"Wir wollen nicht wie Sklaven leben"
Maria hält ihren Regenschirm fest umschlossen und schaut entschlossen durch die Menge Richtung Parlament, vorbei an einer Spezialeinheit der Polizei. Es regnet ununterbrochen in Athen. Trotzdem sind tausende Menschen dem Aufruf der Gewerkschaften gefolgt und protestieren auf dem Syntagma-Platz gegen die von den Gläubigern geforderten Sparmaßnahmen. Die junge Lehrerin Maria nimmt öfter an Demonstrationen teil, auch heute ist sie wieder da und wiederholt ihre Forderung: „Diese Regierung muss weg! Sie ist nicht vom Volk legitimiert, diese Entscheidungen über unser Leben zu treffen. Sie müssen endlich auf uns hören!“
Laut einer Umfrage des Public –Issue Instituts sind 72 Prozent der Griechen gegen das Sparpaket, 85 Prozent sind unzufrieden mit ihrem Lebensstandard. Vor dem Parlament haben die Demonstranten ein großes, rotes Plakat aufgehängt. Ein Hubschrauber ist darauf zu sehen, und in großen Lettern die Parole „Haut ab!“.
Die Menge steht still unter dem Regen, fast deprimiert. „Wir möchten nicht wie Sklaven leben“, ist in schwarzer Schrift auf die Wand einer nahe gelegenen Bankfiliale gesprüht. Während der parteilose Regierungschef Lucas Papademos um den Konsens der drei Regierungsparteien für die neuen Sparpläne kämpft, brodelt es in der Gesellschaft. Vor dem Parlament versucht eine Gruppe von Demonstranten eine deutsche Fahne zu verbrennen, die Spezialeinheiten hindern sie daran.
Die Wut der Bevölkerung auf die Forderungen der Gläubiger wird immer größer, besonders weil viele Bürger keine Erfolge sehen bei den ersten harten Sparmaßnahmen. Die Griechen von einem neuen Sparprogramm zu überzeugen, wird immer schwieriger, die Politikverdrossenheit ist groß. Bei den laufenden Verhandlungen mit den Gläubigern geht es um den neuen Großkredit für Griechenland in Höhe von vermutlich 145 Milliarden Euro. Seitens der Geldgeber wird von Athen unter anderem gefordert, die Lohnkosten um mehr als 25 Prozent zu senken. Die Einkommen sollen gekürzt, Lohnnebenkosten gesenkt werden. Der Bruttomindestlohn, der derzeit bei 751 Euro im Monat liegt, soll auf 570 Euro reduziert werden.
Für Kostas, einen 45-jährigen Beamten, bedeutet das weitere Einschnitte „Mein Lohn wurde bereits im vorigen Jahr um 35 Prozent gesenkt“, sagt er verzweifelt und fügt hinzu: „Das, was in Griechenland passiert, ist nur ein Vorzeichen für das, was bald auch auf die anderen verschuldeten Länder der Eurozone zukommt.“
Für Regina, eine 32-jährige Arbeitslose, ist diese Demonstration „der letzte Kampf“, sie sagt: „Ich merke, dass wir kurz vor dem Absturz stehen.“ Angst vor dem Bankrott oder einer Rückkehr zur Drachme hat die rothaarige Frau nicht: „Ich fürchte mich mehr vor neuen Maßnahmen. Wenn sie durchgesetzt werden, ist es egal, ob wir innerhalb oder außerhalb der Eurozone sind. Es wird genauso schlimm sein.“
Athen will seinen Gläubigern am 13. Februar ein offizielles Angebot zum Tausch der alten Staatsanleihen gegen neue machen. Laut griechischen Medienberichten werden die Regierungsabgeordneten am kommenden Wochenende über die neuen Maßnahmen abstimmen. Umstritten sind derzeit vor allem die Forderungen nach Änderungen auf dem Arbeitsmarkt und die Senkung des Mindestlohns.
Besonders das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten der sozialistischen PASOK-Partei wird mit Spannung beobachtet. Hochrangige Mitglieder von PASOK haben in den vergangenen Wochen die von den Gläubigern diktierte Sparpolitik immer wieder offen angezweifelt. Die Partei ist zersplittert. In manchen Umfragen bekommt sie sogar Werte unter 10 Prozent. Laut einer Umfrage des Instituts „Pulse RC“ haben 120 der 160 PASOK-Abgeordneten bei den nächsten Wahlen keine Chance, wiedergewählt zu werden. Sie haben mehr zu gewinnen als zu verlieren, wenn sie den schmerzhaften Einschnitten nicht zustimmen, meinen griechische Analytiker.
„Die politische Situation befindet sich auch weiterhin im Fluss, vielleicht noch mehrere Jahre“, sagt der Athener Politikprofessor Christoforos Vernardakis. „Wir stehen am Anfang einer neuen Politik mit veränderten politischen Formationen und veränderten Strukturen politischer Repräsentation.“