Serbien

Serbische Adler unter Druck

„Tausche zwei Ballack gegen einen Vidic“, mit dieser Offerte versucht ein ergrauter Mittvierziger einem Teenager im Nationaltrikot das Konterfei seines Favoriten aus den Rippen zu leiern. Doch der zieht nicht so recht: „Weiß nicht, der Ballack spielt doch am Freitag gegen uns gar nicht mit!“ Der Anbieter muss schweren Herzens noch einen Schweinsteiger und einen Müller drauflegen.

Die beiden Tauschpartner stehen inmitten einer fünzigköpfigen Traube leidenschaftlich feilschender Gleichgesinnter, die schon seit Monaten am Brunnen neben dem Belgrader Nobelhotel Moskva Fußballbildchen tauschen. Manche sammeln seit ihrer Kindheit und haben bisher jedes Album voll bekommen.

Ein paar hundert Meter entfernt, im neu eröffneten Cafe „Bau Bau“ in der Balkanska-Straße, treffen sich Serben und Deutsche zum gemeinsamen Anfeuern beider Mannschaften. Anlässlich des ersten Spiels der Deutschen am Sonntag servierte der Besitzer, Djordje Stojanovic, sogar kostenlose Rostbratwürstchen. Seine Frau Nena und er sprechen Deutsch, weil sie während des Jugoslawienkriegs in Berlin lebten, wo ihr ältester Sohn geboren wurde. Zu den Gästen gehören auch Annette Djurovic, Dozentin für Germanistik an der Universität Belgrad, und ihr Mann Goran. Die Wahlbelgraderin aus Berlin ist, ganz im Gegensatz zu ihren beiden Söhnen Dani (16) und Todo (17), nicht besonders fußballinteressiert, schätzt aber die nette Atmosphäre beim Public Viewing im „Bau Bau“.

„Wir sind bestimmt nicht repräsentativ“, mutmaßt Dani. Er tippt für die deutsch-serbische Begegnung am Freitag auf einen Sieg für Jogis Jungs. Sein Bruder setzt auf unentschieden. Nur in einem sind sich die Brüder einig: Nemanja Vidić, der serbische Verteidiger, sei der beste Spieler der Adler, wie die serbische Nationalmannschaft in ihrer Heimat genannt wird. Auf deutscher Seite könnten es nur Schweinsteiger und Lahm mit ihm aufnehmen.

Vidic, die unumstrittene Autorität der serbischen Nationalmannschaft, zeigte sich – allerdings vor der Niederlage gegen Gruppengegner Ghana – in der serbischen Presse recht siegesgewiss: Er sei sicher, dass
seine Mannschaft etwas Großes erreichen könne. Groß sind seine Teamkollegen auf jeden Fall: Die serbischen Fußballer messen durchschnittlich 186 Zentimeter und sind die größte Mannschaft bei der WM, in der Statistik liegen sie einen Zentimeter vor den Griechen, Dänen und vor Neuseeland. Deutschland liegt zwei Zentimeter im Rückstand. Der längste Spieler bei der WM ist der serbische Stürmer Nikola Zigic mit 2,02 Metern.

„Der Bessere soll am Freitag gewinnen!“, wünscht sich der 23-jährige Belgrader Student Veljko und ergänzt: „Ich tippe auf ein 0:0 oder 1:1, auf jeden Fall ein Unentschieden.“ Seine Kommilitonin Marina ist da optimistischer. Sie sieht Serbien vorne. Genau wie drei Mitarbeiter des Humanitären Zentrums in Novi Sad, die seit Tagen diskutieren, wer die Nase vorne hat. „Wir gewinnen 6:0“, kommt es spontan. Und danach aus einer anderen Richtung etwas verhaltener: „Na ja, ein 2:0 ist schon drin!” Am Ende ist man sich etwas resigniert einig: Besonders gegen Deutschland würde Serbien in den ersten 70 Minuten immer großartig spielen, aber wegen der eigenen Mentalität und der Hartnäckigkeit der Deutschen am Ende doch verlieren. „Trotzdem wird Serbien Weltmeister!“, beharrt ein Mitarbeiter fast trotzig.

In Novi Sad, der zweitgrößten Stadt Serbiens, hat ein Bierproduzent Videoleinwände aufgestellt. Am beliebtesten ist bei der dortigen Hitze der Stadtstrand an der Donau. Doch nicht nur in den vielen serbischen Kneipen und Cafés grassiert das WM-Fieber. „Ich hab eine Fahne, ein Shirt und einen Ball gekauft!“, jubelt Aleksandar Ljubomirovic. Der 14-jährige Achtklässler der Deutschen Schule Belgrad ist gespannt auf die bevorstehende Begegnung seiner Adler, der serbischen Elf, gegen die Deutschen. Er will sich das Spiel mit seinen Schulkameraden ansehen. Loyalitätsprobleme, für wen man ist, gibt es in seiner Klasse nicht, die Sympathien gehen schon aus rechnerischen Gründen zu Gunsten der Adler. Trotzdem hatte Aleksandar bereits vor dem ghanaischen Niederlagen-Elfmeter keinen Höhenflug: „Ich bin leider kein Optimist, Serbien wird im Achtelfinale oder schon in der Gruppe verlieren“, tippt der Fan und fügt hinzu: „Deutschland kommt auch nicht weit, sie verlieren im Achtelfinale!“ Seine Siegerprognose lautet Honduras.

Sportjournalist und Fußballexperte Zdravko Lipovac, der als Medienvertreter im gemeinsamen jugoslawischen Medienpool 1990 bei der WM in Italien dabei war und seit 1993 in Köln lebt, kennt viele der deutschen und serbischen WM-Spieler persönlich. Serbien habe eine ziemlich gute Mannschaft. Alleine die Namen derer, die in der deutschen Bundesliga spielen, bürgten für Qualität: Der Handspiel-Pechvogel vom Sonntagsspiel, Zdravko Kuzmanovic bei Stuttgart zum Beispiel, oder der bisherige Hertha-Stürmer Marko Pantelic, der mit Schalke liebäugelt. „Das Einzige, was den Serben einen Strich durch die Rechnung machen kann, sind wie immer sie selbst.“ Sie müssten diszipliniert spielen, damit sie gegen Deutschland mithalten könnten. Für die deutsche Mannschaft ist Lipovac voll des Lobes. „Zum ersten Mal spielt eine deutsche Mannschaft ähnlich wie die Spanier: kurze Pässe, acht, neun Spieler, die alles mit dem Ball können.“ Für am wahrscheinlichsten hält er die Endspielbegegnung Argentinien gegen Spanien. „Aber was ist schon wahrscheinlich?“, fragt er, „1990 waren die Holländer die Favoriten, und die Deutschen wurden Weltmeister.“


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