Russland

Putin bescheinigt DDR-Bürgern Realitätsverweigerung

Der russische Ministerpräsident fühlte sich als KGB-Oberstleutnant in Dresden an die Sowjetunion der 70er Jahre erinnert

(n-ost) – Am 5. Dezember 1989 ging es vor der Dresdner KGB-Zentrale hoch her. Demonstranten hatten die Stasi-Zentrale besetzt. Die wütenden Menschen zogen weiter zur KGB-Zentrale in der Angelikastraße 4. Die Situation sei „turbulent“ gewesen, erinnert sich Wladimir Putin in dem Dokumentarfilm „Stena“ („Die Mauer“) des ehemaligen sowjetischen Fernseh-Korrespondenten Wladimir Kondratjew. Der russische Kanal NTW strahlte den Film im November aus.

Er habe versucht, die Demonstranten zu beruhigen, erinnert sich der spätere Kreml-Chef und heutige Ministerpräsident Russlands in dem Film. „Ich habe erklärt, dass das Gebäude den sowjetischen Streitkräften gehört. Nach einiger Zeit gingen die Leute.“ Putin, der von 1985 bis 1990 für den KGB in Dresden arbeitete, hatte damals den Rang eines Oberstleutnants.

Doch nach Berichten lokaler Medien war Putin nicht ganz so friedlich gesinnt, wie er es heute darstellt. Oberstleutnant Putin soll den Demonstranten sogar mit dem Einsatz von Schusswaffen gedroht haben, berichtet eine Tageszeitung aus Dresden. Doch für diese Behauptung fehlen die Beweise. Bisher sind keine Film- oder Ton-Dokumente über die Episode vor dem KGB-Gebäude aufgetaucht.

Für den CDU-Politiker Arnold Vaatz, der am 5. Dezember 1989 an der Besetzung der Stasi-Zentrale in Dresden beteiligt war, ist Putins Darstellung der Ereignisse ein Weihnachtsmärchen. Putin inszeniere sich in dem Film als friedfertiger Held, der die deutsche Teilung schon immer verabscheut habe.

Nach den Äußerungen des späteren Kreml-Chefs in dem Dokumentarfilm war Putin schon 1985 klar, dass die Berliner Mauer eigentlich „unnatürlich und irreal“ ist, da sie „kein Volk geschützt hat, wie die chinesische Mauer, sondern ein Volk getrennt hat.“

Erstmals äußert sich Putin in dem Film ausführlich über die Stimmungslage in der DDR Ende der 1980er Jahre. Die Menschen hätten sich der Realität verweigert und „so gelebt, als ob nichts passiert.“ Den damaligen KGB-Mitarbeiter Putin habe diese Haltung ernsthaft „besorgt“. Der Spion aus Leningrad fühlte sich an „frühe sowjetische Zeiten“ erinnert. Er habe den Eindruck gehabt, dass er „in einem Überbleibsel der sowjetischen Gesellschaft, noch vor den 1970er Jahren“ angekommen sei.

Denn während in der Sowjetunion die Perestroika bereits in vollem Gang war, während über die Verbrechen Stalins öffentlich diskutiert wurde und es im sowjetischen Politbüro die ersten Gegenstimmen gab, sperrte sich die DDR-Führung gegen jegliche Veränderungen. „Um sie (die DDR-Bürger) herum war alles ordentlich und gelenkt, aber im Land reiften unterdrückte Prozesse heran“, so Putin.

Gegen Ende der DDR seien in Ostdeutschland zwar noch andere Konzepte für die Zukunft diskutiert worden, für ihn sei jedoch klar gewesen, dass es zur „direkten Vereinigung“ mit Westdeutschland kommen werde, meint der heutige Ministerpräsident Russlands. Ob Putin als Oberstleutnant des KGB in Dresden Ende der 1980er Jahre an Versuchen beteiligt war, mit dem Dresdner SED-Bezirkschef Hans Modrow eine personelle Alternative zu dem halsstarrigen Honecker aufzubauen, der den Perestroika-Kurs von Gorbatschow nicht mittrug, geht aus dem Film nicht hervor. Verschiedene deutsche Medien hatten über ein derartiges, von Moskau gesteuertes Vorhaben, berichtet. Auch für die Modrow-These fehlen jedoch handfeste Beweise.

Ob es damals für die Sowjetunion Alternativen gegeben hätte, fragt Filmemacher Kondratjew den ehemaligen KGB-Spion. Sicher hätte man zum Schutz „unserer Interessen in Deutschland“ einiges anders machen können, meint Putin. Doch das wichtigste Ergebnis der deutschen Vereinigung sei, dass „eine neue Qualität der Beziehungen, ein Gefühl des Vertrauens und des Dankes zwischen Deutschland und Russland entstanden ist.“ Das sind schöne Worte eines Ministerpräsidenten. Was wirklich im Herzen des Spions Putin vor sich ging, als die Demonstranten im Dezember 1989 vor der KGB-Zentrale standen, wird wohl niemand erfahren.

Ulrich Heyden
ENDE

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