Rumänien

Die Lückenfüller

Dhaka, die Hauptstadt von Bangladesch, ist randvoll mit Menschen. Mit 2.000 von ihnen hat Liviu Curca ein Bewerbungsgespräch geführt. Der Bauunternehmer steht auf seiner Baustelle in der rumänischen Stadt Bacau und erinnert sich an die Ausflüge in die asiatische Metropole, die über sechs Millionen Menschen zählt. Dort hat er die Kandidaten penibel geprüft: Erst Theorietest, dann Praxistest. Er suchte qualifizierte Facharbeiter, die bereit sind für einen Billigstundenlohn von knapp über einem Euro zu arbeiten. Im Sommer hat er 80 Gastarbeiter importiert – sie arbeiten im Akkord für die rumänische Firma Rombet.


Auf der Baustelle in Bacau entsteht gerade ein Hypermarkt. Zupacken heißt die Devise, um den Übergabetermin im Oktober zu halten. Foto: Piet den Blanken

Curca sitzt die Zeit im Nacken. Anfang Oktober muss er den Rohbau für einen Hypermarkt übergeben. Auf der Baustelle herrschen Baulärm und Sprachengewirr: Rumänisch, Englisch, Bengalisch. Der Unternehmer beobachtet das emsige Treiben mit besorgtem Gesicht. Erneut haben die Männer aus Bangladesch die Norm der Woche nicht geschafft. „Sie sind offenbar nicht robust genug“, bemerkt der Unternehmer, „wer weiß, ob sich das nach der Eingewöhnungsphase noch ändert.“

Eine andere Lösung, als sich Billiglohnarbeiter aus Asien zu importieren, sieht Liviu Curca nicht. Auf dem rumänischen Arbeitsmarkt sind preisgünstige Arbeitskräfte schwer zu finden. Sie jobben in Westeuropa, um mehr Geld zu verdienen – über zwei Millionen Auswanderer haben das Land bereits verlassen. Zu Hause fehlen sie: ob an den Fließbändern multinationaler Konzerne oder als Saisonarbeiter in der einheimischen Tourismusbranche.

Und auch die Baubranche klagt. Curca: „Die Investoren machen uns den Hof und wir stecken in der absurden Situation, Aufträge ablehnen zu müssen.“ Die Branche erlebt seit dem EU-Beitritt einen wahren Auftragsboom – im Privatsektor und im öffentlichen Bereich. Gelder aus den EU-Fonds gebe es für die Bauprojekte zur Genüge, so Curca. Die Milliardensummen werden in den nächsten Jahren beispielsweise in den Bau von Umgehungsstraßen und von Autobahnen fließen.

Doch wer als Firmenchef mitbauen will, braucht ein zuverlässiges Handwerkerteam. „Das ist so selten wie Edelweiß“, sagt der Bukarester Bauunternehmer Gabriel Ghelmegeanu. Schuld ist daran nicht nur der Aderlass fachmännischer Arbeitskräfte gen Westen, auch mangelt es Rumänien an qualifiziertem Nachwuchs. Zwar sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Privatschulen entstanden, die Handwerker schulen und sich das gut bezahlen lassen. Die ausgestellten Diplome seien jedoch „nur ein schönes Stück Papier“, sagt Ghelmegeanu. „Die Schüler haben in ihrer Ausbildungszeit oftmals nicht einmal eine Maurerkelle gesehen.“

Weil eine Baustelle seiner Meinung nach kein Praktikumsort für Anfänger ist, sondern Profit abwerfen soll, hat der Bauunternehmer vor Monaten rund 100 Chinesen für seine Firma Roinvest Construct angeheuert. Er darf die Gastarbeiter laut rumänischem Arbeitsrecht vorerst ein Jahr lang auf seinen Baustellen in und um Bukarest jobben lassen. Erlaubte Arbeitszeit: 60 Stunden pro Woche. „Unzureichend“ nennt Gabriel Ghelmegeanu diese Zahl.

Ghelmegeanus Auftragsbücher sind voll, es ist Sommer und beste Bauzeit. „Meine chinesischen Gastarbeiter sind arbeitshungrig“, sagt er. Nach Feierabend wartet nur ein Wohnheim auf sie, tausende Kilometer entfernt spielt sich derweil ihr Familienleben ab – ohne sie. „Die chinesischen Gastarbeiter kommen nicht nach Europa, um zu shoppen und Freizeit zu haben“, sagt der Bukarester Bauherr, „sondern um möglichst viel Geld mit nach Hause zu bringen.“

Zu Wort kommen lassen will Ghelmegeanu seine chinesischen Arbeitskräfte jedoch nicht, aus Angst, dass die Reporterfragen sie verunsichern. Das kommt nicht von ungefähr: Im vergangenen Jahr hatten in einer Textilfabrik im rumänischen Bacau mehrere hundert chinesische Näherinnen gestreikt, sie forderten mehr Lohn. Weil der Protest erfolglos blieb, wanderte der Großteil der Belegschaft nach China zurück. Der Textilfabrikant fing mit der Suche nach Arbeitskräften wieder von vorne an.

Bauingenieur Dipon Kumandasch (rechts) im Wohnheimzimmer. Der Fernseher mit TV-Programmen aus Bangladesch ist gegen Heimweh gedacht. Foto: Piet den Blanken

Liviu Curca aus Bacau ist stolz auf das Wohnheim für seine Männer aus Bangladesh. Im ganzen Heim riecht es nach Curry. Curca hat seinen Gastarbeitern zwei Köche mitgebracht, „damit es wie zu Hause schmeckt“. Einen Wohnraum – 21 Quadratmeter groß – teilen sich vier Männer. In den frisch geweißten Zimmern hängt kein Bild, stattdessen baumelt über den Betten eine bunte Wäscheleine. „Solch eine schöne Unterkunft hatten wir noch nie“, sagt einer der Bauingenieure und fügt hinzu: „Wir sind nämlich ein armes Land.“

Der Bauingenieur ist zum Feierabend in Flip-Flops geschlüpft, trägt Trainingshose und T-Shirt. ‚Wundervolles Bangladesch’ steht darauf. Mit ein paar englischen Floskeln versuchen die Männer, sich in Rumänien zu verständigen. Zu ihrem gängigen Vokabular gehören Sätze wie: „My boss is great.“ Weil Curca ihnen kostenlos eine Unterkunft und Verpflegung zur Verfügung stellt und weil sie auf der rumänischen Baustelle zwischen 255 Euro bis 289 Euro netto verdienen. Das ist fast doppelt so viel wie der rumänische Mindestlohn und „vermutlich dreimal so viel wie in Bangladesch“, glaubt Curca.

Das Gehalt hat der Bauunternehmer mit dem Arbeitsministerium in Dhaka aushandeln müssen. Es waren zähe Verhandlungsrunden, bei denen die Behörden aus Bangladesch immer wieder argumentierten, „dass Länder aus dem EU-Club zu den Besserverdienern zählen müssen“. Curca ließ nichts unversucht, erklärte das Lohngefälle zwischen West- und Osteuropa. Die Behörden hörten ihm ungläubig zu und reagierten erst, als der Bauunternehmer drohte, eben ohne Arbeitskräfte wieder abzureisen.

Inzwischen wird Curca landesweit von Bauunternehmern kontaktiert. Sie wollen wissen, wie es mit den asiatischen Gastarbeitern läuft. „Ich leiste hier Pionierarbeit“, sagt er. Doch er ist vorsichtig dabei, denn auf dem Arbeitsmarkt herrscht eine große Fluktuation: Jobhopping heißt das Phänomen in Rumänien: Bietet ein Arbeitgeber ein paar Euro mehr, hat er gute Chancen, den anderen das Personal abzuwerben.

Curca traut die Fluktuation auch seinen Gastarbeitern zu. Die würden sich „zwar untertänig verhalten, doch ich weiß nicht, ob sie nicht eines Tages in den Westen flüchten werden“. Fliehen – das müssten die Gastarbeiter nicht, denn in Rumänien gibt es gerade Jobs im Überfluss. So meldete der Verband rumänischer Bauunternehmer unlängst rund 300.000 offene Stellen. Nur 10.000 davon dürfen laut Arbeits- und Sozialministerium in diesem Jahr mit Gastarbeitern besetzt werden.

Die rumänische Regierung wirbt inzwischen aber auch um die ausgewanderten Landsleute. Auf Jobmessen in Spanien und Italien versuchen rumänische Firmen, die Arbeitsmigranten zur Rückkehr zu bekehren. „Utopie“, nennt der Bukarester Bauunternehmer Gabriel Ghelmegeanu die Werbekampagne, die für ihn lediglich „patriotisch“ ist, aber nicht zeitgemäß: „Man muss mit der Globalisierung gehen: Wenn Westeuropa Gastarbeiter aus Osteuropa holt, dann holen wir uns eben Arbeitskräfte aus Asien.“

Auch Liviu Curca ist skeptisch, dass Rumänien demnächst einen Rückkehrboom erlebt. „Die Entscheidungen werden jeden Sommer im Heimaturlaub getroffen“, sagt Curca. „Dann erkundigen sich die Auswanderer, wie die Dinge laufen. Die meisten reisen nach den Ferien wieder ab. Das sagt einiges.“


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