Russland

Wanderfalke ausgebremst

Radschäden nun auch am russischen ICE / Siemens äußert sich zurückhaltend

(n-ost) – Am 17. Dezember 2009 begann bei der russischen Eisenbahn eine neue Ära. Erstmals fuhren Hochgeschwindigkeitszüge mit bis zu 250 Kilometern pro Stunde zwischen Moskau und St. Petersburg. Nach jahrelangen Pannen mit einheimischen Modellen hatte sich die russische Eisenbahn für Züge aus deutscher Produktion entschieden, Gerhard Schröder und Wladimir Putin hatten das Geschäft 2004 eingefädelt. Siemens lieferte vorerst acht Züge des Velaro RUS, der in Russland unter dem Namen Sapsan (deutsch: Wanderfalke) verkehrt.

Doch nach wenigen Wochen im planmäßigen Betrieb mehren sich kritische Stimmen. Passagiere berichten von kalten Waggons, mehrfach waren die Züge wegen technischer Probleme verspätet. Seit Mitte Januar berichten verschiedene Zeitungen und Blogs über erhebliche Schäden an den Rädern der Züge. Es ist von bis zu einem Zentimeter breiten und sechs Millimeter tiefen Kratern die Rede. Anfang Februar tauchte im russischen Internet das Foto eines Radsatzes auf, welches die erheblichen Schäden angeblich zeigt. Die Echtheit des Bildes ist jedoch nicht bewiesen.



In einem Windkanal wurde der Sapsan nach Angaben von Siemens darauf getestet, ob er auch extremen klimatischen Bedingungen standhält. Foto: PR.

Die Presseabteilung von Siemens ging auf Nachfrage von n-ost nicht auf das fragliche Foto ein, bestätigte jedoch: „Bei unserem Hochgeschwindigkeitszug Sapsan ist in den letzten drei Wochen an den Radlaufflächen Verschleiß aufgetreten, der über das im Eisenbahnbetrieb übliche Maß hinausgeht.“ Als Grund nennt Pressesprecher Peter Gottal: „In diesem Zeitraum gab es eine außergewöhnliche Kälteperiode in Russland von minus 20 bis minus 35 Grad“ im Einsatzgebiet der Züge.

Temperaturen von bis zu minus 40 Grad sind in Russland allerdings keine Seltenheit und sollten für den modernen Zug kein Problem darstellen. Zwar basiert der Sapsan auf dem in Deutschland eingesetzten ICE3, der mehrfach durch Probleme mit Rädern und Achsen in die Schlagzeilen geriet. Laut Medienberichten wurde der Sapsan jedoch explizit an niedrige Temperaturen angepasst und in einem speziellen Windkanal in Wien „unter extremsten Wetterbedingungen“ getestet. Siemens betont, die aufgetretenen Verschleißerscheinungen würden „im Rahmen der planmäßigen Wartungsintervalle beseitigt“ und keine „Beeinträchtigung der Sicherheit des Fahrgastverkehrs“ darstellen.


Der Schriftzug der russischen Eisenbahn (RZD) auf dem Sapsan ist noch ganz frisch. Foto: PR.

Verwunderlich klingt indessen eine Presseerklärung der russischen Eisenbahn: „Während des kommerziellen Einsatzes wurden keinerlei nennenswerte Probleme, die auf eine übermäßigen Verschleiß der Radpaare des Hochgeschwindigkeitszuges Sapsan hinweisen, festgestellt“, heißt es dort. Dies widerspricht den Aussagen von Siemens und den russischen Presseberichten der Vortage.

Das Nachrichtenportal slon.ru berichtet von Reisebüros, denen die russische Bahn mitgeteilt hatte, der Verkauf der Sapsan-Fahrkarten müsse aufgrund technischer Probleme im März eingestellt werden. Die Buchungsfristen für den Zug wurden kurzfristig von 45 auf 15 Tage verkürzt. Zur Begründung verweist die russische Bahn auf geplante Fahrplanänderungen, weswegen vorübergehend die Buchungszeiträume angepasst werden mussten. Von technischen Problemen ist nicht die Rede. Siemens hingegen betont, eben diese Probleme würden bereits untersucht.


Verschiffung der Wagen des Sapsans von Deutschland nach Russland im vergangenen Jahr. Foto: PR.

Nachdem schon in Deutschland die Fahrpläne der ICEs wegen technischer Probleme ausgedünnt werden mussten, wäre eine ähnliche Pleite in Russland katastrophal für den Hersteller. Die russische Bahn hatte bereits in den ersten Tagen Schadensersatzforderungen angekündigt, wenn der Betrieb nicht erfolgreich funktioniere.

Trotz der offensichtlichen Probleme ist die russische Bahn an weiteren Zügen für die Strecken St. Petersburg–Helsinki sowie Moskau–Nischni Nowgorod interessiert. Da Siemens auch die Wartung der Züge übernimmt, handelt es sich um ein beachtliches Auftragsvolumen. Für die ersten acht Züge sollen sich die Gesamtkosten inklusive Wartung auf über 600 Millionen Euro belaufen.

Norbert Schott
ENDE


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