Sieg der Nationalisten
Der Morgen nach den Wahlen in Kirgistan ist so ruhig wie es der Wahlsonntag war. Fünf der 29 angetretenen Parteien haben den Einzug ins Parlament geschafft. Die meisten Stimmen, rund 8,6 Prozent und damit 29 der 120 Parlamentssitze, bekam die nationalistische Partei Ata Zhurt (Vaterland). Sie gilt als Auffangbecken der Anhänger von Ex-Präsident Kurmanbek Bakijew, der im April gestürzt worden war. Für viele Bewohner der kirgisischen Hauptstadt ist dieses Wahl-Ergebnis ein kleiner Schock.
„Das haben wir nicht erwartet,“ sagt eine Frau, „das sind doch Bakijews Leute, die wollten wir nicht noch einmal haben.“ Und ein Taxifahrer ist sicher: „Die aus dem Süden haben so gestimmt. Nicht, dass daraus noch ein Bürgerkrieg entsteht“, fürchtet er.
Der 41-jährige Kamchybek Taschijew, der als Spitzenkandidat von Ata Zhurt ins Rennen gegangen war, gehörte als Minister zu Bakijews Regierung. Er kommt selbst aus dem Süden Kirgistans und gilt als Teil der nationalistischen Kräfte im Land, die die Führungsrolle der Kirgisen gegenüber Minderheiten wie Usbeken oder Russen betonen. Von der Politik der Übergangsregierung hält er wenig, ließ er im Wahlkampf durchblicken: „Wenn wir an die Macht kommen sollten, werden wir versuchen, die Verfassungsänderung wieder rückgängig zu machen.“
Die neue Verfassung, die die Kirgisen bei einem Referendum im Juni angenommen hatten, gilt als Meilenstein in der Politik Kirgistans. Erstmals entschied sich damit ein Staat in Zentralasien für ein parlamentarisches System: Der Präsident verliert an Einfluss, Parlament und Regierung werden gestärkt.
Ob sich Ata Zhurt im neuen Parlament durchsetzen kann, ist noch fraglich. Neben dem Wahlsieger haben weitere vier Parteien die Fünf-Prozent-Hürde überwunden und sind ins Parlament eingezogen: die Sozialdemokratische Partei Kirgistans (SDPK) mit Almasbek Atambajew, der Chef der Interimsregierung war, Respublika, die erst kurz vor den Parlamentswahlen vom Oligarchen Omurbek Babanow gegründet worden war, dazu Ar Namys, die Partei des pro-russischen Ex-Geheimdienstlers Felix Kulow, und die älteste Oppositionspartei Kirgistans Atameken mit Omurbek Tekebajew, der in Kirgistan große Popularität genießt.
Für wahrscheinlich halten Beobachter derzeit eine Koalition aus den drei konservativen Parteien Ata Zhurt, Respublika und Ar Namys, die zusammen auf 75 Parlamentssitze kommen. Die Mitglieder der progressiven Übergangsregierung, die Bakijew gestürzt hatten, wären damit erneut in der Opposition.
Die größte Gefahr für Kirgistans Zukunft bei dieser Parteienkonstellation ist laut dem Politologen Alexander Knjasew die Stärkung nationalistischer Strömungen. Die Übergangsregierung habe es nach den Pogromen im Juni versäumt, die usbekische Minderheit – die den Kirgisen im Süden zahlenmäßig überlegen ist – politisch mit einzubinden. „Doch jetzt“, ist sich Knjasew sicher, „werden die Usbeken eine Art Intifada gegen die kirgisische Staatsmacht gründen.“ Das wiederum sei ein Nährboden für radikale islamische Organisationen wie die Islamische Bewegung Usbekistans und Hizb-ut-Takhrir – und einem stabilen Zentralasien in der Zukunft ganz bestimmt nicht zuträglich.