Russland

Moskau wieder im Dunst

So schlimm war es noch nie: Ganz Moskau wachte am Freitag in einer dicken Smogwolke auf. Mit jeder Stunde verschlechterte sich die Sicht. Der Kreml, die bunte Basilius-Kathedrale und das Lenin-Mausoleum waren vollkommen verschwunden in einer dichten Wolke aus Rauch und Smog, die sich anders als Anfang der Woche auch tagsüber nicht lichtete. Nur einen Tag lang konnten die Moskauer am Donnerstag aufatmen und ein wenig blauen Himmel genießen. In der Nacht drehte der Wind und trug den Rauch der Wald- und Moorbrände wieder in die Hauptstadt. Die Feuer sind nach wie vor nicht unter Kontrolle.

 „Ich fühle mich hilflos gegenüber der Hitze und dem Smog“, sagt Marina Kowolenko, Mutter eines sechs Monate alten Mädchens aus Reutow, einer Vorstadt östlich von Moskau. Ihrer Tochter Tanja steht der Schweiß im Gesicht. Schon seit Nächten huste das Baby im Schlaf und wälze sich hin und her, erzählt die Mutter. Marina macht keine ausgiebigen Spaziergänge mehr. Mutter und Tochter verbringen den ganzen Tag in ihrer engen, stickigen Einzimmerwohnung in einer Hochhaussiedlung.

In den vergangenen Tagen hat Marina Kowolenko noch nasse Handtücher vor die geöffneten Fenster gehängt, um ein wenig Luft in die Wohnung zu lassen. In der Zeitung hat sie gelesen, dass das die schädlichsten Stoffe abwehrt. Doch am Freitag war der Rauch so stark, dass die Fenster ganz zu blieben. „Ich habe Angst um mein Kind und warte verzweifelt auf Regen.“ Die Vorhersagen der russischen Meteorologen verheißen nichts Gutes für Marina, ihre Tochter Tanja und die Menschen in Russland: Regen und ein wenig Abkühlung soll es erst ab Mitte August geben – frühestens.

Die Moskauer Studentinnen Maria und Olga sitzen schon seit dem frühen Freitagmorgen in einem Fastfood-Restaurant – denn hier gibt es eine Klimaanlage. Vor dem Smog sind sie aus ihrem Wohnheimzimmer geflüchtet. „Der Rauch hat sich schon in der Nacht durch alle Türritzen und die alten Fensterrahmen gefressen, Augen und Nase brannten“, sagt Olga. Sogar bis in die tiefen Schächte der Moskauer Metro ist der Rauch vorgedrungen. In manchen Stationen sind ankommende Züge nicht zu sehen. Auf den drei Moskauer Flughäfen kam es zu erheblichen Einschränkungen beim Flugverkehr.

Um Moskau herum und an vielen Orten in Russland brennen die Wälder und getrockneten Moore immer noch. Seit Wochen ist das Land von Rekordtemperaturen und Dürre geplagt. Besonders betroffen sind außer Moskau die Regionen um die Städte Woronesch, Rjasan und Nischni Nowgorod. Insgesamt sind fast 250.000 Helfer im Einsatz, auch das Militär ist zum Kampf gegen die Brände abgestellt. Am Freitag trafen sich Präsident Dmitri Medwedew und Premier Wladimir Putin im Kreml vor den Kameras des staatlichen Fernsehens und versprachen, die Kräfte im Kampf gegen die landesweit tobenden Wald- und Torfbrände noch einmal zu verstärken.

Zwei militärische Einrichtungen konnten nicht gerettet werden und brannten vollkommen nieder. 400 Kilometer östlich der Hauptstadt ist das Gelände des atomaren Forschungszentrums in Sarow weiter vom Feuer bedroht. Die Flammen seien zwar unter Kontrolle und das Zentrum von radioaktiven Stoffen evakuiert, dennoch sei die Gefahr bislang nicht ganz gebannt, so die Feuerwehr gegenüber der Agentur Interfax.

Besorgniserregend ist die Entwicklung südwestlich von Moskau an der Grenze zu Weißrussland und zur Ukraine. Dort sind die Böden auch 24 Jahre nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl noch stark radioaktiv verseucht. Zivilschutzminister Sergej Schoigu teilte mit, es bestehe die Gefahr, dass die Brände die radioaktiv verseuchten Böden aufwirbeln und die Partikel in die Luft und so in andere Regionen gelangen.

Die offizielle Zahl der Opfer durch die Brände wird bislang auf 52 beziffert, russische Hilfsorganisationen gehen aber von mehr Toten aus. Wegen Hitze und Smog sei die Sterblichkeitsrate in Moskau alarmierend in die Höhe gegangen, meldet die Agentur Interfax: „Sie ist im Juli um 29,7 Prozent angestiegen“, zitiert Interfax einen anonymen Informanten.

Vorsorglich werden in Russland immer noch ganze Dörfer vor den Flammen evakuiert. Bereits am Dienstag akzeptierte die russische Regierung endlich auch Hilfe aus dem Ausland: Nun sind Löschflugzeuge aus der Ukraine, Italien und aus Aserbaidschan im Einsatz. Angela Merkel hat dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew ebenfalls Hilfe beim Kampf gegen das Feuer angeboten.

Premier Wladimir Putin lässt sich derweil im russischen Staatsfernsehen als Krisenmanager inszenieren, der die Lage im Griff hat. Mit aufgekrempelten Ärmeln besuchte er Opfer und Helfer. In einem vom Feuer teilweise zerstörten Dorf wurde er aber auch schon von einer wütenden Menge empfangen, die mehr Hilfe vom Staat forderte. Das zeigt: Mit jedem Tag, an dem Russland mit den Feuern kämpfen muss, stellen mehr Menschen die Frage, warum die Lage überhaupt so eskalieren konnte.

Während Putin die Verwaltungen in den Provinzen beschuldigt, nachlässig beim Brandschutz gewesen zu sein, geben Regierungskritiker und auch Betroffene der politischen Führung in Moskau die Schuld. Der Chef der liberalen Jabloko-Partei, Sergej Mitrochin, kritisierte, dass es in Russland keine funktionierende Umweltpolitik mehr gäbe, seit Putin vor fast elf Jahren an die Macht kam. „Er hat das Umweltministerium abgeschafft und praktisch auch das Forstwesen. Die Regionalverwaltungen sind vollkommen überfordert mit der Brandprävention in den Wäldern“, so Mitrochin. Nikolaj Schmatkow vom russischen Zweig der Umweltorganisation WWF sagte, nicht die Hitze sei verantwortlich für die Feuerkatastrophe, sondern die „unbedachte Politik“ des russischen Staates.


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