Ukraine

Busunglück mit 38 Toten

Die ersten Bilder, die das ukrainische Fernsehen ab dem Mittag überträgt, zeigen ein Bild des Grauens: Eine blaue Lokomotive ist zu sehen, um ihre Vorderseite hat sich ein Knäuel aus gelbem Blech, Sitzen und Motorteilen geformt, das einmal ein Minibus der Marke „Etalon“ war. Neben dem Gleis haben Sanitäter mehrere Dutzend Tote aufgereiht, ihre Gesichter sind notdürftig mit einer blauen Plane verdeckt. Für die Passagiere wurde der Bus, mit dem sie täglich zur Arbeit fuhren, zur Todesfalle. Die meisten der etwa 50 Insassen starben noch am Unfallort, die anderen kämpfen in Krankenhäusern um ihr Leben. Unter den Opfern sind auch zwei Kinder.

Die Katastrophe ereignete sich am Dienstagmorgen an einem Bahnübergang in der Nähe der Kleinstadt Marganjez, etwa 500 Kilometer südöstlich der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Nach ersten Erkenntnissen hielt der ukrainische Linienbus, der die örtlichen Bewohner wie jeden Morgen zur Arbeit brachte, an dem Bahnübergang zuerst an. Eine rote Ampel und ein akustisches Signal zeigten an, dass die Durchfahrt gesperrt war. Nach Berichten von Überlebenden stieg der Fahrer dann aus und überzeugte sich offenbar davon, dass kein Zug in Sicht war. Daraufhin setzte er sich wieder ans Steuer und fuhr auf die Gleise – obwohl die Lokomotive in diesem Moment nur noch weniger als 20 Meter entfernt war. Ukrainische Medien berichten unter Berufung auf Augenzeugen, dass die Passagiere gegen ein Weiterfahren protestiert hätten – womöglich sahen sie im Gegensatz zum Fahrer die herannahende Rangierlokomotive.

Die Geschwindigkeit, mit der die Lokomotive auf den Bus traf, ist bisher nicht bekannt. Weil der Busfahrer sein Fahrzeug nur wenige Sekunden vor dem Zusammenstoß auf den Übergang fuhr, gelang es dem Zugführer jedenfalls nicht mehr, die Bremse zu betätigen. Stattdessen schob die Lokomotive den Bus mindestens dreißig Meter vor sich her und blieb dann stehen.

Die von der Regierung entsandte Untersuchungskommission geht bisher als Grund für den Unfall von menschlichem Fehlverhalten aus. „Die Ampel war intakt und zeigte an, dass der Übergang gesperrt ist“, sagte ein Sprecher der ukrainischen Eisenbahn am Dienstag. Auch die Sichtweite beträgt an dieser Stelle in beide Richtungen etwa 700 Meter. Am Nachmittag leitete die Staatsanwaltschaft ein Strafverfahren wegen der „Verletzung von Sicherheitsregeln im Verkehr“ ein.

Der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch drückte noch am Mittag den Angehörigen der Opfer sein Beileid aus. Sein Premierminister Nikolaj Asarow eröffnete die Kabinettssitzung der Regierung mit einer Schweigeminute. Dann kündigte er an, dass die Angehörigen der Opfer je 12 500 Dollar an staatlicher Unterstützung erhalten sollen. Vom Transportministerium forderte Asarow, „in kürzester Zeit alle unbewachten Eisenbahnübergänge zu vervollkommnen.“ Jeder Übergang solle mit einer automatischen Schranke ausgestattet werden, die gefährlichsten Orte sollten von Bahnwärtern überwacht werden. Am Nachmittag sandte auch der russische Präsident Dmitri Medwedjew ein Beileidsschreiben nach Kiew. Präsident Janukowitsch erklärte den Mittwoch in der Ukraine zum Trauertag.

In der Ukraine und in Russland werden kleine Linienbusse, auf Russisch „Marschrutka“ genannt, immer wieder in schwere Unfälle verwickelt. Meist werden die Busse von Privatunternehmern betrieben, die an einer Maximierung des Gewinns interessiert sind. Die oft schlecht ausgebildeten Busfahrer stehen deshalb unter dem Druck, so viele Passagiere wie möglich in so wenig Zeit wie nötig zu transportieren. Auch der „Etalon“, der in der Ukraine verunglückte, war völlig überfüllt: Laut Hersteller verfügt er nur über 20 Sitz- und 20 Stehplätze.

Am gleichen Tag, nur wenige Minuten später und hundert Kilometer weiter östlich kam es zum nächsten Unfall auf den Gleisen: In Nowoje Saporoschez rammte ein Güterzug an einem Bahnübergang einen Traktor. Dessen 65-jähriger Fahrer kam dabei ums Leben. Auch hier funktionierte das Stoppsignal nach Angaben der ukrainischen Bahn einwandfrei. Offenbar hatte der Traktorfahrer den Zug übersehen.


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