Tannenberg / Grunwald: Schlacht um die Vergangenheit
„Hier standen die Deutschen, dort verlief die Frontlinie, und dort befanden sich unsere Truppen“. Der polnische Touristenführer zeigt auf ein gewaltiges Modell aus Granitstein. Mit weit ausholenden Gesten erklärt er den Schlachthergang. Seine Zuhörer versuchen, die Kampflinien in der masurischen Landschaft wiederzufinden. Doch außer einem imposanten Denkmal gibt es hier bis auf Wiesen und Rapsfelder nichts mehr zu entdecken. Der Kampf, der hier im ehemals ostpreußischen Tannenberg, dem heutigen masurischen Dorf Grunwald, stattfand, liegt 600 Jahre zurück. In einer der größten Ritterschlachten des Mittelalters besiegte am 15. Juli 1410 das polnisch-litauische Heer unter König Wladyslaw Jagiello den Deutschen Orden mit dem Hochmeister Ulrich von Jungingen an der Spitze. Die schwere Niederlage läutete den Niedergang des Ordensstaats in Preußen ein.
Bis heute hat dieser Sieg für die Polen Gewicht. Am 15. Juli kommen die Staatspräsidenten Polens, Litauens und der Ukraine sowie zahlreiche Vertreter der damals verbündeten Länder am Grunwalder Denkmal zusammen. In einem „Grunwalder Appell“ wollen sie die Schlacht ins Gedächtnis rufen, die Polen und Litauen zur europäischen Großmacht werden ließ. Vom einst mächtigen Gegner hingegen nimmt nur der Großmeister des bis heute bestehenden Deutschen Ordens, Bischof Bruno Plater aus Wien, teil. Politische Vertreter Deutschlands haben sich nicht angekündigt.
In Polen prägt die Schlacht immer noch das Deutschlandbild
In Deutschland ist die Schlacht bei Grunwald weitestgehend vergessen. In Polen dagegen prägt sie seit Generationen das Deutschlandbild. So instrumentalisierten die polnischen Kommunisten den mittelalterlichen Sieg für ihre antideutsche Propaganda. Das erste Buch, das in der jungen Volksrepublik 1945 gedruckt wurde, war Henryk Sienkiewicz’ Roman „Kreuzritter“. Das Historienepos des Nobelpreisträgers, das die Schlacht bis ins Detail beschreibt, ist bis heute Pflichtlektüre an den Schulen. 1960 verfilmte der polnische Regisseur Aleksander Ford mit modernster Hollywood-Technik und einem nie dagewesenen Budget das Buch. Wohl jeder Zuschauer dürfte sich in der Szene, in der die Deutschritter „Heil, heil, heil“ ausrufen, an Hitler und die Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg erinnert fühlen. „Das war ein Film der Superlative“, sagt der Historiker Lars Jockheck auf einer Konferenz, die anlässlich des Jahrestages in Olsztyn stattfand. Sie wurde von der Stiftung Borussia und dem Deutschen Kulturforum östliches Europa organisiert. Mit einem Rekordpublikum von 14 Millionen Besuchern ist „Kreuzritter“ der bis heute meistbesuchte Film in Polen. Zum 600. Jahrestag legt die liberale „Gazeta Wyborcza“ ihrer Zeitung eine DVD mit einer frisch kolorierten Version des Kassenschlagers bei.
Die Deutschen dagegen wissen meist nicht mehr, worum es bei Tannenberg bzw. Grunwald geht. „Deutsche Schüler lernen nichts über Grunwald“, analysiert Hanna Grzempa, eine polnische Studentin, die Schulbücher in beiden Ländern ausgewertet hat. In nur einem deutschen Schulbuch, in Hessen, kommen die Kreuzritter überhaupt vor. Mit Tannenberg verbanden die Deutschen lange Zeit einen ganz anderen Mythos, nämlich einen Teilsieg über die Russen im Ersten Weltkrieg. Doch nach 1945 gerieten beide Schlachten wegen ihrer nationalistischen Überhöhung in Vergessenheit.
Bei Grunwald erinnert nur noch ein Denkmal an die Schlacht / Hartmut Ziesing, n-ost
In Polen dagegen lässt sich bis heute mit dem Gedenken an die Schlacht antiwestliche Stimmung provozieren. So plant am Wochenende die rechtsextreme ONR (Nationalradikales Lager) eine Grunwald-Demonstration in Warschau – ausgerechnet an dem Tag, an dem Schwule und Lesben in Warschau zum ersten Mal in Polen die „Europride-Parade“ feiern.
Auch Grunwald wird wieder zum Schauplatz einer Schlacht. Über 1.500 Ritter in historischen Gewändern und Rüstungen werden auf dem mittelalterlichen Jahrmarkt mit Holzschwertern aufeinander losgehen. Die Fronten verlaufen allerdings nicht mehr so eindeutig wie vor 600 Jahren: Deutsche Hobby-Legionäre kämpfen bei den polnischen Truppen gegen polnische Darsteller der Deutschordensritter.