde das einstige Bürogebäude im Inneren vollständig umgebaut, viele der originalen Spuren wurden dabei unwiederbringlich zerstört. Die Ausstellung erinnert mehr an eine Bühnen-Inszenierung als an ein traditionelles Museum. Sie zeigt kaum originale Dokumente, rekonstruiert dafür aber zahlreiche Straßenszenen, Bunker und sogar ein Fragment des ehemaligen KZ Plaszow. Auch hier wird der Retter Oskar Schindler nur am Rande erwähnt. Stella Müller-Madej ist empört, dass die Besatzung der Stadt im Mittelpunkt steht: „Die Menschen müssen doch die Wahrheit über Oskar Schindler erfahren. Er war ein guter, edler Mann, der alles für seine Mitmenschen gegeben hat – wo soll man so etwas sonst lernen?“