Streit um die Todesstrafe
(n-ost) – Russland wird die Todesstrafe voraussichtlich nicht wieder einführen. Dieser Eindruck ergab sich zu Wochenbeginn auf einer Anhörung beim russischen Verfassungsgericht in St. Petersburg. Bis zum Jahreswechsel will das Verfassungsgericht darüber entscheiden, ob die Todesstrafe in Russland wieder angewendet werden darf.
Das russische Strafrecht lässt die Todesstrafe formell zwar zu. Sie wurde jedoch 1996 durch ein Moratorium des damaligen Präsidenten Boris Jelzin ausgesetzt – als Bedingung für die Aufnahme Russlands in den Europarat im selben Jahr. 1997 verpflichtete sich Russland zudem durch die Unterzeichnung des Menschenrechts-Protokolls Nr. 6 zur Nichtanwendung der Todesstrafe. Es wurde jedoch von der Duma, dem russischen Parlament, nie ratifiziert. Russische Gerichte verhängten zwischen 1991 und 1999 noch 1.011 Todesurteile, die Strafe wurde jedoch nur bei einem Teil der Verurteilten noch vollstreckt.
Das Verfassungsgericht prüft nun auf Antrag des Obersten Gerichts Russlands, wie in dieser Frage weiter verfahren werden soll. Es sei „ein historischer, juristischer und medizinischer Fakt“, dass es in Russland keine Todesstrafe mehr gebe, erklärte Regierungsvertreter Michail Barschewski vor dem Verfassungsgericht. Die lebenslange Haftstrafe, die bei schweren Straftaten statt der Todesstrafe verhängt wird, sei im Grunde „viel härter“. Umfragen zufolge seien zwar 60 bis 70 Prozent aller Russen für die Todesstrafe, wenn man sich die Statistik jedoch genauer anschaue, falle die Zustimmung jedoch weitaus geringer aus. Bei der Entscheidung für oder gegen die Todesstrafe gehe es für Russland um die „historische Richtung“, „um seinen Platz in Europa“, so Barschewski.
Jelena Borisenko, Vertreterin des russischen Justizministeriums, stimmte dem zu und erklärte, die Wiedereinführung der Todesstrafe käme dem Auszug Russlands aus dem Europarat gleich. Dass Russland die UN-Resolution zur vollständigen Abschaffung der Todesstrafe unterstütze, zeige, dass das Land sich von dieser Strafe verabschiedet habe.
Auch der bekannte Menschenrechtsanwalt Genri Resnik warnte vor einer Wiedereinführung der Todesstrafe. Das drastische Strafmaß habe zum einen keinen abschreckenden Einfluss auf andere Kriminelle. Zum anderen werde es „zwangsläufig“ zu Justiz-Irrtümern kommen.
Diese Meinung teilen viele Russen. Umfragen zufolge hält ein großer Teil der Bevölkerung Polizei und Richter für bestechlich und ihre Urteile oft für willkürlich. 46 Prozent der Bevölkerung waren im Juli 2008, befragt vom Meinungsforschungsinstitut FOM, der Ansicht, sie könnten der Polizei nicht trauen. Noch geringer sind die Zahlen, wenn es um die Generalstaatsanwaltschaft geht.
Menschenrechtsanwalt Resnik erklärte in Anspielung auf die russische Geschichte und die schwach entwickelten Justizorgane, „außerordentliche Gewalt“ wie die Todesstrafe sei für Russland „unheilvoll“. Das Thema werde von „gewissenlosen Politikern“ ausgenutzt, um sich bei den Wählern beliebt zu machen. Resnik spielte dabei offenbar auf die stellvertretende Duma-Vorsitzende Ljubow Sliska an, die der kremltreuen Partei Einiges Russland angehört. „Russland ist ein sehr großes Land und die Kriminalität hat ohne Todesstrafe sehr stark zugenommen“, erklärte Sliska, die immerhin stellvertretende Fraktionsvorsitzende ist. Vorsitzender der Partei ist kein Geringerer als Wladimir Putin. Hardlinerin Sliska fordert die Todesstrafe bei „schweren Verbrechen gegen Kinder und alte Menschen sowie bei schweren Wirtschaftsverbrechen“.
Zu den Gegnern der Todesstrafe gehört wider Erwarten auch Ultranationalist Wladimir Schirinowski, der hier überraschend sein Herz für Europa entdeckt. Man solle sich in dieser Frage keinesfalls an Ländern wie Korea oder China orientieren, sondern an Europa, erklärte Schirinowski. Dass ihn humane Grundsätzen zu dieser Einstellung geleitet haben, darf allerdings bezweifelt werden. Seine – lediglich dem Namen nach liberaldemokratische – Partei ist als Hafen für Mafia-Größen bekannt, die über Parlamentsmandate den Weg in die Legalität suchen.
Ulrich Heyden
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