Russland

Wer war der Messerstecher von Dresden?

(n-ost) – Was den 28-jährigen Alex W. im Juli dieses Jahres in Dresden zur Messer-Attacke auf die Ägypterin Marwa El-Sherbini und ihren Mann Elwi Ali Okaz  trieb, ist bisher nicht geklärt. War der Russlanddeutsche, der ohne Vater aufwuchs, psychisch gestört? Handelte er im Zustand der Schuldunfähigkeit, wie einige Medien nahelegen?

Nicht nur russische Medien fragen: Ist Alex W. ein Fall für den Psychiater? Ende Juli berichtete das Moskauer Magazin Russki Newsweek, Alex W. habe sich in Dresden in psychiatrischer Behandlung befunden und psychostimulierende Tabletten genommen. Der Psychiater sei aber nicht zu einem Gespräch mit den Journalistinnen bereit gewesen. Verschiedene Medien berichteten unter Berufung auf Nachbarn von Alex W., der Russlanddeutsche sei jähzornig gewesen. Bei einem Streit in einer Berufsschule in Dresden habe Alex W. einmal ein Klappmesser gezogen.

Wie viele Russland-Deutsche hat Alex W. eine Odyssee durch einen ganzen Kontinent hinter sich. Er wurde im November 1980 in der Industriestadt Perm im Ural - drei Flugstunden östlich von Moskau - geboren. Mitte der 80er Jahre trennte sich seine Mutter von ihrem Mann und zog mit Alex und der Tochter Maria nach Zelinograd. Die Stadt heißt heute Astana und ist die Hauptstadt von Kasachstan. 1999 kehrte die dreiköpfige Familie nach Perm zurück, von wo aus sie 2003 nach Deutschland übersiedelte.

Bis zu seiner Ausreise nach Deutschland sei Alex W. „ein absolut normaler Junge“ gewesen, schreibt das vom Axel Springer Verlag herausgegebene Magazin Russki Newsweek. Es stützt sich auf Gespräche mit einem Schulkameraden des Mannes in Astana und einer Verwandten der Familie.


"Er war irgendwie merkwürdig". Galina und Wladimir wohnten im gleichen Treppenaufgang wie Alex W. Foto: Ulrich Heyden

Möglicherweise hat sich die Persönlichkeit von Alex W. aber schon in Perm verändert. Galina Georgijewna, eine ehemalige Nachbarin von Alex W. in Perm, erinnerte sich gegenüber dieser Zeitung, der Junge sei „ein sehr merkwürdiger Mensch“ gewesen. Er habe „immer sehr angespannt“ gewirkt. „Ich hatte das Gefühl dass er irgendwie behindert ist“, meint die Rentnerin. Im Hof sei er immer mit einem Papphefter unterm Arm herumgelaufen. „Er wollte sich wohl wichtig machen“, meint die rüstige alte Frau.

Olga Taksis, die stellvertretende Chefin des Arbeitsamtes in dem Wohnbezirk in Perm, berichtete im Gespräch mit dieser Zeitung, Alex W. habe sich bei seinen vier Besuchen im Arbeitsamt gegenüber den Mitarbeitern aggressiv aufgeführt und sie bei einem Streit im März 2003 sogar einmal geschlagen. Sie gab damals eine Strafanzeige auf, doch diese wurde nach Angaben der Polizei nicht weiter verfolgt, weil es „keine konkrete Bedrohung für Frau Taksis mehr gab“. Olga Taksis macht der Vorfall heute noch wütend. Über Alex W. sagt sie: „Er war nicht dumm, aber er war ein echter Sadist.“

Diente Alex W. in der russischen Armee?

Das Moskauer Magazin Russki Newsweek berichtete unter Berufung auf einen Schulkameraden von Alex W., der Russlanddeutsche habe in der Armee gedient. Dort habe es „keine Klagen“ über ihn gegeben. Die Staatsanwaltschaft in Dresden vermutete unmittelbar nach dem Mord in Dresden, Alex W. habe möglicherweise in Tschetschenien gedient. So lasse sich seine anti-muslimische Haltung erklären. Diese Vermutung bestätigte sich jedoch nicht.

Inzwischen wird in Zweifel gezogen, ob Alex W. überhaupt in der Armee diente. Wie das Nachrichtenmagazin Focus berichtete, gibt es im Wehrpass von Alex W. einen Vermerk, dass der Russlanddeutsche an einer psychischen Erkrankung litt. Die Musterungskommission in Perm habe – so das Magazin – Alex W. am 26. November 1999 vom Wehrdienst befreit. Alex W. leide an „ausgeprägten psychotischen Zuständen“. Deshalb sei Alex W. wohlmöglich schuldunfähig, legt der Bericht nahe.

Ein angeblicher Eintrag im Wehrpass kann jedoch in Russland kaum als ausreichender Beleg für eine psychische Erkrankung gelten. Seit Jahren berichten die russischen „Soldatenmütter“ und Medien darüber, wie sich junge Männer mit Hilfe ihrer Eltern vom Wehrdienst freikaufen. Für mehrere Tausend Euro vermerken bestechliche Beamte „psychische Angstzustände“ und „religiöse Gewissensgründe“ in den Dokumenten.


Ein weiteres Opfer von Alex W.: Im März 2003 - unmittelbar vor seiner Auswanderung nach Deutschland - schlug und beschimpfte Alex W. die stellvertretende Leiterin eines Arbeitsamtes  in Perm, Olga Taksis. Foto: Ulrich Heyden

Die tatsächlichen Fakten sind heute kaum noch zu recherchieren. Andrej Scharlaimow, der Leiter der Polizeiwache im ehemaligen Wohnbezirk von Alex W. in Perm erklärte im Gespräch mit dieser Zeitung, die Besucherlisten der Psychatrischen Klinik vor Ort würden nach einigen Jahren vernichtet, so dass es zu Alex W. keine Dokumente mehr geben könne.

Stand Alex W. unter Einfluss rechtsradikaler Kreise?

David F., ein Nachbar von Alex W. in der Dresdner Johannstadt erzählte dem Magazin Russki Newsweek, der Russlanddeutsche sei einsam und lange arbeitslos gewesen. Erst kurz vor der Tat habe er eine Halbzeit-Stelle als Lagerarbeiter gefunden. Der Nachbar erinnert sich auch, dass Alex einmal spät nachts in lebhafter Stimmung nach Hause gekommen sei und sich gerühmt habe, den Hebel für den Not-Halt in einer Straßenbahn abgerissen zu haben, „aus Langeweile“.

Fand Alex W. als Aussiedler keinen Anschluss an die deutsche Gesellschaft? Geriet er in den Einfluss der NPD, die seit einiger Zeit verstärkt um Russlanddeutsche wirbt? Nach Informationen des Berliner Tagesspiegels bekannte sich Alex W. Minuten vor dem Mord an Marwa El-Sherbini lauthals zur NPD. Er habe sich mit der Frage an das Opfer gewandt: „Haben sie überhaupt ein Recht, in Deutschland zu sein?“ und nach einer Pause hinzugefügt: „Sie haben hier nichts zu suchen.“ Die Dresdner Staatsanwaltschaft zumindest sieht als Motiv für die Tat von Alex W. „ausgeprägten Hass auf Nichteuropäer und Moslems“.

Ulrich Heyden
ENDE

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