Kirgisistan

Parlamentswahlen sollen Land stabilisieren

Vor dem Parlamentssitz im Zentrum der kirgisischen Hauptstadt Bischkek wird demonstriert – wieder einmal. Die Protestbereitschaft in dem kleinen zentralasiatischen Land ist groß, seitdem im April dieses Jahres Tausende auf die Straße gegangen waren und Präsident Kurmanbek Bakijew gestürzt hatten. Zwischen Spruchbändern und ein paar Zelten stehen rund 150 Kirgisen, darunter auch Sicherheitskräfte, mit schwarzen Masken vermummt. Auch sie protestieren.



Protest gegen die Verhaftung von Mitgliedern des Sonderkommandos Alpha. / Edda Schlager, n-ost

Es sind Angehörige von Bakijews früherer Spezialeinsatztruppe „Alpha“, sie wollen die Freilassung von acht Kollegen erzwingen. Die wurden verhaftet, weil sie im April auf Befehl Bakijews Demonstranten erschossen haben sollen. Eine junge Frau mit Megafon animiert die Menge zu Sprechchören, „Freiheit, Freiheit“ fordert sie immer wieder. Sie ist die Nichte von Almas Jolduschalijew, Ex-Chef der Alpha-Einheit und derzeit ebenfalls in Haft.
    

„Keiner der Verhafteten hatte ein rechtmäßiges Gerichtsverfahren,“ erklärt Jolduschalijewa. „Dass sie im Gefängnis sitzen, verstößt gegen das Gesetz.“ „Unsere Männer haben doch nur Befehle ausgeführt,“ ruft eine Frau, und ein Mann schimpft: „Man hat sie als Bauernopfer in den Knast gesteckt, nur um den Familien der Opfer zu zeigen, dass überhaupt etwas getan wird.“ Jolduschalijewa ergänzt: „Wir wollen Rechtsstaatlichkeit – doch offensichtlich hält sich auch die derzeitige Regierung nicht daran.“

Ob die Verhafteten tatsächlich Menschen getötet haben, ist bis heute nicht geklärt. Tatsache ist: Bei den Demonstrationen im April starben 86 Menschen. Tausende Kirgisen hatten gegen die korrupte Vetternwirtschaft Bakijews protestiert. Der ließ auf die Demonstranten schießen, und flüchtete schließlich vor den Massen. Noch am gleichen Tag wurde Bakijew abgesetzt und eine Übergangsregierung um Rosa Otunbajewa gebildet.

Seitdem kam es immer wieder zu blutigen Protesten in dem zentralasiatischen Land. Im Juni gingen in Südkirgistan Kirgisen auf die usbekische Minderheit los. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen starben etwa 2.000 Menschen. Die Übergangsregierung war machtlos, rund eine Woche lang war die Lage in Südkirgistan außer Kontrolle.



Gedenkstelle für die Opfer vom 7. April 2010 am Präsidentenpalast in Bischkek. / Edda Schlager, n-ost

Seit dem Sommer hat sich die Lage in Kirgistan etwas stabilisiert. Ende Juni stimmte die Mehrheit der Kirgisen für eine neue Verfassung. Danach hat der Präsident jetzt weniger Einfluss, Parlament und Regierung wurden gestärkt. Mit den Parlamentswahlen am kommenden Sonntag (10.10.2010) soll nun auch eine neue Regierung legitimiert werden. Übergangspräsidentin Rosa Otunbajewa bleibt noch bis Ende 2011 im Amt.

Skepsis bleibt angesichts der 29 zur Wahl angetretenen Parteien. „Kaum eine wirbt mit realistischen Parteiprogrammen,“ so der Politologe Alexander Knjasew vom Institut für politische Lösungen im kasachischen Almaty. „Stattdessen setzt man auf prominente Namen und Führungspersönlichkeiten“. Zahlreiche Anhänger Bakijews und früherer Regierungen sind mit im Rennen. Und einige Mitglieder der Übergangsregierung – unter Bakijew in der Opposition – waren rechtzeitig zurückgetreten, um an den Parlamentswahlen teilzunehmen und sich einen Platz im neuen Parlament zu sichern. Knjasew ist dennoch optimistisch: „Das jetzige parlamentarische System birgt Potential für einen Neuanfang – wenn die neuen rechtsstaatlichen Strukturen genutzt werden.“ 



Protest gegen die Verhaftung von Mitgliedern des Sonderkommandos Alpha. / Edda Schlager, n-ost

Doch dass Korruption, Clanzugehörigkeiten und Vetternwirtschaft künftig eine geringere Rolle spielen sollen als rechtsstaatliche Mechanismen, darf bezweifelt werden. So hat auch der Protest am Parlamentsgebäude einen faden Beigeschmack. Noch am Abend kommtAlmas Jolduschalijew, Ex-Chef der Spezialeinheit, freig. Unter Jubelrufen bedankt er sich bei seinen Anhängern. Doch das Auftreten Jolduschalijews wirkt inszeniert. Ein Zugeständnis der Übergangsregierung in der Woche der Wahlen? Oder doch der lange Arm eines ehemals Regierungstreuen und ein nach wie vor von Bakijews Leuten durchdrungener Justizapparat?

Die Verstrickungen und Einflusssphären kirgisischer Amtsträger reichen oft weit in die Vergangenheit zurück. Eine juristische Aufarbeitung der Ereignisse im April und Juni dieses Jahres ist in Kirgistan deshalb kaum zu erwarten – auch nicht von der neuen Regierung.


Weitere Artikel