Lettland

Säbelrasseln im Baltikum

Kaliningrad ist eine militärische Hochburg. Die russische Exklave zwischen Polen und Litauen ist Heimat der russischen Ostseeflotte und ein wichtiger Luftwaffenstützpunkt für strategische Bomber und Aufklärungsflieger der russischen Streitkräfte. Der Verlust dieser Region hätte so gravierende Folgen, dass die russische Militärführung offenbar bereit wäre, unter der Verwendung von taktischen Nuklearwaffen einen Angriff abzuwehren.

Anfang Oktober startete auf dem militärischen Testgelände von Pavenkovo, etwa zwölf Kilometer westlich von Kaliningrad, eine ballistische Kurzstreckenrakete. Das gemeinsame Manöver Russlands und Weißrusslands war Teil einer Militärübung, bei der ein möglicher Angriff von Nato-Mitgliedsländern auf Kaliningrad simuliert wurde. Der Einsatz taktischer Nuklearwaffen sollte Russlands Entschlossenheit demonstrieren. Das Manöver wurde besonders in Mittelosteuropa mit Argwohn verfolgt; Länder in dieser Region sind stark auf das Sicherheitsbündnis der Nato angewiesen.
 
Doch die so genannten contingency plans – Nato-Operationspläne für den Verteidigungsfall, wie sie der hochrangige US-amerikanische Nato-General, James Craddock, seit geraumer Zeit für die baltischen Länder fordert – gibt es zum Ärger der dortigen politischen Führungen immer noch nicht. „Litauen, Lettland und Estland sind vollwertige Mitglieder der Allianz und beteiligen sich aktiv an Nato- Operationen in Afghanistan und andere Missionen. Deshalb verdienen wir die gleichen Sicherheitsgarantien und Sicherheitspläne für unsere Länder“, so die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaite während einer Sicherheitskonferenz im vergangenen Monat in Riga.


Lettische Soldaten - Bei der Landesverteidigung auf Nato-Hilfe angewiesen. Foto: Thorsten Pohlmann

Ungelöste Konflikte zwischen einzelnen Nato-Mitgliedern und Russland haben nach Ansicht von Russlandexperten und russischen Militärexperten ungeahntes Konfliktpotential, das sich rasch zum Flächenbrand ausweiten könnte. Mögliche Brandherde gibt es in der baltischen Region und Nordeuropa genug. Die unbeantwortete Frage der territorialen Integrität zwischen Estland und Russland, die beide die Fischereirechte auf dem Pskov-See, dem viertgrößten Binnengewässer Europas, beanspruchen, sowie der schwierige Umgang mit der russischen Minderheit in Lettland und Estland sind nur zwei dieser Konflikte.

Kaliningrad ist heute umgeben von EU und Nato-Ländern. Weitere Satellitenstaaten der ehemaligen Sowjetunion haben in den vergangenen fünf Jahren die EU- und Nato-Mitgliedschaft erhalten, oder sind strategische Verbündete im Nato-Programm „Partnerschaft für den Frieden“, ein Instrument des Westens, mit dem der für Europas Sicherheit und Stabilität bedeutende Demokratisierungsprozess vorangetrieben werden soll.

Dass sich an diesem außenpolitischen Diskurs des Westens auch in Zukunft kaum etwas ändern wird, machte der amerikanische US-amerikanische Vizepräsident Joe Biden in seiner Rede bei einem Besuch im Oktober an der Universität Bukarest deutlich. „Europa und die Vereinigten Staaten werden ihre Unterstützung für Länder weiterhin fortsetzen, die gewillt sind, ihre politischen Systeme in vollwertige und funktionsfähige Demokratien zu verwandeln.“ Es gebe viel Arbeit in Armenien, Aserbaidschan und Belarus, so Biden.

Allerdings ist der politischen und militärischen Führung Russlands diese Strategie zunehmend ein Dorn ins Auge. Spätestens seit dem Georgien-Krieg im August 2008 ist deutlich geworden, dass Russland eine Einmischung von außen nicht duldet. Auch die baltischen Staaten bekommen diesen Anspruch regelmäßig zu spüren. Estlands und Lettlands Bevölkerung verfügen über russische Minderheiten. Litauen spielt eine wichtige Rolle beim Transit nach Kaliningrad. Die baltischen Staaten haben wenig Verständnis für das Fehlen konkreter Verteidigungspläne.

Doch seitens der Nato gibt es aus taktischen Gründen Bedenken, kollektive Verteidigungspläne für die baltische Region zu erstellen. Der strategischen Beziehung zu Russland soll Vorrang gegeben werden. Auch deshalb wurde die Ankündigung des US-amerikanischen Präsidenten Obama, von den Raketenabwehrplänen der Vorgängerregierung Bush abzusehen, besonders in Osteuropa mit Sorge aufgenommen. Vizepräsident Joe Biden versuchte die Wogen in Bukarest zu glätten: „Wir sind fest entschlossen, die Sicherheitsbedürfnisse aller Nato-Mitglieder zu garantieren, wenn sie diese benötigen. Dabei unterscheiden wir nicht zwischen alten und neuen Mitgliedern.“

Gleichzeitig schickten die USA zwei Raketen-Zerstörer der US-Marine in die baltischen Staaten, um Präsenz zu zeigen. „Die Sicherheitsbedenken der osteuropäischen Staaten sind für die US-amerikanische Außenpolitik ein wichtiger Faktor“, sagte Tony Blinken, nationaler Sicherheitsberater von Jo Biden, “auch wenn wir unsere Pläne eines Raketenabwehrsystems für Europa geändert haben.“ Auch Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen versuchte, den skeptischen Nato-Mitgliedsländern entgegen zu kommen. „Es sollte keinen Zweifel daran geben, dass die Allianz seinen sicherheitspolitischen Kurs weiter vorantreiben wird und dass die Sicherheit jedes einzelnen Mitglieds  höchste Priorität hat“, sagte er während einer Rede in Brüssel.

Russland beharrt derweil auf seinem Interventionsanspruch, um die Interessen der russischen Staatsbürger – auch im Ausland – notfalls mit Waffengewalt durchzusetzen. Laut übereinstimmenden russischen Medienberichten hat das russische Parlament diesen Anspruch im Sommer dieses Jahres im Gesetzbuch verankert. Durch die Militärdoktrin 2010 und dem darin verankerten Recht, auch bei kleineren regionalen Konflikten taktische Nuklearwaffen präventiv einsetzen zu dürfen, hat die Drohkulisse, die Russland zukünftig besser gegen äußere Feinde schützen soll, eine neue Grundlage erhalten. Ein weiteres Säbelrasseln, das in den baltischen Staaten nicht ganz ohne Furcht wahrgenommen wird und die Frage nach Nato-Verteidigungsplänen erneut auf die Tagesordnung gebracht hat.

Die litauische Staatspräsidentin, Dalia Grybauskaite, die auch gerne als die „Eiserne Lady“ bezeichnet wird, kündigte indes an, dass die baltischen Staaten außenpolitisch künftig – besonders mit Blick auf die Verhandlungen über das neue Strategische Konzept der Nato – mit einer starken Stimme auftreten werden. „Ob für die baltischen Staaten in Zukunft solche Verteidigungspläne existieren werden, hängt maßgeblich von den Empfehlungen der Nato-Expertengruppe ab, die derzeit Pläne für die strategische Ausrichtung der zukünftigen Nato ausarbeitet“, sagte die amerikanische Botschafterin in Riga, Judith G. Garber.


Weitere Artikel