Neuer Selbstmordanschlag im Nordkaukasus
Die Terror-Welle zwischen Kaspischem und Schwarzem Meer fordert immer neue Opfer
(n-ost) – Rauchende Trümmer von zwei zerfetzten Jeeps, über hundert von Splittern durchlöcherte Autos und ein Bombentrichter von einem Meter Tiefe. Das waren die Bilder, die die russischen Fernsehkanäle am Mittwoch, dem Vortag des russisch-orthodoxen Weihnachtsfestes, aus der Stadt Machatschkala sendeten. In der Hauptstadt Dagestans, in der eine halbe Million Menschen leben, hatte sich am Mittwoch um 7:55 Uhr, direkt vor dem Gebäude der Verkehrspolizei, ein Selbstmordattentäter in einem Jeep vom Typ Lada-Niva in die Luft gesprengt. Sieben Polizisten wurden getötet und 15 Personen verletzt. Bei dem Attentäter handelte es sich offenbar um einen Islamisten.
Wie eine Sprecherin des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew Mittwoch mitteilte, forderte der Präsident vom Chef des russischen Geheimdienstes, Aleksandr Bortnikow, die Kontrolle über den Nordkaukasus zu verschärfen und die Umstände des Anschlags genau zu untersuchen. Die Reaktion von Medwedew wirkte hilflos. Denn seit Monaten explodieren in den russischen Teilrepubliken Dagestan, Tschetschenien und Inguschetien gegen die örtlichen Sicherheitskräfte gerichtete Bomben.
Nach Angaben des dagestanischen Innenministeriums gab es im vergangenen Jahr 200 Anschläge auf Polizisten. Dabei wurden 50 Milizionäre getötet und 120 verletzt. Auf Seiten der radikalen Islamisten seien 120 Extremisten getötet worden. Im August vergangenen Jahres hatten bewaffnete Islamisten sieben Mitarbeiterinnen einer Sauna erschossen. Zuvor hatte eine „Initiativgrupe der Moslems von Schamilkala (islamistische Bezeichnung für Machatschkala)“ alle „Zuhälter und Sauna-Besitzer“ aufgefordert, ihre Einrichtungen zu schließen.
Der russische Präsident Medwedew hat – im Unterschied zu seinem Vorgänger Wladimir Putin – eingestanden, dass es im Nordkaukasus auch hausgemachte Fehler gibt. In der Region seien „Korruption und Clanwesen besonders hoch“, hatte Medwedew im November in seiner Rede vor der Föderalen Versammlung erklärt. Die Mehrheit der Bevölkerung habe in der Region keine normalen Lebensperspektiven, erklärte Medwedew. Damit spielte er auf die Tatsache an, dass über die Hälfte der Menschen im Nordkaukasus arbeitslos sind und sich mit Schwarzhandel oder der Bestellung des eigenen Feldes über Wasser halten.
Nach Angaben russischer Sicherheitskreise war der Attenäter-Jeep von Machatschkala mit Artilleriegranaten beladen. Die Sprengkraft der Bombe betrug nach offiziellen Angaben 100 Kilogramm. Wie ein Sprecher des dagestanischen Innenministeriums mitteilte, wurde durch den Fahrer eines Polizei-Jeeps, der gerade das Gelände der Verkehrspolizei verlassen wollte, ein noch größeres Unglück verhindert. Der Fahrer des Polizei-Jeeps habe erkannt, dass es sich bei dem Lada-Niva-Jeep um eine terroristische Gefahr handelte, und sei direkt auf ihn zugefahren. Daraufhin seien beide Jeeps durch die Explosion zerfetzt worden.
Ziel des Selbstmordanschlags waren offenbar mehrere Hundert Verkehrspolizisten, die jeden Morgen um acht Uhr vor der Zentrale der Verkehrspolizei von Machatschkala Aufstellung nehmen. Bei einem ähnlichen Selbstmordanschlag am 17. Juni 2008 vor der Polizeizentrale der inguschetischen Stadt Nasran waren 25 Menschen getötet und 130 verletzt worden. Damals hatten sich islamistische Extremisten über die Website des „Emirat Kaukasus“ (Hunafa.com) zu dem Anschlag bekannt.
Hintergrund
Vorposten des Zarenreiches: Machatschkala
Machatschkala ist die Hauptstadt von Dagestan. Die Stadt wurde 1844 als Vorposten des Zarenreiches am Kaspischen Meer gegründet.
Seit dem Tschetschenien-Krieg (1994-1996 und 1999-2003) hat sich auch in Dagestan, das mit 14 vorwiegend muslimischen Bergvölkern zu den russischen Regionen mit den meisten Völkern gehört, ein islamistischer Untergrund gebildet, der fast wöchentlich Anschläge auf Polizisten und hohe Beamte verübt.
In Dagestan leben 2,7 Millionen Menschen, davon eine halbe Million in der Hauptstadt Machatschkala. In Dagestan leben Awaren, Darginer, Kumyken und andere kleine muslimische Völker. Nur 14 Prozent der Bevölkerung sind Russen.
Wegen einer Ölpipeline und einer Eisenbahnlinie nach Baku hat Dagestan eine strategisch wichtige Bedeutung für Russland.
Die innenpolitische Situation ist auch deshalb angespannt, weil die Amtszeit des Präsidenten von Dagestan dieses Jahr ausläuft und noch kein Nachfolger in Sicht ist.
Ulrich Heyden, Moskau
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