Ukraine

Lukaschenko bedroht Freiheit im Internet

„Wer ist der Letzte?“ Die blonde Fragerin stellt sich an eine Menschenschlange im geräumigen Saal der Postabteilung des Minsker Hauptbahnhofs an. Im Fenster links begleicht eine ältere Dame die Monatsrechnung fürs Telefon. Im Fenster rechts langweilt sich die Verkäuferin: Briefmarken und Umschläge will gerade keiner kaufen. Und vor dem Schalter für den Internet-Raum, wo sich die Blondine angestellt hat, warten mehrere Dutzend Menschen.

Sie alle wollen ins Internet eintauchen. Das bedeutet für sie ein Stück Freiheit in einem Land, in dem der Staat mit dem autoritären Präsidenten Alexander Lukaschenko an der Spitze die klassischen Medien weitgehend kontrolliert. Doch selbst diese relative Freiheit könnte bald ein Ende haben. Im Dezember wurde der Entwurf eines präsidialen Erlasses veröffentlicht, der unter anderem die verbindliche Identifikation aller Internetnutzer vorsieht. Um künftig online gehen zu können, müsste man also seinen Ausweis vorzeigen. Die Daten aller User müssten ein Jahr lang gespeichert werden.

Laut dem Gesetzentwurf wird eine Behörde, die direkt dem Präsidenten untersteht, das Internet kontrollieren, sowohl auf administrativer als auch auf inhaltlicher Ebene. Diese Behörde gibt es seit Frühjahr 2008. Heute ist sie für die Vergabe von Adressen mit der belarussischen Endung „by“ zuständig. Wenn der Erlass in Kraft tritt, kann sie Anbieter vom Netz nehmen und Zugang zu Informationen blockieren, wenn diese zum Beispiel Aufrufe zur Gewalt oder zu „extremistischen Aktivitäten“ beinhalten. Dieser schwammige Begriff lässt der Regierung viel Spielraum im Umgang mit der Opposition.

Als gegen die Studentin Tatsiana Elavaya nach der Präsidentschaftswahl im März 2006 eine Anzeige wegen „Organisation und Teilnahme an den Massenunruhen“ erhoben wurde, dienten unter anderem die Auszüge aus Foren und ihrem Blog als Beweismaterial. Sie habe dort „Gewaltaufrufe und Beleidigungen des Präsidenten veröffentlicht“. Dies ist ein Beispiel dafür, dass die Macht schon damals ein wachsames Auge aufs Internet hatte.

„Der Erlass würde nichts ändern. Er würde nur den juristischen Rahmen für die Internetkontrolle schaffen, die sowieso schon existiert“, sagt der politische Redakteur der unabhängigen Zeitung „Belarusy i rynok“, Paulyuk Bykowski. So werden die Websites der Oppositionsgruppen schon heute während der großen politischen Ereignisse blockiert und die Internetnutzer identifiziert. Als Beispiel nennt Bykowski einen User, der in einem russischen Forum seine Beteiligung an den Explosionen im Juli 2008 in Minsk angedeutet hatte und innerhalb weniger Tage danach identifiziert war. Der Journalist sieht die neue Gefahr indes woanders: „Für das kommende Jahr waren einige Investitionsprojekte im Internet geplant. Der Gesetzentwurf verändert aber die Spielregel für Business im Netz. Die Projekte werden wohl verschoben“, sagt Bykowski.

Der Erlass ermöglicht außerdem, alle Seiten zu sperren, die nicht in der weißrussischen Internetzone „by“ registriert sind. So könnte auch die Blogplattform Lifejournal.com geschlossen werden, auf der rund 50.000 Weißrussen einen Account haben. Auch Tatsiana Elavayas Blog ist auf Lifejournal.com platziert. Es heißt „Zmagarka“, Kämpferin. Ähnlich wie Elavaya kämpfen momentan viele Weißrussen für Freiheit im Netz. „Das Internet ist in Belarus der Raum, in dem frei von Staatsideologie und Propaganda berichtet werden kann“, sagt die Vorsitzende der Belarussischen Assoziation der Journalisten, Zhanna Litvina.

Der Entwurf hat deshalb für heftige Debatten in der unabhängigen Presse von Belarus und in den Oppositionsparteien gesorgt. Die Journalisten und Oppositionspoltiker befürchten, dass der Erlass die Internetkontrolle vor der Präsidentschaftswahl Anfang 2011 stärkt. Deswegen kündigten NGOs, Oppositionspolitiker und kritische Journalisten die Aktion „Für die Pressefreiheit“ an.

„Mit unseren Kampagne wollen wir internationale Aufmerksamkeit erzeugen“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Vereinigten Bürgerpartei (OGP), Lew Morgolin. In der Kampagne sind sowohl Aktionen in Belarus, als auch Aufrufe an den Europarat, an die OSZE sowie ans Europaparlament geplant. „Wir wollen, dass Europa endlich seine Augen aufmacht und sieht, dass in Weißrussland keine Liberalisierung stattfindet“, sagt Morgolin. „Alle von Lukaschenko durchgeführten Reformen sind Augenwischerei. In Wirklichkeit gibt es keine Veränderungen.“

Am 14. Januar trat indes die Gesetzesänderung „Über kriminelle Ermittlungen“ in Kraft. Sie erlaubt der Kontrollbehörde, E-Mails „mutmaßlicher Täter“ zu lesen. Der „große“ Erlass hingegen wurde vorerst auf Eis gelegt. Die Regierungsberatungen über das Projekt finden im Verborgenen statt. Die Gegner des Entwurfs hoffen, dass er wegen anhaltender Proteste im Internet überarbeitet und abgeschwächt wird. Doch es ist offensichtlich, dass die Regierung weiterhin die Freiheit im Netz beschränken will: Immer wieder gibt sie Informationen an die Öffentlichkeit, die die Notwendigkeit der Internetregulierung begründen sollen, etwa über Kinderpornografie im Netz.
Hintergrund:

Das Internet entwickelt sich in Weißrussland rasant. Das mobile Internet und soziale Netzwerke gewinnen immer mehr an Bedeutung. Es gibt rund 50.000 Webseiten und über 70.000 Blogs aus Belarus. Die Zahl der Internetnutzer liegt bei drei Millionen Menschen, das ist fast ein Drittel aller Einwohner. Dabei hat nur jeder Zwanzigste einen Breitband-Zugang zuhause. Viele gehen auf der Arbeit ins Netz, an der Uni oder in Internet-Cafés.


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