Schluss-Bilanz Waldbrände
Der „Schwarze August“ endet in Burino, etwa 160 Kilometer östlich von Moskau, kühl und windig. Eine Frau sitzt am Straßenrand, ein wollenes rosafarbenes Tuch um den Kopf geschlungen. Ein Korb steht vor ihr, sie schält die murmelgroßen Zwiebeln aus ihrem Garten. Sie wohnt allein wie viele hier. „Manchmal vertragen sich die Menschen hier nicht, aber das Feuer hat sie zusammengeschweißt“, sagt sie. Tränen laufen über das faltige Gesicht. Als die Waldbrände wüteten, kamen die Kinder zu den Alten zurück. Die Hand mit dem Zwiebelmesser fährt durch das weiße Fell einer Katze am Fuß der Bank. „Man hat uns doch nicht ganz vergessen.“
Nachdem die Evakuierung beendet ist, sitzt eine alte Frau in Burino am Wegesrand. Sie sagt: „Manchmal vertragen sich die Menschen hier nicht, doch das Feuer hat sie zusammengeschweißt.“ Foto: Nikolai Krinner
Wochenlang zitterten die Bewohner von Burino vor dem Feuer, das jeden Tag näherkam. Als sie die Flammen am Horizont sehen konnten, schritten sie in einer Prozession über den sandigen Weg, ihre Hauptstraße. Vorneweg der Priester, alle gemeinsam die Ikonen der Heiligen Mutter und die ihres Sohnes preisend. Sie beteten laut: „Verschone unser Dorf.“ In die Bücherei am Waldrand waren Feuerwehrleute eingezogen. „Gott ist uns zu Hilfe gekommen“, sagt Bürgermeisterin Irina Nikonorowa heute. Burino ist außer Gefahr, alle Evakuierten sind zurück in den windschiefen Holzhütten, die sie ihr Zuhause nennen.
In der Nacht sahen die Bewohner von Burino schon die Flammen am Horizont. Doch das Dorf wurde verschont. Foto: Nikolai Krinner
Die Lage habe sich normalisiert, melden die Behörden, der Ausnahmezustand ist aufgehoben. Doch die Bilanz der Flächenbrände ist verheerend. Etwa 9.000 Quadratkilometer standen in diesem Sommer in Flammen – eine Fläche mehr als dreieinhalb mal so groß wie das Saarland. Offiziell starben 50 Menschen. Russische und internationale Hilfsorganisationen gehen jedoch davon aus, dass es weit mehr Opfer gibt. Hunderte wurden verletzt, Tausende sind obdachlos. Ein Viertel der Weizenernte ist zerstört. Doch Russland bleibt ruhig. Denn die Feuer haben die Menschen nur in dem bestätigt, was sie eigentlich immer wussten: Wenn es hart auf hart kommt, hilft uns kein Präsident, dann sind wir auf uns allein gestellt.
In Rjasan, 250 Kilometer südlich von Moskau, brennen immer noch Torf und Häuser. „Schade, dass die Beamten vergessen haben, dem Torf zu befehlen, nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Wirklichkeit aufzuhören zu brennen“, schreibt Igor Podgornij in seinen Internet-Blog. Es folgen Kommentare von Usern, Fragen nach Kontakttelefonen, Hilfsangebote. Wenn etwas funktioniert hat in diesem schwarzen August, dann war es die Mobilisierung eines Freiwilligenheeres, allen voran im Internet. Hier fanden die Menschen detaillierte Informationen über Ort und Größe der Brände. „Doktor Lisa“ teilt im Blog mit, sie verteile wieder feste Schuhe und Atemschutzgeräte, das Internetportal „Miloserdie“ (Barmherzigkeit) hat für Opfer der Brandkatastrophe inzwischen umgerechnet über 1,5 Millionen Euro gesammelt. Die Russen helfen sich selbst, und sie sind stolz darauf.
Kommandant Oborow (Mitte) hat mit einem Freiwilligenheer die Dörfer der Gemeinde vor dem Feuer beschützt. Foto:Nikolai Krinner
Auch in Burino ist die große Politik weit weg. Frauen, Alte und Kinder teilten Hoffnungen und Ängste, während die Männer draußen am Waldrand kämpften. Psychologen kamen und boten Rat an. Die nächste Feuerwache steht drei Kilometer von Burino entfernt, im Nachbardorf. An seinem Schreibtisch sitzt Kommandant Oborow, die etwas zu kleine blaue Feuerwehrmütze schief auf dem Kopf. Nur Reizungen der Augen und Atemwege habe es gegeben, ansonsten ist in der Gemeinde niemand zu Schaden gekommen, erzählt der Kommandant stolz. Im Raum stehen immer noch die Klappbetten, auf denen sich die Feuerwehrmänner ausgeruht haben. Oborow lässt den Blick über die Heizungsrohre schweifen. Er sieht aus wie ein Mann, der eine schwierige Prüfung bestanden hat.