Polen

Ausflug zum Atomkraftwerk

Die polnische Ostseeküste, ein beliebtes Urlaubsziel, liegt nur sieben Kilometer von Żarnowiec entfernt. In dem Ort, der etwa 80 Kilometer von Danzig und 450 Kilometer von Berlin entfernt ist, soll nach dem Willen der polnischen Regierung bis zum Jahr 2020 Polens erstes Atomkraftwerk entstehen. Am Dienstag hatte Hanna Trojanowska, Beauftragte für Atomenergie der polnischen Regierung, ein entsprechendes Gutachten vorgestellt, das den Standort am Żarnowieckier See als am besten geeignet ausweist.

Die Tourismusstrategen an der Küste lehnen den Bau eines Atomkraftwerkes im Hinterland kategorisch ab. „Wir wollen kein Atomkraftwerk“, sagen auch die Gegner in Żarnowiec. Sie gehen davon aus, dass der Tourismus völlig wegbricht, wenn das Kraftwerk gebaut wird. „Er ist doch das Einzige, was wir noch haben!“ In der Gegend rund um Żarnowiec leben die meisten Menschen vom Tourismus.

Befürworter des Atomkraftwerks planen indes werbewirksame Aktionen, um die Tourismusbranche zu beruhigen. „Noch in diesem Jahr wollen wir einen Yachthafen auf dem Żarnowieckier See bauen“, erklärt Henryk Döring, Gemeindevorsteher des Nachbarortes Krokowa. Das neue Atomkraftwerk soll direkt an dem See entstehen.   Henryk Döring glaubt, dass Besucher dann weiterhin auf dem See segeln und Motorboot fahren könnten. „Die unmittelbare Umgebung des Kraftwerks ist sicher. Und das heißt dann natürlich auch, dass die weiter entfernte Ostseeküste sicher ist“, sagt er.

Das sehen die Gegner des Kraftwerks ganz anders. Sie weisen auf die Gefahr von terroristischen Anschlägen hin. Und die Endlagerung der radioaktiven Abfälle sei ein Problem, das bislang niemand in den Griff bekommen habe. In diesem Punkt haben sie die meisten Polen hinter sich. Umfragen zufolge wünscht sich nur die Hälfte der Polen eigene Atomkraftwerke. Allerdings hat die Akzeptanz der Atomkraft in den vergangenen Jahren zugenommen. Noch im Jahr 2008 waren nur 40 Prozent der Polen für Atomenergie.


Das neue Atomkraftwerk von Żarnowiec
Insgesamt 28 polnische Städte hatten sich um den Bau des Atomkraftwerks beworben. Ein Gutachten, dem die polnische Regierung nun folgt, weist Żarnowiec als besten Standort aus.

Die letzte Entscheidung trifft jedoch der neue Investor. Das neue Atomkraftwerk soll wahrscheinlich mit französischer Technologie gebaut werden.

Die polnische Regierung folgt mit dem Plan ihrer Strategie, energiepolitisch unabhängig zu sein. Sie setzt dabei auf einen Energiemix aus fossilen Energieträgern, erneuerbaren Energien und Atomenergie.


Entsprechend hoch ist die Akzeptanz für das geplante Kraftwerk auch in Żarnowiec und Umgebung. Nach Ansicht von Zbigniew Walczak, Gemeindevorsteher des Nachbarortes Gniewino, profitiere auch die Infrastruktur der Gegend von dem Bau: Straßen würden gebaut und saniert. Neue Geschäfte und Gastronomie könnten sich ansiedeln. „Je früher das Atomkraftwerk kommt, desto besser. Endlich gäbe es wieder Arbeit“, sagt Stefan Kos, Einwohner aus dem Nachbardorf Krokowa. Er versucht, Ängste vor Havarien zu zerstreuen. „Viele hier haben Angst nach dem, was in Tschernobyl passiert ist. Aber den Atommeiler damals haben doch die Kommunisten gebaut.“

Bereits in den 70er Jahren wurde in der Nachbarschaft ein Atomkraftwerk geplant, ein ganzes Dorf wurde damals umgesiedelt. Schon damals wurde die Gegend als die am besten geeignete in Polen ausgewählt. Der Bau dauerte von 1982 bis 1990. Nachdem aber 1990 die erste demokratisch gewählte Regierung ihre Arbeit aufnahm, wurde der Bau gestoppt. Denn nach der Tschernobyl-Katastrophe 1986 hatten die polnische Bevölkerung und Umweltschützer massiv gegen das Atomkraftwerk protestiert.

Ein Einwohner aus Gniewino kann sich noch gut daran erinnern, wie während des Baus alle in der Gegend Hand anlegten. „Jeder hatte Arbeit. Und jetzt? Die Hälfte meiner Kollegen ist arbeitslos.“ Der Mann zeigt auf Plattenbauten. „Die sind ein Teil der Infrastruktur des alten Atomkraftwerks. Es wohnen immer noch Leute in den Häusern. Das waren Investitionen, die für unsere Region gut waren.“

Gemeindevorsteher Zbigniew Walczak aus Gniewino geht noch weiter. Seiner Ansicht nach könne das neue Atomkraftwerk sogar eine touristische Attraktion werden. „Die meisten Atomkraftwerke gibt es in touristischen Gebieten: in Spanien an der Costa Brava oder in Frankreich“, erklärt. „Wir aber leiden hier immer noch unter dem Schrecken von Tschernobyl und denken, dass der Tourismus Schaden nehmen könnte. Aber nein! Die Leute anderswo machen sogar Ausflüge zu Atomkraftwerken. So etwas kann man dann auch hier organisieren.“


Weitere Artikel