Schwieriges Miteinander auf Zypern
Riesige Wahlplakate hängen an den schmalen Gebäuden des nördlichen Teils der Altstadt von Nikosia. Auf den meisten wird der bisherige Ministerpräsident der international nicht anerkannten Türkischen Republik Nordzypern Derviş Eroğlu mit einem selbstbewussten Lächeln gezeigt. Laut Umfragen wird der 72-jährige Eroğlu – der als türkisch-nationalistischer Hardliner und Gegner der Wiedervereinigung gilt – bei den Präsidentschaftswahlen am Sonntag den bisherigen Präsidenten Mehmet Ali Talat ablösen. Die Anzahl der Wähler wird auf über 140.000 geschätzt, unter ihnen viele türkische Siedler, die nach der türkischen Invasion im Jahre 1974 auf die Insel gebracht wurden.
Myriam, eine 38-jährige Zyperntürkin, betrachtet diese Wahlen als eine Art Referendum. „Ich werde meine Stimme demjenigen geben, der sich für die Wiedervereinigung der Insel einsetzt“, betont sie. Sie hat sich gerade auf den Weg gemacht, eine zyperngriechische Freundin in Südnikosia zu treffen. Sie muss jedoch erst ihren Personalausweis am Übergang in der Ledra-Straße in der Altstadt Nikosias zeigen.
Die meisten Zyperngriechen nennen diese Wahlen indes Pseudowahlen und die im Jahre 1983 ausgerufene Türkische Republik Nordzypern einen Pseudostaat. Doch seitdem der griechisch-zypriotische Präsident Dimitris Christofias seinem Kollegen im Norden seine Unterstützung angeboten hat, werden diese Wahlen in der Republik Zypern sehr ernst verfolgt. Seit September 2008 verhandeln Christofias und Talat intensiv über die Schaffung eines gemeinsamen föderalen Staates. Sie haben sich über 70 Mal getroffen, doch den erwarteten Durchbruch haben sie nicht geschafft.
Indes versuchen die Inselbewohner durch ihr Verhalten Fakten zu schaffen. Immer mehr Zyperngriechen und Zyperntürken kommen aus dem jeweils anderen Stadtteil zum Nachbarn – aus Neugierde, um einzukaufen oder um persönliche Kontakte zu pflegen.
Denise, eine 22-jährige Zyperntürkin, läuft in Richtung Südnikosia. Ihre Familie ist noch aus der Zeit vor der türkischen Invasion mit einer griechischen Familie befreundet. Doch diese traut sich nicht in den Norden. „Die meisten meiner zyperngriechischen Freunde möchten Nordzypern nicht betreten, weil sie sagen, es sei ja ihr eigener Staat, und sie akzeptieren es nicht, ihren Personalausweis zeigen zu müssen”, sagt die junge Frau.
Einige Blumentöpfe an der Ledra-Straße in Nikosia markieren die Trennlinie zwischen der Republik Zypern und dem türkisch-besetzten Norden. Quer über die Straße verläuft seit Jahren die sogenannte Grüne Linie – die von der UNO überwachte Pufferzone zwischen beiden Inselhälften. Im Jahre 2003 wurden zum ersten Mal Übergänge zwischen den beiden Inselhälften geöffnet.
Eine 50-jährige Zyperngriechin hat gerade die Passkontrolle im nördlichen Teil verlassen, um in den Süden zurückzukehren. Sie hält zwei große Einkaufstüten in den Händen. Immer öfter besucht sie den anderen Teil der Stadt. „Wenn wir uns eine Lösung wünschen, dann müssen wir lernen, mit den Zyperntürken zusammenzuleben. Das Schlimme ist, dass unsere Regierungen uns nicht darauf vorbereitet haben und wir alleine den Versuch machen müssen zu lernen, wie man zusammenleben kann“, sagt sie.
Die Insel Zypern
Zypern ist seit 2004 in der
Europäischen Union. Im selben Jahr stimmten die Zyperntürken mit großer
Mehrheit für den Einigungsplan des damaligen UNO-Generalsekretärs Kofi
Annan, der aber am Nein der Inselgriechen scheiterte. Das EU-Recht und
Regelwerk gilt nur im Süden.
Die Türkische Republik Nordzypern wird
ausschließlich von der Türkei anerkannt und unterliegt einem
internationalen Handelsembargo. Die Anzahl der Zyperntürken wird auf
80.000 geschätzt , die der türkischen Siedler auf 500.000.
37 Prozent
der Fläche Zyperns befinden sich unter türkischer Besatzung. Unter dem
Eindruck des damals drohenden Anschlusses an Griechenland nach einem
griechischen Militärputsch hatte die Türkei im Juni 1974 den Nordteil
der Insel besetzt. Im Jahr 1983 wurde in dem besetzen Teil der Insel die
„Türkische Republik Nordzypern“ ausgerufen.
Anna, eine Zyperngriechin, die ursprünglich aus Nordzypern stammt, ist einen Schritt weiter gegangen. Seit zwei Jahren singt sie in einem Chor, um sich mit der Vergangenheit auseinander zu setzen und Zyperntürken zu treffen. „In meinem Dorf in den türkisch besetzten Gebieten gab es keine Zyperntürken. Und wir wollten uns den türkischen Dörfern nicht nähern. Manche sagten, es wären unsere Brüder. Ich wollte dies abklären. Es sind tatsächlich unsere Brüder!“, sagt Anna mit einem breiten Lächeln. Doch von Bruderschaften will der aussichtsreichste Präsidentschaftskandidat nichts wissen. Es wird befürchtet, dass ein Sieg Eroğlus die Verhandlungen zwischen dem Norden und dem Süden auf Eis legen wird. Eroğlou ist gegen die Schaffung eines Bundesstaates, gegen eine „einzige Souveränität“. Er hat versprochen, die türkischen Siedler in Zypern zu lassen, die nach einer Wiedervereinigung womöglich nach Anatolien zurückkehren müssten.
Und dies zu einem Zeitpunkt, da die Türkei zum ersten Mal den ernsthaften Willen zeigt, eine Lösung des Zypernproblems zu finden. Ankara weiß, dass dies den wichtigsten Stolperstein auf dem Weg in die EU darstellt, deshalb zeigt es Kompromissbereitschaft. Die türkische Regierung unterstützt indirekt die Wiederwahl von Talat. Sie hat auch den Abzug ihrer Truppen von der Insel in Aussicht gestellt.