Ein zahnloser Wulff
Es gibt wichtigere Themen als Menschenrechte. Vor allem, wenn sich die Welt von einer Wirtschaftskrise erholt und der deutsch-russische Handel gerade wieder so richtig durchstartet. So halten es auch die Präsidenten der beiden Länder. Christian Wulff hat seinem viertägigen Staatsbesuch in Russland den Titel „Modernisierungspartnerschaft mit Russland“ verpasst und damit den Kurs vorgegeben. Dmitri Medwedew warb um deutsche Investoren im Innovationsstandort Skolkowo, ein geplantes zweites Silicon Valley nahe Moskau. Partnerschaft und Dialog, das heißt im deutsch-russischen Miteinander vor allem eins: Deutschland investiert und verdient dabei, Russland modernisiert und verdient dabei ebenfalls.
Fast schon traditionell hatte die deutsche Generalsekretärin von amnesty international, Monika Lüke, Wulff vor seiner Ankunft in Moskau aufgefordert, er möge sich für die Einhaltung der Menschenrechte einsetzen. Christian Wulff mag es vernommen haben – und reagierte mit einem erprobten Mix aus Diplomatie und Zurückhaltung. Beim gemeinsamen Auftritt mit Dmitri Medwedew am Dienstag Nachmittag spickte der Bundespräsident seine Rede so unauffällig mit den Begriffen „Zivilgesellschaft“ und „Nichtregierungsorganisationen“, dass manch ein Zuhörer hinterher wohl kaum mehr sagen konnte, ob sie tatsächlich gefallen waren. Deutlich zupackender wurde Wulff bei Themen, die auch Geschäftsleuten ein Dorn im Auge sein dürften: Er verlangte mehr Rechtssicherheit „besonders für deutsche Investoren“ und ein Ende der russischen Registrierungspraxis. Bislang muss sich jeder Reisende in Russland innerhalb von drei Tagen am Aufenthaltsort behördlich anmelden.
Wulff hielt sich an die Devise: Angriff ist bei diesem Besuch nicht die beste Lösung. Erst recht, wenn am Pult nebenan mit Dmitri Medwedew ein Mann steht, der wie kaum ein zweiter in Russland Modernisierung und gesellschaftlichen Wandel predigt. Wulff wird die Achtung gespürt haben, die ihm im Osten entgegen gebracht wird. Das Wort „Präsident“ gilt hier viel, da ist es egal, dass der deutsche Gegenspieler von Medwedew vor allem für Neujahrsansprachen und Jubelposen auf Stadiontribünen herhalten muss. „Er bestimmt nicht die Politik, aber seine Stimme hat politisches Gewicht“, lobt die russische Presse. Der erste Besuch des deutschen Staatsoberhauptes seit acht Jahren, und dann gleich für volle vier Tage. Nicht nur die Zeitungen schreiben von einer besonderen Qualität der Visite, auch Medewedew gibt sich beeindruckt: „Das hier ist kein gewöhnlicher Besuch.“
Dass der deutsche Präsident die russischen Gastgeber beim Thema Menschenrechte in Bedrängnis bringen könnte, das fürchtet selbst in Russland kaum jemand. Die Zeitungen schweigen. Nur eine Handvoll Kommentatoren der sonst so aktiven und scharfzüngigen russischen Blogosphäre greifen die Forderung der deutschen Sektion von amnesty international auf. Die russischen Kollegen der Menschenrechtsorganisation halten sich lieber gleich raus. Die Vorsitzende des Moskauer Büros habe keine Stellungnahme vorbereitet, heißt es lapidar.
Falls es doch noch Kritiker geben sollte, hat Wulff einen Kronzeugen im Gepäck. Hans Peter Kröger, Präsident des Deutschen Feuerwehr-Verbandes, reist in der mit Firmenvertretern gespickten Entourage des Bundespräsidenten. Kröger werde in den Gesprächen mit den russischen Partnern das Feld „Zivilgesellschaft und NGOs“ abdecken, kündigte Wulff an. Damit ja keiner glaubt, es gehe bei diesem Besuch ausschließlich um Wirtschaft.