„Wir waren immer in Gefahr“
Das Zentrum für Zeitgenössischen Tanz in Bukarest arbeitet die Geschichte der modernen rumänischen Bühnentanzkunst auf: Die Inszenierung "Hammer ohne Meister" des Bukarester Coreographen Stere Popescu feierte 1965 in Paris Erfolge, war in Rumänien jedoch verboten. Künstler Florin Flueras hat nun ein gleichnamiges Werk inszeniert, das auf die Arbeit Popescus referenziert.
Ein Teil des französischen Publikums jubelt, der andere johlt und buht. 10. November 1965: An jenem Abend feiert im Pariser Théâtre des Champs-Élysées die französisch-rumänische Tanzproduktion „Hammer ohne Meister“ Weltpremiere. Musik: Pierre Boulez. Choreografie: Der Bukarester Choreograf Stere Popescu, ein Avantgardist der rumänischen Tanzszene. Drei Jahre nach der Premiere nimmt er sich das Leben. Der Franzose Boulez ist heute ein prominenter Vertreter der Seriellen Musik, an die Weltpremiere vor 44 Jahren kann er sich nicht mehr erinnern.
Eine Installation im Zentrum für Zeitgenössischen Tanz in Bukarest: Sand liegt auf dem Boden. Wenn man sich traut, ihn beiseite zu schieben, kommen Fotos von Stere Popescu und der Vergangenheit der rumänischen Bühnentanzkunst zum Vorschein. Die Installation ist eine passende Metapher für die Puzzlesuche des Zentrums: Es lässt - 20 Jahre nach der Wende - die Geschichte des modernen Tanzes in Rumänien aufarbeiten. Mit staatlichen rumänischen Geldern, mit Mitteln der Allianz Kulturstiftung. Kooperationspartner sind das Center for Drama Art in Zagreb und Maska in Ljubljana, die in ähnlichen Projekten die historische Avantgarde ihrer Länder dokumentieren und rekonstrieren.
„Wir wollten mit dem Mythos aufräumen“, sagt Mihai Mihalcea, Direktor des Bukarester Tanzzentrums, „dass der moderne Tanz erst Anfang der 90er-Jahre in Rumänien entstanden ist und aus dem Nirgends kam“. Dass die Gattung eine Tradition hat, wird Mihalcea vielleicht in naher Zukunft helfen können. Denn das Zentrum droht, einfach von der Bildfläche zu verschwinden, wie einst die Geschichte des rumänischen Avantgardisten Stere Popescu.
Ein schockierendes Stück eines Enfant terrible
Für die Kommunistische Partei war Stere Popescu ein Enfant terrible. Ende der 40er-Jahre weigerte er sich, in die Partei einzutreten, in einem Scheinprozess wird er im Zuge kommunistischer Säuberungsaktionen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Doch Mitte der 60er-Jahre wird der Künstler rehabilitiert; das System will sich weltoffen geben. Mit einer Beteiligung am Internationalen Tanzfestival in Paris sollen neue Kulturkontakte zum Westen geknüpft werden. Stere Popescu wird - da ist sich die Partei- und Staatsführung sicher - mit seinen avantgardistischen Ideen für Aufsehen sorgen. Über die Jubel- und Buhrufe der Pariser sagt Adina Cezar heute: „So zweigeteilt habe ich noch nie ein Publikum gesehen“. Die 67-jährige Bukarester Choreografin war damals Balletttänzerin an der Bukarester Staatsoper: „Was wir gewohnt waren? Klassisches Ballett nach Pjotr Tschaikowski. Die Mischung aus Berlouz und Popescu hat die Ballettgruppe anfangs schockiert, so ungewohnt und modern war sie.“
Die Premiere brachte den Erfolg, auf den die Partei zu Hause wartete. Doch da Stere Popescu im Westen blieb, reagierte das System mit Sanktionen: Das Stück erhielt Spielverbot, die Tänzer Auslandsverbot. Der Dirigent und Intendant der Bukarester Staatsoper, Mihai Brediceanu, wurde stellvertretend für alle degradiert, er musste seinen Posten verlassen. Die Aufführung sei kosmopolitisch und dekadent gewesen, das habe nichts mit dem rumänischen Kommunismus zu tun, so die Begründung. Die zeitgenössische Tanzform blieb in den Jahren danach im Visier der Staatsführung. Galten Aufführungen als zu modern, griff die Zensur ein.
Ressentiments gegen den modernen Tanz
Als die Wende kam, spürte Adina Cezar die neue Euphorie und Freiheit. Ein westlicher Tänzer sagte ihr damals, der „Diktatur der Politik“ folge nun die „Diktatur des Geldes“. Cezar sagt rückblickend: „Ich verstand damals gar nicht, was er mir eigentlich sagen wollte“. Trotz Aufbruchstimmung - die Zustände ließen sich mitnichten leicht reformieren. An der Bukarester Universität für Theaterkunst klagen heute noch angehende Choreografen, dass sie als aktuellsten Dramatiker den vor knapp 100 Jahren verstorbenen russischen Schriftsteller Anton Tschechow vermittelt bekommen. Die Ausbildung im zeitgenössischen Tanz ist auf zwei Stunden pro Woche limitiert, weil laut Lehrpersonal „der Körper eines klassischen Balletttänzers sonst zu sehr verbogen wird“.
Dennoch: Vor Jahren bestand die Szene aus mehreren Profi-Tanzgruppen, 2004 wurde zudem das Zentrum für Zeitgenössischen Tanz in Bukarest eingeweiht. Es organisiert ein ganzjähriges Veranstaltungsprogramm, gibt Tanzunterricht, hat Proberäume für Künstler, verfügt über Projektmittel, mit denen neue Produktionen entstehen können. Das Zentrum ist heute in Bukarest die einzige zeitgenössische Tanzinstitution, die noch staatliche Fördergelder erhält, alle anderen Gruppen wurden inzwischen wieder aufgelöst, wie beispielsweise die von Adina Cezar. 2007 waren ihr mitten im Haushaltsjahr wortlos die Mittel vom Kulturministerium gestrichen worden: „Der Schritt ist nur mit Willkür zu erklären, die heute und morgen jeden in der Kulturszene treffen kann, wenn die Politik ihn für überflüssig hält.“
Das Zentrum soll umziehen, doch weiß es nicht, wohin
Der 40-jährige Mihai Mihalcea sitzt in seinem Büro im Zentrum für Zeitgenössische Kunst und schmiedet Pläne fürs nächste Jahr: Wie die Vergangenheitsforschung schnellstmöglich ins Internet kommen kann, welche Aufführung als nächstes ansteht. Für diese Alltagsarbeit müsste man ihn eigentlich bewundern, denn spätestens im Frühjahr muss das Zentrum wegen mehrjähriger Renovierungsarbeiten aus dem Nationaltheater ausziehen. Wohin, ist bislang unklar. Dem Zentrum droht damit das Aus, wenn es keinen Ort hat. Die Existenznöte des Hauses verunsichern Mihalcea, sie überraschen ihn aber nicht: „Der zeitgenössische Tanz war bei uns immer in Gefahr. Er hat den Stellenwert eines Accessoire, von dem man meint, das man hin und wieder auch darauf verzichten könnte.“ Eine verlassene Fabrikhalle, in die man gegen Miete einziehen könnte, hat das Zentrum längst gefunden. Doch neuerdings heißt es im Kulturministerium, man müsse wegen der Wirtschaftskrise sparen. „Im Kulturministerium mangelt es an Visionen“, meint Mihalcea, „das einzige, was sie perfekt können, ist eine kaputte Hose zu flicken und sie als neu zu verkaufen“.
Eine der Aufführungen im Zentrum für Zeitgenössischen Tanz stammt in diesen Tagen vom freischaffenden Bukarester Künstler Florin Flueras. Er hat sie gleichfalls „Hammer ohne Meister“ genannt. Es ist keine Re-Inszenierung des Originals von Stere Popescu, das Stück soll vielmehr die Erinnerungen von Zeitzeugen auf die Bühne bringen. Eine exzentrische Idee, da es um eine Metaebene geht, um Glorifizierung beispielsweise oder um die Frage, ob Künstler in Rumänien nur als wertvoll gelten, wenn sie im Westen Erfolge feiern. Der 31-jährige Flureas hat sich für das Stück monatelang mit Stere Popescu beschäftigt. Die beiden Künstler haben nicht wirklich viel gemein. Der zeitgenössische Tanzstil ist heute ein anderer, das politische System hat längst gewechselt. „Eine Parallele gibt es dennoch“, meint Florin Flueras, „wir leben heute als Tänzer so ungewiss wie einst Stere Popescu“.