"Russischer Widerstand" legt Blutspur
Auf die gerichtliche Verfolgung von Gewalttaten antworten russische Rechtsradikale mit Terror gegen Polizisten und Ermittler
(n-ost) – Es war ein Kampf um Leben und Tod. Der Ghanaer Solomon Attengo Gvadjo schrie aus Leibeskräften und versuchte sich zu befreien. Zwei dunkel gekleidete Jugendliche hielten ihn fest und stachen immer wieder mit Messern auf ihn ein. Das alles passierte am 25. Dezember 2009 in St. Petersburg. Die Polizei war wegen der Neujahrsfeierlichkeiten im Einsatz. So konnten die Rechtsradikalen ungestört zuschlagen. Um halb zehn Uhr abends wurde der Afrikaner mit 40 Stichwunden in ein Krankenhaus eingeliefert. Doch die Verletzungen waren zu schwer. Am nächsten Morgen war Solomon tot.
Inzwischen ist der Überfall auch im Internet zu sehen. Eine rechtsradikale Gruppe mit dem Namen „Nationalsozialismus-Weiße Macht“ (NS-WP) stellte ein mit Heavy Metal-Musik untermaltes Video der Bluttat ins Netz. Die Polizei erklärte, das Video sei echt. Unmittelbar nach den Filmaufnahmen vom Tatort ruft ein maskierter Mann darin mit verzerrter Stimmte vor einer Hakenkreuzfahne den „russischen Widerstand“ zum Handeln gegen das „Okkupationsregime“ auf. Damit ist der Kreml gemeint.
Dann erscheint ein Bild von Dmitri Borowikow. Der Rechtsradikale wurde bei seiner Verhaftung im Mai 2006 getötet. Seitdem ist er eine Ikone der russischen Neonazis. Man mag sich fragen, warum in Russland solche Mord-Videos im Internet stehen können. Doch die Gruppe NS-WP hat ihre Website auf einer Insel im Pazifik registriert. Ein Vertreter des russischen Geheimdienstes erklärte, es sei möglich die Stimme des Sprechers zu identifizieren.
Am 17. Januar 2010 kam es zu einem neuen Überfall, diesmal in Moskau. Eine Bande von jungen Rechtsradikalen fiel mit Messern über den 20-jährigen Askat N. her, der gerade auf dem Heimweg war. Nach Aussagen von Augenzeugen trugen die Angreifer Masken. Die Messerstecher verschwanden so schnell wie sie gekommen waren. Als der Erste-Hilfe-Wagen eintraf, war Askat N. bereits tot.
Opfer rechtsradikaler Banden, die in Gruppen von acht bis zehn Jugendlichen abends durch die unbelebten Straßen von Moskau und St. Petersburg streifen, sind meist Studenten aus Afrika oder Arbeiter aus den ehemaligen Sowjetrepubliken im Kaukasus und Zentralasien. Unter den Opfern sind aber auch junge Antifaschisten. Allein 2009 wurden fünf Mitglieder der russischen Antifa-Szene von Rechtsradikalen getötet.
Weil die russische Staatsanwaltschaft seit Mitte 2008 die Mitglieder mehrerer rechtsradikaler Banden vor Gericht stellte, ist die Zahl der Überfälle inzwischen erheblich gesunken. Nach dem aktuellen Bericht des Moskauer Sova-Analyse-Zentrums gab es in Russland im letzten Jahr 71 Tote und 333 Verletzte in Folge rechtsradikaler und rassistischer Gewalt. 2008 waren es noch 110 Tote und 487 Verletzte. Die Zahl der wegen rechtsradikaler Gewalt Verurteilten stieg von 26 (2004) auf 127 (2009). Die Zahl der Personen, die wegen „Schüren von Hass“ gegen Nicht-Slawen verurteilt wurden, stieg von drei (2004) auf 48 Personen (2009). Seit sechs Jahren dokumentiert das Sova-Analyse-Zentrum rechtsradikale Gewalt. Finanziert wurde es zunächst von westlichen Stiftungen, inzwischen aber auch vom Kreml.
Die Zahl der Opfer sei zwar gesunken, so Galina Koschewnikowa, die Autorin des Berichts, aber die rechtsradikalen Organisationen reagierten auf die zunehmende strafrechtliche Verfolgung nun mit Angriffen auf Vertreter des Staates. So seien im letzten Jahr von Rechtsradikalen 20 Bomben- und Brandanschläge gegen Wehrämter, Polizeiwachen und Privatwohnungen staatlicher Ermittler verübt worden. Das Ziel der Rechtsradikalen habe sich geändert, so Galina Koschewnikowa vom Sova-Analysezentrum. Sie hätten verstanden, dass es unrealistisch sei, alle Ausländer aus Russland zu vertreiben. Hauptziel sei nun „die Destabilisierung der politischen Situation“ mit dem Ziel einer „nationalen Revolution“, so Koschewnikowa, die selbst schon Morddrohungen erhielt.
Eine der aktivsten und größten legalen Gruppen in der rechtsradikalen Szene Russlands ist die Organisation „Russische Art“. Im November letzten Jahres wurden zwei Personen verhaftet, die dieser Organisation nahe stehen: Nikita Tichonow und seine Freundin Jewgenija Chasis. Tichonow soll im Januar 2009 die Journalistin Anastasia Baburova und den Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow in Moskau auf offener Straße erschossen haben. Die Expertin Galina Koschewnikowa hält es für möglich, dass der Mord an dem Menschenrechtsanwalt eine Racheaktion war, denn der Anwalt hatte mehrere Neonazis hinter Gitter gebracht.
Ulrich Heyden
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