Lukaschenko verhängt Internet-Zensur
Geduldig warten die Menschen vor dem Verkaufsschalter zum Internetraum am Minsker Hauptbahnhof. Hier kaufen sie ein zeitlich befristetes Billet in die freie Welt, in den virtuellen Raum ohne Zensur. „Soll ich meinen Ausweis vorzeigen?“ fragt eine Frau mit Geldscheinen in der Hand. „Wieso?“ wundert sich die Kassiererin. Bislang kann man in Weißrussland noch anonym im Netz surfen. Doch das ändert sich am 1. Juli, wenn der Erlass Nr. 60 in Kraft tritt. Ab dann müssen sich alle Internetnutzer ausweisen.
Ab Juli kontrolliert eine Behörde das Internet. Sie untersteht direkt dem autoritären Präsidenten Alexander Lukaschenko. „Das ist ein weiterer Angriff auf die Meinungsfreiheit“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der oppositionellen Vereinigten Bürgerpartei (OGP), Lew Morgolin. Für ihn ist der Erlass ein weiteres Druckmittel auf die Medien, mit dem Lukaschenko vor den Wahlen im kommenden Winter die Öffentlichkeit effektiver kontrollieren will.
Die
Freiheit dem Internet!“ Teilnehmer der Kundgebung gegen den Erlass am 10. Juni
in Minsk
Foto: Yauhen Yerchak
Das Internet ist das letzte Medium in Weißrussland, das sich bislang der staatlichen Kontrolle entzogen hat. Wie wichtig es für die Meinungsvielfalt ist, zeigt ein Blick auf die Blogosphäre. Während des Gaskonflikts mit Russland in der vergangenen Woche, bei dem Russland am Schluss einlenkte, feierten die staatlichen Zeitungen und Fernsehsender den Sieg Lukaschenkos gegen den russischen Staatskonzern Gasprom. Der Blogger Viktor Malishevsky sah die Lösung des Konflikts jedoch kritischer: Weißrussische Unternehmen mussten seit Jahresbeginn das Gas 25 Prozent teurer einkaufen als zuvor – offiziell wegen der Preiserhöhung von Gasprom. Durch den Konflikt kam ans Licht, dass die Regierung weiterhin den alten, niedrigeren, Preis überwiesen hatte. „Wo sind die restlichen Gelder geblieben?“ wendete sich die Bürgerinitiative „Sag die Wahrheit!“, an die Regierung. Sie hatte den Blogger-Text aufgegriffen.
Internetnutzer und Blogger, aber auch Unternehmer kämpfen seit Monaten gegen das neue Gesetz. „Der Erlass schafft bürokratische Hürden für das Online-Business, das in Weißrussland ohnehin unterentwickelt ist“, sagt der Geschäftsmann Andrej Podljubni. Mehr als 2.000 Menschen unterschrieben seinen offenen Brief mit der Forderung, den Erlass rückgängig zu machen. Podljubni schickte ihn Mitte Juni an den Präsidenten. Keine Reaktion.
Mit Protesten außerhalb der virtuellen Welt halten sich die Weißrussen jedoch zurück. An einer Kundgebung in Minsk Mitte Juni nahmen nur 50 junge Menschen teil. „Die Weißrussen sind noch nicht bereit, für ihre Rechte zu kämpfen. Der Siedepunkt ist noch nicht erreicht“, sagt Marat Abramowski, der Vorstand des Bürgervereins „Die Zukunftsbewegung“. Eine Jugendinitiative, die vor einem Jahr ebenfalls im Internet entstanden ist – im sozialen Netzwerk „Vkontakte.ru“. Eigentlich hatten sich dort rund 2.000 Menschen für die Protestaktion angemeldet. Die OGP und andere oppositionellen Parteien nahmen an der Kundgebung von vornherein nicht teil.
„Fürs freie Internet!“ Ein Teilnehmer der Kundgebung gegen den Erlass am 10. Juni in Minsk
Foto: Yauhen Yerchak
Selbst unter Beobachtern der Internetszene hat sich Resignation breit gemacht. Der Journalist Paulyuk Bykowski, der sich seit Jahren mit der Entwicklung des Internets in Weißrussland beschäftigt, meint, dass der Erlass ohnehin nichts ändern wird: „Er schafft nur den juristischen Rahmen für Restriktionen, die sowieso schon existieren.“ Als Lukaschenko vergangene Woche im Gaskrieg Verhandlungen mit dem russischen Außenminister führte, seien die Seiten mit kritischen Inhalten eine Zeit lang gesperrt gewesen.
Nicht nur Weißrussen, auch Touristen und Geschäftsreisende werden den Erlass zu spüren bekommen. Drahtloses Internet in Cafés und Hotels wird verboten, weil die Nutzeridentifizierung nicht gewährleistet werden kann. Beim Besuch eines Internet-Cafés muss man ab dem 1. Juli ein Dokument mit Lichtbild vorzeigen. „Wir werden die Aufnahme der Personalien bereits am 30. Juni testen“, sagt Mark Bernstein, der Inhaber von mehreren Internet- Cafés in Minsk. Die Daten über die Länge des Internetbesuchs und die abgerufenen Seiten werden für ein Jahr gespeichert.