Legale Korruption im Gesundheitswesen
Auf dem Bildschirm zeichnen sich Umrisse eines Babykörpers ab. „Alles in Ordnung“, sagt die Frau im weißen Kittel und schaut aufmerksam auf die Bilder. Die kurze Untersuchung ist vorbei und Raliza* begibt sich zur Kasse der Frauenklinik Shejnowo, um die Kosten für die Untersuchung zu begleichen. Zurück bei Dr. Elena Wasilewa bedankt sich die werdende Mutter, gibt ihr den Beleg und will den Raum verlassen, als der fragende Blick der Gynäkologin sie aufhält. „Ist noch etwas?“ fragt die schwangere Frau. „Nun, die Beratung kostet schon was.“ „Ich habe an der Kasse 16 Euro bezahlt und Ihnen den Beleg gereicht“, antwortet die Patientin. „Gut, dann geben Sie mir halt weitere 10 Euro“, sagt Dr. Wasilewa und hält dies für ein großes Entgegenkommen.
Später bei der Durchführung des Tests zur Verträglichkeit von Betäubungsmitteln in der Anästesieabteilung wandert das Entgelt für die Untersuchung direkt in die Geldbörse von Dr. Rumjana Mandajiewa, angeblich um der Patientin den Weg zur Kasse zu ersparen. Dafür ist die Untersuchung um 5 Euro billiger. Damit hofft die Anästhesistin, die auch Abteilungsleiterin ist, die Patientin zum Schweigen über das Bestechungsgeld zu bringen.
Solche Art von Korruption währt schon seit langem in den bulgarischen Krankenhäusern – eine Tatsache, die weder von deren Leitungen, noch vom Ministerium abgestritten wird. Auch in der kommunalen Frauenklinik Shejnowo, in der die Ärzte nicht zu den unterbezahlten gehören, ist das Schmiergeld Gang und Gäbe. Die Aufschriften mit Großbuchstaben und Ausrufezeichen an den Türen der Untersuchungräume „HIER KEINE BEZAHLUNG!!!“ sind nur unnütze Attrappen.
Die „unregelmäßigen Zahlungen“, wie es in der Beamtensprache heißt, aber auch die immer schlechter werdende Qualität der Krankenhilfe sind Ergebnisse des katastrophalen Managements der Krankenkassen und der Spitäler. Als klare Symptome weisen sie seit Jahren auf einen baldigen Kollaps des Gesundheitssystems hin. Nun verbuchen die über 420 unterfinanzierten Krankenhäuser in Bulgarien ein Defizit von 180 Millionen Euro, viele sind pleite und müssen privatisiert werden. Bis vor ein paar Monaten konnte das große Finanzierungsloch dank eines staatlichen Haushaltsüberschusses gestopft werden, doch nun in der Wirtschaftskrise kämpft auch der Staat mit einem riesigen Haushaltsdefizit.
In die Krankenhäüser ist viel Geld gepumpt worden, sogar zu viel, resümiert der neue bulgarische Finanzminister Simeon Djanow. „Real geben wir mehr für Krankenhilfe aus als die Dänen und die Schweden,“ sagt er. Doch wegen Korruption und fehlender Effizienz blieben die Krankenhäuser trotz allem unterfinanziert. Die neue Regierung sieht sich deshalb gezwungen, eine generelle Reform des Sektors anzusteuern und zusätzliche Zahlungen ihrem eigentlichen Zweck zuzuführen. Denn bestimmte Dienstleistungen werden außerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet. Bislang jedoch förderten diese nur die Korruption. Nun sollen sie das Gesundheitswesen stützen.
Die geplanten Gesetzesänderungen dürften zu einer kompletten Umstrukturierung der Krankenkassen und der Krankenhilfe führen, wobei die Anzahl der Spitäler sowie ihre Bestimmung drastisch geändert wird. Ein Zwischenmodell zwischen rein staatlicher und privater Versicherung ist der nächste revolutionäre Schritt der neuen Regierung. Die Dienstleistungen, die extra zu bezahlen sind und die jetzt hauptsächlich die Korruption fördern, dürfen dann von privaten Versicherungsgesellschaften übernommen werden.
Indes versuchen die Spitäler durch verschiedene Manöver der Krise zu trotzen. „Wenn die Selbstfinanzierung nicht so gut funktionieren würde, wären wir verloren,“ erzählt Dr. Rumen Welew, stellvertretender Direktor von Shejnowo. „Ein Teil unseres Geldes wird von der staatlichen Krankenkasse gesichert, ein weiterer Teil kommt von der Gemeinde je nach deren Möglichkeiten. Beides würden jedoch nur 60 bis 70 Prozent der erforderlichen Mittel einbringen.“ Deshalb werden jene Untersuchungen, die von der Krankenkasse nicht abgedeckt werden, zu Marktpreisen angeboten.
Die Leitung der Klinik bemüht sich um weitere alternative Finanzierungsquellen, indem sie Dienstleistungen wie etwa die „Selbstwahl des Geburtenteams“ anbietet. Bei einem Kaiserschnitt etwa kostet das Angebot in der Regel umgerechnet 500 Euro. In anderen Krankenhäusern klettert der Preis mit zusätzlichen Extras bis auf 1500 Euro hoch, zeigt eine Umfrage der Zeitschrift für Mutterschaft „9 Monate“. Von dieser Summe bekommt die Frauenklinik Schejnowo etwa 40 Prozent, 40 Prozent erhält der operierende Arzt und den Rest das beteiligte Personal. Auf diese Weise seien die Mediziner zusätzlich motiviert und die Krankenhäuser zusätzlich finanziert. Auch die Korruption solle damit eingedämmt werden, denn das, was der Patient zusätzlich zahlen muss, werde offen gelegt, sagt Dr. Welew.
Viele Patientinnen verstehen jedoch nicht, warum sie für die Aufmerksamkeit, die ihnen als ordentliche Beitragszahler zusteht, extra Geld für aufbringen müssen. Für Ludmila, die im Juni ihr Kind in derselben Klinik geboren hat, ist die viel gepriesene Selbstwahl des Geburtenteams einfach eine „legalisierte Form von Korruption“. Die Ärzte würden aufdringlich für das Angebot werben und auf die besondere Fürsorge verweisen, sagt sie. Da die meisten Frauen in der schwierigen Situation vor der Geburt hauptsächlich um ihre eigene und die Gesundheit der Neugeborenen bangen, machen sie mit. Auch wenn das meistens einen großen Einschnitt in das Familienbudget bedeutet.
*Der Name wurde geändert.