Russland

Videoüberwachung gerät zur Farce

Moskauer Sicherheitsfirma schaltet Kameras selbst aus und liefert alte Videos an die Polizei

(n-ost) – Es sollte die von mehreren Terroranschlägen geschüttelte Stadt Moskau sicherer machen – das 2002 gestartete, beinahe flächendeckende Videoüberwachungssystem mit dem passenden Namen „Sichere Stadt“. Wie sich nun herausstellt, brachte das System nicht nur kaum Resultate bei der Kriminalitätsbekämpfung, es wurde sogar technisch durch eine der beauftragten Sicherheitsfirmen blockiert.

Eine Überprüfung von 29.000 Überwachungskameras, die die private Sicherheitsfirma Strojmontaschservis im Nordosten Moskaus betreut, hat ergeben, dass viele Kameras abgeschaltet waren. Die Sicherheitsfirma übermittelte stattdessen alte Aufnahmen an die Polizei. Außerdem soll sie einen Computer-Virus entwickelt haben, mit dem die Video-Überwachung im Westen Moskaus, für die eine konkurrierende Sicherheitsfirma zuständig ist, lahm gelegt wurde.

Die Praxis von Strojmontaschservis ist kein Einzelfall. Unter den privaten Sicherheitsfirmen, die mit dem Betrieb des Überwachungssystems beautragt wurden, sind offenbar einige, die hoffen, damit schnelles Geld zu machen. Allein für ihre Dienste im Nordosten der Stadt kassierte Strojmontaschservis 700.000 Euro aus dem Stadt-Budget. Außerdem ist sie im Südwesten Moskaus für die Videoüberwachung von Wohnhäusern, Straßen und öffentlichen Plätzen zuständig.

Die Einrichtung des im Jahre 2002 vom Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow gestarteten Video-Überwachungsprogramms „Sichere Stadt“ kostete die Stadt 140 Millionen Euro. Die jährlichen Betriebskosten des Überwachungsprogramms belaufen sich auf 46 Millionen Euro . Das System hat denn auch riesige Lücken und daher „keinen Nutzen“, wie der Leiter des Moskauer Untersuchungskomitees Anatoli Bagmet, im November eingestand.

Dennoch ist das Überwachungsprogramm das liebste Kind von Moskaus Bürgermeister Juri Luschkow. Es wurde 2002 nach diversen Terroranschlägen tschetschenischer und anderer unbekannter Terroristen gestartet. Die ganze Stadt wurde mit einem Netz von Videokameras überzogen. Die Kameras hängen, für jeden sichtbar, unter Hausdächern, an Laternenpfählen und wie runde schwarze Augen unter den Decken der Supermärkte.

Ende 2008 erklärte Bürgermeister Luschkow, in Moskau seien 80.000 Kameras auf Straßen, in Hauseingängen und auf öffentlichen Plätzen installiert. Doch bei der Verbrechensaufklärung spielten die Kameras nur in einem Prozent der Fälle überhaupt eine Rolle. Deshalb ließ die Bürgermeister die Zahl der Kameras erhöhen. Wie die Zeitung Wremya Novostej berichtete, sind heute allein in den Moskauer Hauseingängen 86.000 Kameras installiert.

Nun soll gegen die Betrüger der Sicherheitsfirmen vorgegangen werden. So wurde Ende Dezember der Unternehmer Dmitri Kudrjawzew verhaftet. Der 32-Jährige ist Besitzer einer Juwelier-Firma, gilt jedoch als faktischer Besitzer der privaten Sicherheitsfirma Strojmontaschservis. Gegen Kudrjawzew läuft jetzt ein Strafverfahren wegen Betrugs und der Entwicklung eines Computer-Virus. Bei einer Durchsuchung seiner Villa in einem Moskauer Vorort wurde nach Angaben der Sicherheitsbehörden einer der Server sichergestellt, mit denen Strojmontaschservis veraltete Video-Filme an die Polizei lieferte. Der verhaftete Unternehmer bestreitet die gegen ihn erhobenen Vorwürfe. Er sieht sich als Opfer eines Konkurrenten, der ihn aus dem Markt drängen will.


HINTERGRUND:

Der Skandal um die Moskauer Video-Überwachung stellt auch weitere absurd erscheinende technische Pläne von Bürgermeister Juri Luschkow in Frage. Nach Meinung des 73-jährigen Luschkow, der zu Sowjetzeiten als Direktor in verschiedenen Wissenschaftseinrichtungen arbeitete, lassen sich viele globale Probleme durch den Einsatz von Technik wie mit einem Zauberstab lösen:
Seit Jahren wirbt Luschkow für die alte sowjetische Idee, die nach Norden fließenden sibirischen Flüsse in den Süden umzuleiten, damit sie dort die Steppen und Baumwollplantagen bewässern.
Vor kurzem schlug Luschkow vor, die Schneewolken schon vor Moskau zu stoppen. Flugzeuge sollten die Wolken mit chemischen Mitteln beschießen. So könne man Millionen Rubel Straßenreinigungskosten sparen.


Ulrich Heyden
ENDE


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