Russland

Konkurrenten in der Krise

Aufatmen in Moskau. In der russischen Hauptstadt weht zum ersten Mal seit Tagen ein laues Lüftchen, über den Wolkenkratzern blinkt ein blauer Himmel – ein trügerischer Himmel. An dem Tag, an dem sich die Bewohner der Millionenmetropole endlich wieder ohne Atemmaske auf die Straße trauen, bestätigt die russische Waldschutzbehörde, wovor Umweltschützer schon seit Tagen warnen: Auch in radioaktiv verseuchten Gebieten nahe der Grenze zu Weißrussland und der Ukraine hat es bereits gebrannt. Immer mehr Menschen verlassen das Land. Währenddessen wetteifern Präsident Dmitri Medwedew und sein Premier Wladimir Putin um die stärksten Fernsehbilder: Wer präsentiert sich als überzeugendster Retter? Doch das Volk spielt das Spiel nicht mit. Es will keinem von beiden mehr recht glauben.

Die nach oben offene Skala für Illusionen führt Wladimir Putin an. Der 57-Jährige, der sich  auch schon als Judoka, Tigerbändiger, Reiter und Angler – bevorzugt mit nacktem Oberkörper – inszenierte, flimmerte am Dienstag im Cockpit eines Löschflugzeuges über die Fernsehbildschirme. Hoch gekrempelte Hemdsärmel, die Lippen zu einem schmalen Strich zusammengepresst: Putin vermittelte das Bild eines Mannes, der nicht nur den Steuerknüppel, sondern die ganze Katastrophe im Griff hat. Eigenhändig, so der Kommentator im Staatsfernsehen, habe der Ministerpräsident nach einer kurzen Einführung zwei Brände gelöscht. Putin flog mit einer Berijew Be-200 über das Gebiet Rjasan südöstlich von Moskau. Zuvor hatte er quasi als Einstimmung auf den Rettungseinsatz mehrere Tonnen Wasser aus dem Fluss Oka pumpen lassen. In Krisensituationen regiert der Kreml seit jeher mit demonstrativer Tatkraft. Doch dieses Mal ist etwas anders. Putin und sein Nachfolger im Präsidentenamt, Dmitri Medwedew, bringen sich bereits für die Wahl im Jahr 2012 in Stellung.

Seit Monaten gilt zwischen den mächtigsten Männern im Staat ein Nichtangriffspakt. Über den jeweils anderen dringt kein böses Wort nach außen. Fragen zu einer möglichen Kandidatur beantworten beide so nebulös, dass keine Schlüsse gezogen werden können. Doch mit Worten und Taten haben die beiden Parteigenossen längst den Wahlkampf aufgenommen. Wenn Medwedew in den vergangenen Monaten wiederholt Korruption und Niedertracht in der russischen Gesellschaft anprangerte, dann war das vor allem ein Vorwurf an den Amtsvorgänger. Auf Fernsehbildern wirkt Dmitri Medwedew dagegen oft, wie es sein Spitzname „Bärchen“ verheißt: unbedarft und ungefährlich. Am Mittwoch flog er nach Sotschi, um sich mit dem dortigen Gouverneur über die Kaukasusrepublik Dagestan – eine Terroristenhochburg –  zu beraten. Medwedew verhandelt, während Putin löscht.

Die russische Bevölkerung nimmt weder dem einen noch dem anderen das Krisenmanagement ab. Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow wird mit Hohn und Spott überschüttet, weil er viel zu spät aus dem Sommerurlaub in die verrauchte Stadt zurück kam, doch eine Inszenierung à la Putin honorieren die Menschen offenbar auch nicht. Laut mehrerer Meinungsumfragen sinken die Popularitätswerte sowohl für Putin als auch für Medwedew seit Beginn der Brände erheblich. Das Institut FOM misst mit 52 Prozent Zustimmung Medwedews schwächsten Wert seit vier Jahren. Putin kommt zwar immerhin auf 61 Prozent, doch auch das sind acht Prozentpunkte weniger als noch im Januar.

In punkto Informationspolitik setzt die russische Regierung ihren zurückhaltenden Kurs weiter fort. Immer noch spricht sie von etwa 50 Brandopfern, obwohl längst klar ist, dass allein in einzelnen Dörfern in den Brandgebieten mehr Menschen umgekommen sind. Gestern gab die Akademie der Wissenschaften beruhigende Meldungen zum Thema Radioaktivität heraus. „Unter besonderen Bedingungen, bei starkem Wind, können Partikel zwar bis nach Moskau und Osteuropa fliegen“, sagte ein Ökologe. Momentan sei die Wetterlage jedoch ruhig. Die Menschen, die in den Flammen bereits Hab und Gut verloren haben, können solche Verlautbarungen sicher nicht mehr trösten. Sie müssen auf die Worte ihres Ministerpräsidenten Putin vertrauen. Der reiste schon mehrfach in die völlig zerstörten Orte – in der Tasche eine Kladde, aus der sich die Betroffenen ein neues Haus aussuchen sollten. Bauarbeiter stellten auf dem verkohlten Boden weiße, kugelrunde Kameras auf. Damit, so Wladimir Putin, werde er höchstpersönlich die Baufortschritte überwachen.


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