Mehr Schaden als Nutzen
Im April soll nahe des russischen Wyborgs der Bau der Ostsee-Gaspipeline beginnen. Umweltschützer protestieren und haben Klage eingereicht.
(n-ost) – Stolz ragt der Turm des Heiligen Olaf vom Wyborger Schloss in den Himmel. Das Wahrzeichen der Stadt im Nordwesten Russlands, einst von den Schweden als östlicher Stützpunkt am Finnischen Meerbusen gebaut, hält sein wachsames Auge auf das Wyborger Leben. Von dort ist die ganze Stadt aus der Vogelperspektive zu sehen, darunter auch die kilometerlange Küste. Das Wyborger Meeresufer ist Ausgangspunkt für die neue Nord- Stream-Pipeline, die Russland über die Ostsee mit Deutschland verbinden soll und das russische Erdgas nach Westeuropa liefern soll.
Etwa 70 Kilometer entfernt von der Stadt, in der Portowaja-Bucht, plant das Firmen-Konsortium „Nord Stream“, im April mit dem Bau des ersten unterseeischen Leitungsstranges für die Pipeline zu beginnen. Bereits im Januar hatte der russische Konzern „Gazprom“ dort den Grundstein für eine Verdichterstation gelegt. Sie soll das Gas für den Transport vom russischen Wyborg ins deutsche Greifswald durch die Wirtschaftszonen von Finnland, Schweden und Dänemark vorbereiten. „Eine vergleichbare Station gibt es in der ganzen Welt nicht“, sagt Alexej Miller, der Gazprom-Vorstandsvorsitzende. Die Portowaja-Verdichterstation werde alle anderen Objekte der Gasindustrie dank ihrer Leistungskapazität, des Arbeitsdrucks, der Entfernung für den Gastransport und des Tagesvolumens der Erdgastrocknung übertreffen, so der Chef des größten russischen Energiekonzerns.
Doch vor einigen Tagen haben WWF Deutschland und der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) gegen die Genehmigung der Ostsee-Pipeline durch die deutschen Behörden Klage eingereicht. Die Ostsee werde durch die geplanten Eingriffe des Pipeline-Projekts weitaus stärker belastet als angenommen, kritisieren die Umweltexperten. „Durch Baggerungen für die Trasse der Gaspipeline am Meeresboden und Freisetzung großer Mengen Stickstoff und Phosphor drohen massive Schäden im Ökosystem der Ostsee“, sagt Jochen Lamp, Ostsee-Experte des WWF. Er fordert, die Kompensationszahlungen durch die Betreiberfirma ostseeweit auf die Höhe der verursachten Schäden zu setzen.
In der Portowaja-Bucht sollen im April die Bauarbeiten für die Ostsee-Pipeline von Russland nach Deutschland beginnen. Foto: Irina Figut.
Die Wyborger Einwohner erhoffen sich indes nur wenig vom Milliarden-Projekt an der nahen Ostsee-Küste. Die Stadt, etwa zwei Autostunden von der russischen Metropole St. Petersburg entfernt, hat rund 80.000 Einwohner, wenig Industrie und bietet kaum Arbeitsplätze. „Wir wissen nicht, welchen Nutzen diese Gaspipeline für uns haben soll“, sagt Olga Schejanowa (70), Museumsmitarbeiterin in Wyborg. Sie hofft aber, dass die unterseeische Gasleitung Arbeit für die jungen Wyborger bringt. Davon ist Michail Kustarew (37), Mitarbeiter eines russischen Ölkonzerns, überzeugt: „Ich stehe dem Projekt sehr positiv gegenüber.“
Viele Wyborger müssen derzeit zur Arbeit nach St. Petersburg oder in die nahe gelegenen, kleineren Städte an der Karelischen Landenge pendeln. Der monatliche Durchschnittslohn in Höhe von 7.000 Rubel (etwa 170 Euro) lässt den Wyborgern keine andere Wahl. Nach dem Zerfall der Sowjetunion seien die größten Betriebe in der Stadt nicht mehr rentabel gewesen, erklärt Schejanowa. Die junge Mutter Inga Wasiljewa (22) bestätigt: Die meisten würden in Wyborg als Verkäufer oder Packer arbeiten. Von der neuen Erdgasleitung nach Westeuropa verspricht sie sich nicht viel: „Mir ist egal, was dort an der Küste gebaut wird.“ Auch der Rentner Nikolaj Schadrow (69) zuckt nur mit den Achseln, wenn er „Nord Stream“ hört: „Vielleicht bringt die Pipeline unserer Stadtverwaltung Geld, aber nicht uns.“
Doch nicht nur die Wyborger sind skeptisch: Juri Schewtschuk, der Vorsitzende der Petersburger Abteilung der russischen Umweltorganisation „Seljonyj krest“ (Grünes Kreuz), tritt als einziger Ökologe in St. Petersburg gegen das Erdgasprojekt an. „Mir sind einige Momente der Pipeline-Konstruktion nicht klar“, sagt Schewtschuk. Es gibt dem russischen Umweltaktivisten zufolge keine Beweise dafür, dass der Nutzen der Gasleitung größer als der Schaden ist.
Denn um die Rohre auf dem unebenen Meeresboden der russischen Ostsee und des Finnischen Meerbusens zu befestigen, müsse zusätzlicher Sand aus dem Meeresgrund oder den Wäldern des Leningrader Gebietes gewonnen werden. Das russische Ufer sei dadurch besonders gefährdet, erklärt der Umweltexperte. Auch das Leben im Wasser sei betroffen. Durch den Eingriff am Meeresboden komme es zu Wassertrübungen, die sich negativ auf die Fauna der Ostsee auswirkten und Verluste für russische Fischer bedeuteten. Außerdem würden zusätzliche Sand- und Kiesgruben der Natur im Nordwesten Russlands nur schaden: In der Region mangele es ohnehin an beidem, so Schewtschuk.
Trotz der Klagen durch WWF und BUND rechnet Steffen Ebert, Pressesprecher der Nord Stream AG, jedoch nicht mit einer Verzögerung des Baustarts: „Wir gehen davon aus, dass wir wie geplant im April in Wyborg mit dem Bau der Pipeline beginnen können.“
Hintergrund:
Nord- Stream
Die Nord Stream AG ist Bauherr der 1223 Kilometer langen Gaspipeline, die auf dem Ostsee-Meeresboden vom russischen Wyborg ins deutsche Greifswald führen soll.
Hauptanteilseigner bei Nord Stream ist der russische Gasriese Gazprom mit 51 Prozent der Aktien. Eon Ruhrgas und die BASF-Tochter Wintershall halten jeweils 20 Prozent, die niederländische Gasunie beteiligt sich mit neun Prozent.
Nach der geplanten Fertigstellung der zweiten Röhre im Jahre 2012 können pro Jahr 55 Milliarden Kubikmeter Erdgas, das sind elf Prozent des Gesamtbedarfs der EU, von Russland nach Westen gepumpt werden.
Der Projektleitung liegen bereits Genehmigungen von allen Ländern vor, durch deren Hoheitsgewässer die Leitung führen wird.
Die Nord-Stream-Pipeline war in der Vergangenheit in den baltischen Ländern und in Polen auf scharfe Kritik gestoßen: Diese Länder befürchten negative Auswirkungen auf Gaslieferungen, wenn sie nicht mehr als Transitstaaten funigeren. Russland hatte zudem wiederholt mit Lieferstopps gedroht, da die Ukraine ihre Gaslieferungen nicht zahlen konnte. Davon war auch Europa betroffen.Cornelia Riedel und Irina Figut
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